Interview mit Eliano Ramelli und Thomas Köberl
08.07.2025, 14:15 Uhr
«Eine Idee allein reicht nicht»
Glück trifft auf Gelingen, Ideen auf Initiative – ein Gespräch mit Thomas Köberl und Eliano Ramelli, beide sind Mitgründer der Schweizer Softwareschmiede Abacus Research AG.

40 Jahre Abacus – für Thomas Köberl (links) und Eliano Ramelli ist noch lange nicht Schluss.
(Quelle: Computerworld)
Die Geschichte startet vor 40 Jahren in St. Gallen. Ohne Geld, aber mit vielen Ideen beginnen drei Studienabgänger Software zu entwickeln. Inzwischen ist aus der einstigen Studentenbude ein IT-Campus der Superlative geworden. Wie alles begann, welche Zufälle den Verlauf prägten und warum man heute immer noch erfolgreich unterwegs ist, erzählen Eliano Ramelli und Thomas Köberl, zwei der drei Gründer der wohl unglaublichsten Geschichte, welche die Digitalisierung in der Schweiz geschrieben hat.
Computerworld: Eliano und Thomas, ich freue mich, dass wir uns duzen dürfen und dass ihr euch extra Zeit genommen habt. Wir schreiben heute das Jahr 2025. Lasst uns nochmal zurückgehen ins 1985. Wie ist die Idee der Gründung von Abacus damals entstanden und was waren die ersten Schritte dazu?
Eliano Ramelli: Ich habe gerade letztens wieder darüber nachgedacht. Eigentlich müssen wir bis ins Jahr 1973 zurückgehen. Damals habe ich Claudio in der Schule kennengelernt. Wir waren die beiden einzigen italienisch sprechenden Tessiner in Sarnen und daher dauernd zusammen. Das blieb auch in den folgenden Schulen so, welche wir gemeinsam besuchten. Am Schluss haben wir uns zusammen an der Universität St. Gallen eingeschrieben. Dort haben wir dann auch Thomas Köberl kennengelernt. Aber zurück zu Abacus: Ich glaube, so etwas kann man nur starten, wenn man sich sehr gut kennt und jeder seine Stärken einbringt. Wären wir ganz normale Studenten gewesen, wäre es vermutlich nie zur Gründung von Abacus gekommen.
CW: Mit dem guten Willen allein ist es aber noch nicht gemacht, oder?
Eliano: Nein, eine Idee allein reicht nicht, auch wenn sie noch so gut ist. Wir wollten sie auch umsetzen und hatten das Glück, dass mein Schwager uns den ersten Computer finanziert hat. Die Anschaffung belief sich damals auf rund zwanzigtausend Franken. Der Deal war dann, dass wir für ihn ein paar Programme schreiben sollten. Das war gleichzeitig auch unser Ansporn, uns intensiv mit Computer und Software zu beschäftigen. Nach dem Studium kam dann die Frage: Was machen wir nun? Mein Plan war es eigentlich, in den USA Erfahrungen zu sammeln und Geld zu verdienen.
CW: Dazu ist es aber offenbar nicht gekommen, sonst gäbe es Abacus heute vermutlich nicht. Wer hatte die Idee, eine Softwarefirma zu gründen?
Eliano: Schon erstaunlich, wie ein kleiner Zufall, dem Leben eine ganz andere Richtung geben kann, oder? Also, die Geschichte war dann die: Claudio kam plötzlich mit der Anfrage der Firma, wo er arbeitete, ob wir für diese nicht ein paar Programme schreiben könnten. Eines davon sollte eine einfache Finanzbuchhaltung sein. Das hat uns so viel Spass gemacht, dass wir damit weitermachen wollten. Allerdings warnten uns damals nicht wenige Leute, die Finger davon zu lassen. Es gäbe schon zu viele solcher Programme, meinten sie. Und das vor über vierzig Jahren! Zum Glück haben wir nicht auf sie gehört. Wir hatten ein Studium hinter uns und was noch mehr zählte: Wir wussten wie ein Buchhalter denkt und was man in der Buchhaltung erwartet.
CW: Damit ging es schon langsam in Richtung Abacus, oder?
Eliano: Soweit dachten wir damals noch gar nicht. Per Zufall machte uns ein Bekannter von Claudio auf die Programmiersprache Dataflex aufmerksam. Dataflex gehörte damals schon zu der vierten Generation und war also sehr fortschrittlich. Damit konnten auch weniger begabte Programmierer Software entwickeln (lacht). Wir konnten uns damit mehr auf das Fachliche konzentrieren und unser Wissen umsetzen. Neue Ideen liessen wir direkt in die Software einfliessen. Vielleicht waren wir nicht die grössten Entwickler-Genies, aber wir wussten, was man in der Buchhaltung erwartete. Das führte dazu, dass wir 1984 die ersten Programme verkaufen konnten.
CW: Wenn ich das richtig verstehe, bestand das Duo zuerst aus dir und Claudio. Wann kamst dann du, Thomas, ins Spiel?
Thomas Köberl: Ich bin nach dem Studium nach Frankreich, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Als mich Claudio und Eliano anfragten, ob ich bei ihnen einsteigen wollte, war ich dabei, denn Claudio konnte uns damals schon mit seinen Visionen begeistern. Da ich aber nicht genau wusste, worauf ich mich da einliess, sagte ich nur mal für ein Jahr zu.
CW: Könnte man eure Rollenaufteilung so interpretieren, dass Claudio die Visionen entwickelt hat und ihr beide für die Umsetzung zuständig gewesen seid?
Thomas: Es geht ein bisschen in diese Richtung. Claudio sagt auch heute noch oft, dass er für die Luftschlösser zuständig sei und wir für deren Verankerung am Boden. Spass beiseite, was uns alle verbindet ist die Begeisterung und die Faszination für IT. Das ist bis heute so. Damals waren wir glücklich, dass wir unsere Diplomarbeit auf einem Apple-Rechner schreiben durften und nicht, wie damals noch üblich, auf einer Schreibmaschine.
“Wir haben einen Schritt nach dem anderen gemacht. Und noch wichtiger: Wir haben nicht das gemacht, was wir eigentlich an der Hochschule gelernt haben.„
Eliano Ramell
Eliano: Vor allem Claudio war ein völliger Freak. Er hat seine Diplomarbeit zum Thema «Computer und Marketing» verfasst. Dafür hat er damals vom Marketingprofessor die tiefste Note bekommen und vom IT-Spezialisten die beste.
CW: Wie ging es dann weiter? Ihr habt euch zusammengetan und seid gestartet. Was waren dabei die ersten Herausforderungen?
Eliano: Wir haben einen Schritt nach dem anderen gemacht. Und noch wichtiger: Wir haben nicht das gemacht, was wir eigentlich an der Hochschule gelernt haben (schmunzelt). Angefangen haben wir in einer kleinen Studentenwohnung, die wir für 700 Franken gemietet hatten. Leider konnten wir die Miete nicht immer pünktlich bezahlen, doch wir hatten Glück mit dem Hausbesitzer. Er hat uns immer vertraut, dass die Miete früher oder später auf seinem Konto landet.
Thomas: Das war ein Glücksfall und hat uns sehr geholfen. Ein weiterer Punkt war, dass wir einen kleinen Raum in einer Bürogemeinschaft hatten, wo wir Kunden treffen konnten. Die vielen Leute dort vermittelten eine gewisse umtriebige Seriosität, auch wenn diese natürlich nichts mit uns zu tun hatten. Nach und nach kamen dann weitere Räume dazu.
CW: Ich nehme an, dass der finanzielle Spielraum damals recht eng war?
Eliano: Absolut. Ich hatte lediglich ein paar Hundert Franken auf dem Konto. Claudio gar nichts. Damit einen PC zu kaufen, war ein Ding der Unmöglichkeit, zumal ein XP-Rechner damals noch um die 10'000 Franken gekostet hat. Doch auch hier hatten wir Glück: Wir fanden einen Sponsor, der an uns geglaubt hat und uns einen Rechner zur Verfügung stellte. Gestartet sind wir mit 50'000 Franken. Das Geld hatten wir natürlich nicht, doch unser Financier hat uns das Kapital zur Verfügung gestellt unter der Bedingung, dass jeder von uns eine Aktie über tausend Franken kaufen musste. Sollten wir dann irgendwann zu Geld kommen, bestand für uns ein Rückkaufsrecht der übrigen Aktien.
Thomas: Dieses Rückkaufsrecht konnten wir nach etwas mehr als einem Jahr dann auch ausüben und erhielten so die Aktienmehrheit unserer Firma. Ziel war es, dass wenigstens zwei von uns die Aktienmehrheit hatten. Ansonsten war die Anfangszeit natürlich schon recht hart. Nach den ersten sechs Monaten hat uns der Treuhänder mitgeteilt, dass wir die Lohnzahlungen wegen drohender Überschuldung aussetzen müssten. Wir haben dann ohne Lohn weitergemacht. Vielleicht war es auch ein Glücksfall, dass das Startkapital von nur 50'000 Franken relativ schnell aufgebraucht war und wir so gezwungenermassen mit externen Partnern bei der Softwareentwicklung zusammengearbeitet haben.
CW: Ihr seid also relativ schnell auf ein Outsourcing-Modell umgestiegen?
Thomas: Richtig, so haben beispielsweise Daniel Senn und sein Studienkollege unsere erste Adressverwaltung entwickelt sowie die Lohnsoftware und damals auch schon ein Personalinformationssystem. Andere Partner haben beispielsweise die Kreditorensoftware und die Auftragsbearbeitung entwickelt. Da wir die Partner nicht bezahlen konnten, haben wir sie am Erfolg beteiligt. Das hat sie natürlich zusätzlich motiviert, eine Top-Qualität zu liefern. Bestes Beispiel ist die Lohnbuchhaltung von Daniel Senn und seinem Studienkollegen, welche inzwischen die am meisten verkaufte Lohnlösung der Schweiz ist. Für rund ein Viertel der Schweizer Erwerbstätigen werden die Löhne mit Abacus-Software abgerechnet. Das ist natürlich ein riesiger Leistungsausweis.

Heute haben Thomas Köberl und Eliano Ramelli gut lachen. Das war nicht immer so.
Quelle: Computerworld
CW: Dass diese Partner mitgemacht haben, ist ein weiterer Glücksfall in der Abacus-Geschichte. Wann hattet ihr das Gefühl, dass es jetzt weniger eine Frage des Glücks ist, sondern dass ihr wirklich auf der Erfolgsspur seid?
Eliano: Mit Thomas und Claudio waren zwei ausgewiesene Marketingprofis an Bord. Sie forcierten einen starken Auftritt von Abacus nach aussen, besonders auch in der Presse. Diese Dauerpräsenz hat dazu geführt, dass nicht nur der Bekanntheitsgrad gestiegen ist, sondern irgendwann auch die Konkurrenz resigniert hat. Dabei hatten wir kaum Geld, die eigenen Löhne zu zahlen.
Thomas: So ab Sommer 1986 hatten wir das Gefühl, dass Abacus wirklich zu einer Erfolgsstory werden kann. Das Schlüsselerlebnis war, dass die damalige M-Informatic sich entschieden hatte, ihre PCs mit unserer Fibu unter ihrem Brand MC-Fibu und MC-Lohn auszurüsten. Nur ein paar Monate später zog die OBT nach, um unsere Finanz-Software unter ihrem eigenen Logo zu verkaufen.
Eliano: Sagen wir es so. Wir hatten Glück, dass wir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Produkte für die Treuhändern und den boomenden PC-Markt liefern konnten.
CW: Das Schicksal hat es offenbar gut gemeint mit Abacus. Gab es in dieser Hollywood-mässigen Erfolgsgeschichte auch Flops?
Thomas: Wie jede Geschichte ist auch die von Abacus ein Auf und Ab, auch wenn natürlich das Positive bei weitem überwiegt. Ein Flop war vielleicht Powerflex, das Nachfolgeprodukt unserer Programmiersprache Dataflex. Das Tool hat sich im Nachhinein als unbrauchbar erwiesen, so dass wir eine neue Lösung suchen mussten.
Eliano: Das war zwar mühsam, aber nicht firmenkritisch. Und ja, wie Thomas gesagt hat, auch wir stehen immer wieder vor Herausforderungen, finden aber in der Regel immer einen Weg. Auch dazu ein Beispiel: Früher war es normal, dass Business Software aus vielen Modulen bestand, welche über Schnittstellen miteinander verbunden waren. Heute gibt es zwar immer noch Software-Bausteine, aber da steckt oft weit mehr Funktionalität drin als in früheren Modulen. Solche Paradigmenwechsel sind eine ständige Herausforderung, welche wir aber inzwischen sehr gut meistern.
CW: Ein gutes Stichwort zur nächsten Frage: Hat sich die Produktepalette von Abacus verändert oder ist der Grundgedanke immer noch der gleiche?
Eliano: Früher konnte man die Kunden noch mit einer schönen Fibu- oder Lohnsoftware begeistern. Das war ein Quantensprung im Vergleich zur früheren manuellen Arbeit. Heute erwarten die Kunden Funktionen, welche ihre Probleme lösen. Das eigentliche Softwareprodukt dahinter, also zum Beispiel die Kreditorensoftware, ist sekundär. Man geht davon aus, dass die Software funktioniert.
Thomas: Ein grosses Thema ist heute KI. Die entsprechenden Technologien kommen auch bei Abacus zur Anwendung. Wir legen besonders Wert darauf, dass diese hundertprozentig korrekt und nachvollziehbar funktionieren. Insofern kann man sagen, dass der Grundgedanke von Abacus, die beste Software auszuliefern, gleichgeblieben ist. Aber die Produktepalette entwickelt sich natürlich laufend weiter.
CW: A propos KI, was hätte ChatGPT 1985 auf die Frage geantwortet, ob man in Abacus investieren soll?
Eliano (lacht): Sehr wahrscheinlich hätte es abgeraten, da unsere Aktien damals wenig Wert hatten und keine Nachfrage bestand. Heute ist das völlig anders. Es vergeht keine Woche, ohne dass wir Verkaufs- oder Beteiligungsangebote erhalten. Dies auch in einem anderen Zusammenhang. Unsere Gründergeneration hat inzwischen ein gewisses Alter erreicht, wo man über den Ruhestand nachdenkt. Gleichzeitig tragen wir immer noch die Mitverantwortung für rund 570 Mitarbeitende, viele Kunden und Geschäftspartner. Das verpflichtet uns nach wie vor.
“Man kann sagen, dass der Grundgedanke von Abacus, die beste Software auszuliefern, gleichgeblieben ist. Aber die Produktepalette entwickelt sich natürlich laufend weiter.„
Thomas Köberl
Thomas: Claudio Hintermann, Eliano Ramelli, Daniel Senn und ich haben uns vor einigen Jahren daraufhin geeinigt, bis 2031 die Aktienmehrheit zu behalten, um weiterhin die Kontrolle über das Unternehmen zu haben. Bereits vor zwölf Jahren haben wir 20 Prozent der Abacus-Aktien für langjährige Mitarbeitende reserviert. In der Geschäftsleitung hat ein Verjüngungsprozess stattgefunden. Was nach dem 2031 genau passiert, ist noch offen. Wir prüfen derzeit verschiedene Szenarien, was die Rolle unserer «Gründergeneration» betrifft. Da gäbe es auch für die weitere Zukunft interessante Funktionen. Wir werden, wie erwähnt, unsere Verantwortung den Kunden, Mitarbeitenden und Partnern gegenüber voll und ganz wahrnehmen.

Abacus heute – aus der einstigen Studentenbude ist ein respektables Unternehmen geworden.
Quelle: Abacus Research
Eliano: Dazu möchte ich noch ergänzen, dass wir mit offenen Augen und Ohren die Bedürfnisse unserer Kunden und ihrer Branchen mitverfolgen und auch in Zukunft gerne bereit sind, neue Lösungsansätze zu entwickeln.
CW: Eliano Ramelli und Thomas Köberl, ich bedanke mich ganz herzlich für das grossartige Gespräch und wünsche euch und Abacus zum 40-jährigen Jubiläum alles Gute und für die Zukunft weiterhin viel Erfolg.
Im Gespräch und über die Firma
Eliano Ramelli, Thomas Köberl
Die beiden Absolventen der Universität St. Gallen haben 1985 zusammen mit ihrem Studienkollegen Claudio Hintermann und dem Treuhänder George Winkler die Firma Abacus Research AG gegründet.
Die beiden Absolventen der Universität St. Gallen haben 1985 zusammen mit ihrem Studienkollegen Claudio Hintermann und dem Treuhänder George Winkler die Firma Abacus Research AG gegründet.
Zur Firma
Abacus Research AG ist ein Schweizer Softwareunternehmen, das 1985 gegründet wurde und sich auf die Entwicklung von Business-Software, insbesondere ERP-Systemen, spezialisiert hat. Abacus ist der grösste unabhängige Anbieter von Business-Software in der Schweiz und hat über 44’000 Kunden. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Wittenbach-St. Gallen und beschäftigt rund 570 Mitarbeiter. www.abacus.ch
Abacus Research AG ist ein Schweizer Softwareunternehmen, das 1985 gegründet wurde und sich auf die Entwicklung von Business-Software, insbesondere ERP-Systemen, spezialisiert hat. Abacus ist der grösste unabhängige Anbieter von Business-Software in der Schweiz und hat über 44’000 Kunden. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Wittenbach-St. Gallen und beschäftigt rund 570 Mitarbeiter. www.abacus.ch