«Es gibt teils Anreize für eine maximale Medizin»

Die Rolle der Krankenversicherungen

CW: Übernehmen die Krankenversicherungen eine Regulationsfunktion in diesem System?
Chiesa Tanner: Die Schweizer Krankenversicherungen haben den Auftrag, die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit von medizinischen Behandlungen zu prüfen. Diese Funktion nehmen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten wahr. Allerdings fehlen uns wesentliche Informationen wie zum Beispiel die Diagnose, um eine stringente Kontrolle durchzusetzen. Nichtsdestotrotz sparen wir durch die Kontrolle auch heute bereits Millionen an Prämien­geldern ein.
CW: Was wären Ihre Vorschläge?
Chiesa Tanner: Wir plädieren für mehr Transparenz. Es sollte klar sein, für welche Leistung die Krankenversicherung zahlen muss. So würden uns mehr Möglichkeiten gegeben, unsere Kontrollfunktion noch besser wahrzunehmen. Bei den Tarifen und bei der Medikation können wir die Kont-rolle gut wahrnehmen. So lässt sich klar prüfen, ob ein Medikament zum korrekten Preis in Rechnung gestellt wird.
“Wir plädieren für mehr Transparenz, damit klar ist, für welche Leistung die Krankenversicherung zahlen muss.„
Gabriella Chiesa Tanner
CW: Die Transparenz der Daten scheint ein zentrales Element im Gesundheitswesen zu werden. Arbeiten Sie daran, mehr Transparenz zu bekommen?
Chiesa Tanner: Wir versuchen, auf politischer Ebene mehr Transparenz einzufordern. Um diesen Prozess voranzutreiben, braucht es allerdings eine gemeinsame Anstrengung verschiedener Akteure. Wenn wir an das elektronische Patientendossier denken, muss ich konstatieren, dass die Krankenversicherungen von vornherein ausgeschlossen wurden. Es gab den bewussten Entscheid, dass die Versicherungen keine Einsicht erhalten. Insofern ist die Hoffnung eher gering, an mehr Daten zu gelangen.
CW: Welche Möglichkeiten sehen Sie? Bestenfalls gibt es einen Mittelweg?
Chiesa Tanner: Denkbar wären wissenschaftliche Auswertungen gemeinsam mit Ärzten und Spitälern. So liessen sich Frage­stellungen untersuchen wie: Welcher Behandlungspfad hat einen positiven Effekt auf den Behandlungserfolg und auf die Kosten? Die CSS hat den vollständigen Überblick über die Kosten eines Patienten. Wenn wir in einem geschützten Rahmen – beispielsweise einer wissenschaftlichen Studie – weitergehende Gesundheitsdaten erhalten würden, liessen sich aufschlussreiche Analysen durchführen. Sie brächten grossen Nutzen nicht nur für die Patienten, sondern auch für das gesamte Schweizer Gesundheitssystem.
Zur Person
Gabriella Chiesa Tanner
amtet seit April 2017 als Generalsekretärin der Krankenversicherung CSS. Die studierte Pharmazeutin ist bereits seit 1999 in verschiedenen Funktionen bei der CSS tätig, zuletzt als Senior Consultant und Leiterin des CSS Health Lab an der ETH Zürich sowie der Universität St. Gallen. Chiesa Tanner ist ausserdem Präsidentin der Eid­genössischen Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände sowie Mitglied der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen.



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