«Ich habe Freude an ganz vielen Projekten»

Netzwerke über Geschäftsgrenzen hinweg

CW: Ihr CEO Christian Klein plant nun, SAP zum globalen Marktplatz für das Business zu entwickeln – nach dem Vorbild von Amazon. Was ist der Hintergrund?
Locher-Tjoa: Das SAP Business Network ist eine neue Lösung, welche die Zusammenarbeit von Unternehmen mit ihrem Netzwerk von Handelspartnern neu definiert. Sie sollen damit in der Lage sein, alle Interaktions- und Integrationspunkte zu vereinheitlichen, um schneller und intelligenter zu agieren. Die Vision von Christian Klein ist damit die Integration unserer Geschäftsnetzwerke – also Ariba Network, SAP Logistics Business Network und SAP Asset Intelligence Network – zur Vereinheitlichung von Geschäfts­prozessen in den Bereichen Zusammenarbeit mit Lieferanten, Logistikkoordination und Rückverfolgbarkeit. Diese Strategie wird Kunden und ihren Handelspartnern helfen, angesichts der sich verändernden Marktdynamik und der zunehmend komplexen Lieferketten flexibler und widerstandsfähiger zu werden und letztendlich bessere Geschäftsergebnisse zu erzielen.
Ein gutes Beispiel ist Folgendes: Ein Pharmaunternehmen muss seine Produkte schnell und mit der richtigen Temperatur herstellen, lagern und versenden, da fehlerhafte Medikamente schwere gesundheitliche Folgen haben können. Die Logistik für die Verteilung von zeit- und temperaturempfindlichen Medikamenten ist komplex, mit zahlreichen Berührungspunkten und Übergabeprozessen zwischen verschiedenen Partnern. Auf dem Weg von der Produktion zu den Auslieferungslagern und dann zu den Apotheken benötigen die Beteiligten in der gesamten Wertschöpfungskette einen Überblick über Temperatur, Zustand und den nächsten Standort. Mit SAP Business Network können die Handelspartner in der Wertschöpfungskette intelligente Warnmeldungen beispielsweise zu Temperaturveränderungen erhalten, die über eine zentrale Schnittstelle abgerufen werden können. Das Pharmaunternehmen sowie die Logistik- und Lieferkettenpartner können bestimmte Frachtaufträge aufschlüsseln, um Details anzuzeigen, Statusmeldungen zu überprüfen und proaktive Entscheidungen zu treffen.
CW: Die Pandemie hat gut aufgezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sind. Hier will SAP ebenfalls mit einer neuen Lösung helfen, die Nachhaltigkeit thematisiert. Gibt es Interesse bei den Schweizer Kunden?
Die grosse Innova­tionskraft der Schweizer SAP-Kunden bewundert Michael Locher-Tjoa
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa:
Die Nachfrage in der Schweiz ist definitiv vorhanden. Die Kunden sind sehr interessiert am CO2-Fussabdruck ihrer Lieferketten. Grund ist das Bedürfnis bei den Endkonsumenten, die wissen wollen, wie nachhaltig ein Produkt hergestellt wurde.
Da typischerweise viele verschiedene Firmen an der Herstellung und Lieferung eines Produkts beteiligt sind, sind wir als IT-Lieferant dieser Unternehmen gut in der Lage, eine Auskunft über den CO2-Fussabdruck zu geben. Die Schweizer Kunden von SAP wollen – auch aufgrund des Drucks der Konsumenten – hier Transparenz bieten.
Ein anderer Aspekt ist die Sicherheit in der Lieferkette. Aktuell sehen wir eine riesige Nachfrage nach Velos, die aufgrund von Lieferproblemen bei einzelnen Komponenten nicht bedient werden kann. Ich war persönlich doch sehr erstaunt, wo die Teile für ein Fahrrad überall gefertigt werden. Wenn nun nur eine dieser Fertigungsstätten nicht liefern kann, kommt es so zu einer Verknappung des Gesamtprodukts, wie wir sie gerade erleben. Wenn die Lieferanten aber über die IT – ihr SAP – miteinander vernetzt sind, können Engpässe erkannt und bestenfalls alternative Lieferanten gefunden werden.

«War for Talent» verschärft sich weiter

CW: Welches sind die grössten Herausforderungen für SAP Schweiz?
Locher-Tjoa: Das Finden und Binden von Fachkräften. Diese Herausforderung betrifft einerseits SAP, andererseits aber auch unsere Partner. In beiden Fällen ist der Bedarf viel höher, als wir ihn decken können. Das betrifft die Anzahl und auch die verschiedenen Kompetenzen für die vielen Projekte, die in näherer Zukunft anstehen.
Wir sprechen seit sicher mehr als zehn Jahren vom «War for Talent». Dieser hat sich in den vergangenen Jahren noch zusätzlich dadurch verschärft, dass nun auch unsere Kunden selbst eine digitale Transformation durchlaufen und die entsprechenden Fachleute rekrutieren. Coop und Migros haben grosse IT-Abteilungen und sicherlich auch freie Stellen, die für Informatikabsolventen vermutlich ebenso attraktiv sind wie eine Anstellung bei SAP.
Hinzu kommt die besondere Situation im Schweizer Markt. Sämtliche grossen IT-Hersteller und -Anbieter sind hierzulande präsent und es gibt noch grosse einheimische Player wie die Swisscom. Sie alle benötigen gut ausgebildete Fachkräfte – sei es in der Beratung, in der Entwicklung, im Marketing oder im Vertrieb.
Leider ist eine wirkliche Lösung für dieses Problem nicht in Sicht. Wir bilden zwar selber Fachkräfte aus. Aber auch dieses Personal in Kombination mit den Abgängern von den Hochschulen sowie Universitäten deckt den Bedarf nicht annähernd. Die Talente können sich ihre Jobs aussuchen, womit ich eine Brücke schlagen kann zu unseren Investitionen in das attraktive Arbeitsumfeld hier am neuen Standort im Circle.
SAPs Michael Locher-Tjoa hat Bedenken wegen der fehlenden Fachkräfte in der Schweiz
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Welche Pläne haben Sie mit SAP Schweiz für die nähere Zukunft?
Locher-Tjoa: Wir wollen unsere Kunden mitnehmen auf die Reise zum «Intelligent Enterprise». Sie haben künftig die Wahl, auch in die Cloud zu gehen, wobei allerdings die Cloud kein Imperativ ist.
Weiter müssen wir uns annähern an die Wertschöpfungskette unserer Kunden – und deren Kunden. Dafür haben wir schon länger die «Mode-2 Garage» in Betrieb, in der wir gemeinsam mit den Kunden Innovation treiben können. Auf der Basis von SAP-Technologie werden dort in kleinen Projekten konsumentennahe Prototypen ent­wickelt – wie beispielsweise die «smarte» Eistruhe der Migros, die ihr Inventar selbstständig kontrolliert und Ware automatisch nachbestellt. Oder die kassenlose «Avec box» von Valora, die ebenfalls in der «Garage» entstanden ist.
Zur Person und Firma
Michael Locher-Tjoa
leitet seit Juli 2018 die SAP Schweiz als Managing Director. Er war erst im Jahr zuvor als COO in die Schweiz gewechselt, stellte aber bereits seit 2013 sein Können in den Dienst von SAP: zuerst in Deutschland als Head of Automotive Sales und ab 2016 als Head of Services Sales PCS (Process, Consumer Goods and Services Industries). Zuvor bekleidete Locher-Tjoa verschiedene Führungspositionen bei IBM Deutschland. Er absolvierte das Studium der Verfahrenstechnik und studierte anschliessend Betriebswirtschaftslehre.
SAP Schweiz
wurde 1984 als erste selbstständige Tochter der deutschen Software-Firma SAP gegründet. Der Hauptsitz ist in Biel. Weitere Standorte in der Schweiz sind: The Circle Zürich, Lausanne und Tägerwilen. Der Fokus der geschätzt 770 Schweizer Mitarbeitern liegt auf dem Vertrieb, der Beratung, Schulung und dem Marketing rund um das Produktportfolio des ERP-Weltmarktführers.
www.sap.com/swiss



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