«Ich habe Freude an ganz vielen Projekten»

Personaldatenverwaltung in der Cloud

CW: Bleiben wir bei den Kunden. Sie haben zwei Riesenprojekte bei der Bundesverwaltung. Wie ist SAP Schweiz dort involviert?
Locher-Tjoa: Die Projekte liegen in der Verantwortung von SAP Schweiz. Natürlich können wir aber alle Ressourcen und Spezialisten des gesamten Konzerns nutzen. Denn es sind Leuchtturmprojekte, auf die wir auch sehr stolz sind.
Ein ganz spezielles Projekt ist allerdings die Einführung unserer Human-Resources-Lösung SuccessFactors bei der Bundesverwaltung. Besonders ist das Vorhaben deshalb, weil die Lösung in der Schweizer Cloud laufen wird und entsprechend auch die Datenhaltung in der Schweiz statt­findet. Dafür kooperieren wir mit unserem Hyperscaler-Partner Microsoft. In den Schweizer Rechenzentren installieren wir SuccessFactors auf der Azure-Plattform. Hier können wir demonstrieren, dass eine Cloud-Lösung auch innerhalb der Landesgrenzen mit SAP-Technologie realisiert werden kann. Geplant ist, die Anwendung Mitte nächsten Jahres in Betrieb zu nehmen. Anschliessend will der Bund die Software  auch für die Kantone und Gemeinden bereitstellen.
Wir wollen unsererseits nach Projektabschluss die komplett neu entwickelte Technologie auch anderen Branchen anbieten, zum Beispiel dem Gesundheitswesen. Denn auch dort handelt es sich um sensible Daten, die in der Schweiz gespeichert werden müssen.
CW: Gibt es ein Kundenprojekt, an dem Sie persönlich  besonders viel Freude hatten?
Michael Locher-Tjoa hat Freude an vielen SAP-Projekten bei Schweizer Kunden
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa: Nicht nur ein Projekt, sondern ganz viele machen mir viel Freude! [lacht]
Bemerkenswert ist die S/4Hana-Einführung beim Energieversorger Axpo. Das Unternehmen war schon SAP-Kunde zuvor und hat in dem Projekt nun genau kalkuliert, welchen Mehrwert das neue ERP-System liefern muss. Sie haben neue Prozesse implementiert, die über die verschiedenen Unternehmensbereiche hinweg funktionieren. Das war vorher nicht der Fall.
Die Pandemie führte dazu, dass die Einführung etwas länger gedauert hat als ursprünglich geplant. Via Teams-Meetings mit dem CEO, dem CFO und dem CIO konnten andere und ich aber das Projekt kontinuierlich begleiten und letztendlich den Erfolg sicherstellen.
CW: Sie sprechen die Prozessoptimierung an. Kam hier  die zugekaufte Signavio-Technologie zum Einsatz?
Locher-Tjoa: In diesem spezifischen Projekt noch nicht. Aber die jüngst zugekaufte Technologie wird in Zukunft vielen Kunden bei der Geschäftsprozesstransformation helfen. Denn viele Firmen arbeiten heute mit ganz individuell programmierten und hart kodierten Prozessen. Einige davon liegen quasi brach. Keiner benutzt sie mehr, sie müssen aber für den Fall der Fälle noch vorgehalten werden. Mit Signavio können wir auch diese Prozessleichen identifizieren, bei Bedarf neu modellieren und auf unserer neuen Plattform implementieren.
CW: Wie viel Entwicklung von SAP-Software geschieht typischerweise beim Kunden? Und wie viel liefern Sie Out of the Box mit?
Locher-Tjoa: Das Verhältnis ist sehr unterschiedlich von Projekt zu Projekt.
Allerdings basieren einige neue Produkte im SAP-Portfolio auf Co-Innovation. Ein schönes Schweizer Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Roche. Gemeinsam haben wir das «Clinical Trial System» entwickelt, das nun zum Bestandteil des Portfolios wird und dann von allen Kunden weltweit genutzt werden kann. Dank der Cloud-Lösung sind sogar die Einstiegshürden tief.
CW: Von Firmenverantwortlichen stammt die Kritik, dass SAP auf der neuen Plattform nicht mehr alle Funktionen abbildet, die das Vorgängerprodukt mitbrachte.
Locher-Tjoa: Es ist nicht immer möglich, alle Funktionen weiter zu unterstützen. Ein Nachfolgeprodukt soll ja vor allem auch neue Funktionalitäten bieten. Nehmen wir SAP IBP (Integrated Business Planning), das wir für die Cloud weiterentwickelt haben, ausgestattet mit neuen innovativen Funktionalitäten. Dort sind nahezu sämtliche wichtigen Funktionen nach und nach eingeflossen, die wir über Jahrzehnte in SAP APO (Advanced Planner and Optimizer) implementiert haben. Die Kunden können mittlerweile guten Gewissens APO mit IBP 1:1 ablösen, ohne Gefahr zu laufen, dass die für sie entscheidenden Prozesse nicht mehr unterstützt werden.
CW: Wie weit ist die Schweiz bei der Migration auf S/4Hana tatsächlich? Umfragen suggerieren uns ja, dass die Firmen eher noch am Anfang sind.
Michael Locher-Tjoa weiss um die Bedenken der SAP-Kunden, wenn sie ihr ERP nun ablösen sollen
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa: Die Wahrheit ist, dass viele unserer Kunden mit dem ECC ein sehr gut funktionierendes ERP betreiben. Nun soll dieses etablierte und über Jahre optimierte System abgelöst werden. Das tut weh.
Unser Ansatz ist aber nicht der 1:1-Ersatz. Vielmehr wollen wir die Kunden mitnehmen auf die Reise zu einem «Intelligent Enterprise». Diese Journey haben wir vor zehn Jahren mit der Ankündigung von S/4 gestartet. Heute ist das System so optimiert und weiterentwickelt, dass wir die Kunden tatsächlich in ein «Intelligent Enterprise» transformieren können – mit der Cloud als Plattform.
Das «Intelligent Enterprise» geht aber über das eigentliche ERP hinaus. Es integriert die verschiedenen bei den Kunden vorhandenen Line-of-Business-Applikationen wie Ariba oder SuccessFactors.
Hier hat SAP unter der Führung des neuen CEOs Christian Klein hohe Investitionen getätigt, um die nahtlose Inte­gration der Anwendungen zu gewährleisten. Wir sind hier noch nicht perfekt, aber mit den Neuentwicklungen wie beispielsweise Central Finance oder das eben erwähnte IBP zeigen wir doch, wie Integration funktionieren kann. Denn letztendlich ist die einheitliche Plattform das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von SAP.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Mit S/4Hana haben wir noch nicht alle Kunden erreicht. Jedoch setzen sich ausnahmslos alle Bestandskunden mit der Frage auseinander, wie ihr Weg zu S/4 aussehen wird.
CW: Sie haben die Partnerschaft mit Microsoft für die Cloud erwähnt. Welche Rolle spielt die Datenhaltung in der Schweiz in den Diskussionen über die Cloud als Plattform für SAP?
Locher-Tjoa: Data Privacy und auch Swissness spielen in der Diskussion mit den Schweizer Kunden eine grosse Rolle. Wir können nun den Kunden zeigen, dass wir diese Bedenken ernst genommen haben. Ob es überall notwendig ist, ist eine ganz andere Frage. Denn die Restriktionen gelten tatsächlich nur für bestimmte Märkte wie Healthcare oder öffentliche Verwaltungen.
Über die generellen Bedenken hinsichtlich Cloud wegen des möglichen Kontrollverlustes sind wir allerdings hinweg. Wenn die Daten in ein Rechenzentrum ausgelagert werden, in dem die höchsten Sicherheitsstandards gelten, ist das Vertrauen der Kunden mittlerweile vorhanden.



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