«Wir führen Firmen zu mehr Diversität»

Diversität als Garant für unternehmerischen Erfolg

Nadia Fischer (l.) und Valérie Vuil­lerat haben noch Tipps für Apple
Quelle: Samuel Trümpy

CW: Wie profitieren Firmen von der Diversität?
Fischer: Diversität umfasst mehr als nur den Gender­aspekt, es zählen auch Nationalitäten, Kulturen, sexuelle Orientierungen, Hautfarben etc. Wenn sich Unternehmen verändern, sodass sich verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansichten willkommen und inkludiert fühlen, wirkt sich das positiv auf die gesamte Firmenkultur, Belegschaft und den wirtschaftlichen Erfolg aus. Firmen mit einem diversen Führungsteam verzeichnen fast 10 Prozent mehr Umsatz aufgrund von Innovationsprojekten. Zudem ist es für sie einfacher, Fachkräfte zu rekrutieren. Es ist nicht nur unsere Überzeugung, sondern auch ein wissenschaftlicher Fakt: Diversität ist ein entscheidendes Kriterium im unternehmerischen Erfolg.
CW: Wie begründen Sie Ihre Überzeugung?
Vuillerat: Die heutigen technischen Probleme sind derart komplex, dass es für deren Lösung Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen braucht. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen dafür offen sind, möglichst unterschiedliche Leute zu rekrutieren.
Fischer: Um in der komplexen Welt digitale Produkte zu erzeugen, die auf verschiedenste Zielgruppen zugeschnitten sind, braucht man auch ein Team, das entsprechend divers denkt. Es erstaunt mich immer wieder, dass man in vielen Unternehmen diese Überlegungen nicht anstellt. 70 Prozent aller Kaufentscheide werden von Frauen getroffen. Da ist es doch seltsam, wenn ein digitales B2C-Produkt ent­wickelt wird, aber keine Frauen im Produktteam vertreten sind.
Vuillerat: Es gibt genügend Beispiele, die belegen, was schiefläuft, wenn Frauen in Entwicklungsteams fehlen und die Bedürfnisse von Kundinnen nicht abgeholt werden.

CW: Können Sie ein Beispiel nennen?
Vuillerat: Da gibt es mehrere. Ein bekanntes ist die Apple Watch – die immerhin meistverkaufte Smartwatch der Welt. Diese misst zahlreiche Körperfunktionen vom Herzschlag bis zum Schlafrhythmus. Jedoch fehlte lange die Messung des weiblichen Zyklus. Daran hatte man nicht gedacht. Wahrscheinlich, weil keine Frau oder nur sehr wenige Frauen im Entwicklerteam waren oder zu wenig zu sagen hatten.
CW: Speziell Apple achtet darauf, divers aufzutreten. Zumindest erweckt der Hersteller diesen Eindruck an seinen Keynote-Events.
Fischer: Ein kultureller Wandel in einem Unternehmen, sodass alle inkludiert sind und alle Stimmen gehört werden, geschieht erst ab einem Frauenanteil von 20 bis 25 Prozent. Und zwar auf allen Hierarchiestufen und allen Funktionen. Das hat die Unternehmensberatung Boston Consulting Group ausführlich untersucht. Es reicht nicht, nur genügend Mitarbeiterinnen im Finance oder Marketing zu beschäf­tigen. Genauso, wie es wenig bringt, wenn eine Frau unter fünf Männern in der Geschäftsleitung sitzt. Sie hat praktisch keine Chance und kann aus dem eingespielten System gar nicht ausbrechen. Falls sie es versucht, wird sie als Frau identifiziert und quasi stigmatisiert, aber nicht als Fachexpertin wahrgenommen. Deshalb müssen sich männliche Verantwortliche in den Schweizer Unternehmen engagieren und möglichst viele Frauen einstellen, damit die heutigen Denkmuster verändert werden können.
CW: Aber es liegt doch letztlich an der individuellen Leis­tung eines jeden Einzelnen und dem Wunsch, ein Ziel erreichen zu wollen, um nach oben zu kommen. Oder liege ich hier falsch?
Fischer: Wären wir wirklich eine leistungsbasierte Gesellschaft, hätten wir gleich viele Männer wie Frauen in Führungspositionen. Allerdings ist die Realität eine andere. Wie der jährliche Glass Ceiling Index der OECD und des «The Economist» aufzeigt, rangiert die Schweiz auf Platz 26 von 29 OECD-Ländern. Der Untersuchung zufolge kommt die Entwicklung insgesamt sogar zum Stagnieren. Es wird also eher schwieriger für Frauen aufzusteigen.
Vuillerat: Das würde ja ansonsten bedeuten, dass wir deshalb weniger Frauen in Führungspositionen haben, weil sie weniger leisten. Was ja offensichtlich nicht der Fall ist.



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