Michael Locher-Tjoa von SAP Schweiz 27.09.2021, 06:00 Uhr

«Ich habe Freude an ganz vielen Projekten»

Der ERP-Weltmarktführer SAP ist in der Schweiz sehr erfolgreich. Der Managing Director Michael Locher-Tjoa sagt im Interview, er habe Freude nicht nur an einem, sondern an ganz vielen Schweizer Projekten.
Michael Locher-Tjoa amtet seit mehr als drei Jahren als Managing Direktor von SAP Schweiz
(Quelle: Samuel Trümpy)
Schweizer Unternehmen sind treue Kunden des ERP-Anbieters SAP. Sie arbeiten seit Jahrzehnten mit den hoch entwickelten und soliden Produkten. Vielenorts stehen nun Migrationen an. Der Abschied von einer stabilen Plattform tut weh, weiss auch Michael Locher-Tjoa, Managing Director von SAP Schweiz. Er und seine Kollegen haben am neuen Firmensitz im Zürcher Circle alle Hände voll zu tun. Und suchen dringend noch mehr Mitarbeiter, wie Locher-Tjoa im Gespräch mit Computerworld betont.
Computerworld: Welches ist aktuell Ihr grösstes Projekt bei SAP Schweiz?
Michael Locher-Tjoa: Wir haben vor drei Jahren das Projekt «Relocation» gestartet, indem wir von unserem alten Standort Regensdorf in unsere neuen Büros im Circle am Zürcher Flughafen umgezogen sind. Das Hauptziel dieses Projekts war, ein attraktives Arbeitsumfeld für junge Talente zu schaffen. Zudem soll sich unsere Firmenkultur in den neuen Räumlichkeiten hier im Circle widerspiegeln.
Natürlich konnten wir zu Beginn des Projekts nicht vorhersehen, welche Auswirkungen der Lockdown und die Pandemie auf die Arbeitswelt haben werden. Mit neuen Arbeitsformen wie Home Office und mobiles Arbeiten, aber auch den Kollaborationszonen hier in den neuen Büros sehen wir uns nun gut aufgestellt, um die begehrten Fachleute zu halten und neu für uns zu gewinnen.
Das grösste Projekt bei unseren Kunden und Partnern war und ist die Transformation vom ECC auf S/4Hana. Dieser «digitale Kern» – wie wir ihn nennen – stellt für die Kunden eine leistungsfähige Basis für ihr Geschäft dar. Hinzu kommt die Cloud als optimale Betriebsplattform für die Business-Applikationen. Diese Transformation bei unseren Kunden war und ist für uns ein weiteres Grossprojekt.
CW: Nun regt sich in der Anwenderschaft allerdings ja Widerstand gegen die Migration ihrer Geschäftsanwendungen in die Cloud.
Locher-Tjoa: Aus Sicht von SAP Schweiz kann ich hier klar widersprechen: Der Wechsel in die Cloud war in der Schweiz immer schon weiter fortgeschritten als in anderen Märkten. Ich sehe einen Zusammenhang mit der hohen Innovationskraft hierzulande. Wir von SAP möchten die Firmen mit unseren neuen Lösungen in der Cloud unterstützen. Mit «Rise with SAP» haben wir Anfang Jahr zudem eine starke Initiative lanciert, welche die Transformation in die Cloud noch weiter fördern wird.
CW: Ist die Schweizer Niederlassung allenfalls auch der Vorreiter für neue Bürokonzepte?
Locher-Tjoa: Ja, uns kam nun allerdings auch der Umzug zugute. Am deutschen Hauptsitz in Walldorf wird aktuell ebenfalls renoviert, wobei wir in der Schweiz eines der Vorbilder sind. Global hat SAP das «Pledge to Flex»-Programm ins Leben gerufen, das flexibles und auf Vertrauen basierendes Arbeiten fördert. Ein Inhalt des Programms ist eine attraktive Bürogestaltung, ein anderer auf Nachhaltigkeit und Wohlbefinden ausgelegte Bürogebäude. Diese Konzepte haben wir hier im Circle bereits alle realisiert – unter starkem Einbezug unserer Mitarbeitenden.
CW: Gab es einen Vorschlag für die neuen Büros, den Sie bis anhin nicht umgesetzt haben?
Locher-Tjoa: Wir haben so gut wie alle Vorschläge unserer Mitarbeitenden auch realisiert. Differenzen gab es teilweise wegen der Einzelbüros. Denn einige Angestellten wünschten sich noch einen Raum für sich selbst. Diesen Spezialwünschen konnten wir nicht entsprechen. Wir haben stattdessen Einzelkabinen installiert, in denen konzentriert gearbeitet werden kann.
Weiter haben wir das Konzept der «Business Clubs» umgesetzt – für die einzelnen Geschäftsbereiche inklusive der zugehörigen Führungskräfte. «Business Clubs» haben definierte Flächen, auf denen sowohl gearbeitet werden kann als auch Meetings stattfinden können. Ein komplettes Stockwerk nur mit Konferenzräumen – wie wir es in Regensdorf hatten – gibt es nun nicht mehr.
CW: Nun schliesst sich allerdings die Frage an, ob denn der Managing Director von SAP Schweiz noch ein eigenes Büro hat.
Michael Locher-Tjoa radelt gern mit dem Velo in die neuen Büros von SAP Schweiz im Zürcher Circle
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa:
Ja, ich habe ein eigenes Büro. «Mein» Büro unterscheidet sich allerdings nicht von den anderen Büroräumlichkeiten. Überall stehen ein oder mehrere Schreibtische oder andere Arbeitsmöbel, die ich genau wie jeder andere nutzen kann.
Ansonsten folgt die Geschäftsführung von SAP Schweiz dem Prinzip der «Business Clubs» – allerdings mit einem Meeting-Raum für Geschäftsleitungssitzungen. Die Mitglieder der Geschäftsleitung mit ihren jeweiligen «Business Clubs» sind über die gesamte Bürofläche verteilt. Dieses Konzept fördert die Idee, dass ich genau wie die anderen Kollegen aus der Geschäftsleitung während eines Arbeitstages mit vielen verschiedenen Angestellten in Kontakt komme – beispielsweise in einer der Kaffeebars oder am Kickertisch. Das sind Spontankontakte, die sich sonst nur selten ergeben würden.
CW: Die neuen Büros sollen Talente anziehen. Wie gross ist das Fachkräfteproblem für SAP?
Locher-Tjoa: Mit dem Fachkräfteproblem in der Schweiz ist SAP nicht allein. Aus meinen regelmässigen Gesprächen mit Google, Microsoft oder Swisscom weiss ich, dass es für alle IT-Firmen eine grosse Herausforderung ist, passende Mitarbeitende zu rekrutieren. Und es betrifft nicht nur die Informatiker, sondern auch die Consultants und die Sales-Leute. An allen Ecken und Enden fehlt es an jungen Talenten, für die wir als Informatikfirmen neue Anreize bieten müssen.
Mit Anreizen meine ich nicht nur den Firmenwagen, sondern auch die leistungsgerechte Bezahlung und die flexi­blen Arbeitszeiten. Denn die jungen Menschen schauen – insbesondere in der Pandemie – nicht mehr zuerst auf den Tesla und das Salär, sondern suchen nach einer Möglichkeit, die Arbeit optimal mit der Freizeit zu verbinden.
Weiter spielt neu die Nachhaltigkeit vermehrt eine Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Die Mitarbeiter verzichten beispielsweise auf den Tesla und den Parkplatz, wenn sie den ÖV für die Fahrt ins Büro nutzen können. Dafür ist SAP Schweiz jetzt optimal aufgestellt, denn wir sind mit der Bahn und dem Bus wie auch per Velo genauso gut zu erreichen wie mit dem Auto und dem Flugzeug.
CW: Wie reisen Sie ins Büro?
Locher-Tjoa: Wenn es mein Arbeitstag erlaubt, radle ich gerne mit dem Velo ins Büro. Dann nutze ich die Duschen und Umkleideräume im Keller des Circles, die natürlich allen anderen Angestellten ebenfalls offenstehen.
Mit solchen Extras und der guten Verkehrsanbindung hoffen wir, auch Kandidaten aus der West- und Zentral­schweiz für den Arbeitsort Zürich gewinnen zu können. Während sie dort teilweise ein Auto für die Fahrt in die Firma benötigen, können sie hier bequem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ins Office reisen.

Neue Arbeitswelten bei SAP Schweiz

CW: Wie soll SAP Schweiz künftig arbeiten – wenn es nach dem Willen von Herrn Locher-Tjoa geht?
Locher-Tjoa: Vor der Pandemie hatten wir nicht fest­geschrieben, von wo die Angestellten arbeiten. Home Office und ähnliche Konzepte wurden oftmals in den verschiedenen Teams individuell geregelt. Allerdings hatten wir zum Beispiel mit den kostenfreien Getränken und dem bezahlten Mittagessen schon Anreize gegeben, dass die Mitarbeiter ins Büro reisen.
Der Lockdown und die Home-Office-Pflicht gaben den Ausschlag, dass wir nun einen Rahmen für die individuellen Regelungen geschaffen haben. Neu haben die Angestellten eine 100 Prozent flexible Arbeitsumgebung. Sie ist einerseits ein Signal an diejenigen Kollegen, die bisher individuelle Regelungen folgten. Und andererseits stärken die neuen Massnahmen die Work-Life-Integration, indem wir beispielsweise explizit auf Kinderbetreuung eingehen. Kinder können auch hier am neuen Standort in einen Hort gebracht werden, wenn die Präsenz der Mitarbeitenden im Büro notwendig ist.
CW: Wie passen Kundenbesuche vor Ort und auch im Circle in die flexible Arbeitsumgebung?
Locher-Tjoa: Die Kunden sind heute genauso flexibel und hybrid unterwegs. Jedoch gibt es hier grosse Unterschiede von Branche zu Branche und von Firma zu Firma. Unsere Kunden aus der Pharmasparte zum Beispiel sind als produzierendes Gewerbe noch in der «Phase rot». Besuche von extern sind dort nicht erlaubt, genau wie sie uns nicht besuchen dürfen. Bei anderen Kunden sind die Türen wieder geöffnet, oft aber mit entsprechenden Schutzkonzepten.
Angesichts dieser Situation sind wir dazu übergegangen, auch bei physischen Meetings eine virtuelle Teilnahmemöglichkeit anzubieten. Sie wird auch rege genutzt und funktioniert gut. Ich bin in diesem Zusammenhang froh, dass die Videokonferenz-Technologie mittlerweile aus­gereift ist. Wer erinnert sich nicht daran, wie man früher zuerst einen Desktop-Client installieren, für den ein Benutzerkonto erstellen und schliesslich auch noch die Leitungsqualität prüfen musste. Das war sehr mühsam.
CW: Haben Sie Verträge mit Neukunden abgeschlossen, die Sie noch nicht persönlich getroffen haben?
Während des Lockdowns hat Michael Locher-Tjoa von SAP eine neue Art der Projektabwicklung kennengelernt
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa: Ja, selbstverständlich haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren auch Verträge vollkommen virtuell abgeschlossen. Der Prozess ist allerdings schon bemerkenswert anders als vor der Pandemie. Obwohl wir dem Kunden in der Videokonferenz in die Augen blicken können und identische Fragestellungen beantworten, dauern die Verhandlungen viel länger. Es gibt viel mehr Meetings über viel mehr Details. Denn es gibt gefühlt auf beiden Seiten viel mehr Zeit für die einzelnen Anforderungen und auch die spezifische Lösungsfindung.
Wir als SAP Schweiz waren ehrlich gesagt überrascht, dass wir trotz der teilweise sehr komplexen Szenarien bei den Neukunden viele positive Ergebnisse erzielen konnten. Wir nehmen davon mit, dass insbesondere die Reisetätigkeit unserer Kollegen im Aussendienst doch problemlos reduziert werden kann. Nicht einmal für ein Consulting müssen die Mitarbeiter zwingend fünf Stunden zum Kunden reisen.
Ein weiterer positiver Aspekt ist die neue Meeting-Kultur: Mittlerweile sind alle Teilnehmer perfekt vorbereitet, sodass die Meetings meistens pünktlich und mit einem passenden Resultat abgeschlossen werden können. Die Kehrseite der Medaille ist: Nun werden viel mehr Meetings anberaumt. Wenn wir nun langsam zurückkehren in die hybride Arbeit – und ich doch tatsächlich ein physisches Meeting beim Kunden habe –, kann ich während der Fahrt natürlich an keinem virtuellen Meeting teilnehmen. Dieses Management müssen wir auch wieder neu lernen. [lacht]

Personaldatenverwaltung in der Cloud

CW: Bleiben wir bei den Kunden. Sie haben zwei Riesenprojekte bei der Bundesverwaltung. Wie ist SAP Schweiz dort involviert?
Locher-Tjoa: Die Projekte liegen in der Verantwortung von SAP Schweiz. Natürlich können wir aber alle Ressourcen und Spezialisten des gesamten Konzerns nutzen. Denn es sind Leuchtturmprojekte, auf die wir auch sehr stolz sind.
Ein ganz spezielles Projekt ist allerdings die Einführung unserer Human-Resources-Lösung SuccessFactors bei der Bundesverwaltung. Besonders ist das Vorhaben deshalb, weil die Lösung in der Schweizer Cloud laufen wird und entsprechend auch die Datenhaltung in der Schweiz statt­findet. Dafür kooperieren wir mit unserem Hyperscaler-Partner Microsoft. In den Schweizer Rechenzentren installieren wir SuccessFactors auf der Azure-Plattform. Hier können wir demonstrieren, dass eine Cloud-Lösung auch innerhalb der Landesgrenzen mit SAP-Technologie realisiert werden kann. Geplant ist, die Anwendung Mitte nächsten Jahres in Betrieb zu nehmen. Anschliessend will der Bund die Software  auch für die Kantone und Gemeinden bereitstellen.
Wir wollen unsererseits nach Projektabschluss die komplett neu entwickelte Technologie auch anderen Branchen anbieten, zum Beispiel dem Gesundheitswesen. Denn auch dort handelt es sich um sensible Daten, die in der Schweiz gespeichert werden müssen.
CW: Gibt es ein Kundenprojekt, an dem Sie persönlich  besonders viel Freude hatten?
Michael Locher-Tjoa hat Freude an vielen SAP-Projekten bei Schweizer Kunden
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa: Nicht nur ein Projekt, sondern ganz viele machen mir viel Freude! [lacht]
Bemerkenswert ist die S/4Hana-Einführung beim Energieversorger Axpo. Das Unternehmen war schon SAP-Kunde zuvor und hat in dem Projekt nun genau kalkuliert, welchen Mehrwert das neue ERP-System liefern muss. Sie haben neue Prozesse implementiert, die über die verschiedenen Unternehmensbereiche hinweg funktionieren. Das war vorher nicht der Fall.
Die Pandemie führte dazu, dass die Einführung etwas länger gedauert hat als ursprünglich geplant. Via Teams-Meetings mit dem CEO, dem CFO und dem CIO konnten andere und ich aber das Projekt kontinuierlich begleiten und letztendlich den Erfolg sicherstellen.
CW: Sie sprechen die Prozessoptimierung an. Kam hier  die zugekaufte Signavio-Technologie zum Einsatz?
Locher-Tjoa: In diesem spezifischen Projekt noch nicht. Aber die jüngst zugekaufte Technologie wird in Zukunft vielen Kunden bei der Geschäftsprozesstransformation helfen. Denn viele Firmen arbeiten heute mit ganz individuell programmierten und hart kodierten Prozessen. Einige davon liegen quasi brach. Keiner benutzt sie mehr, sie müssen aber für den Fall der Fälle noch vorgehalten werden. Mit Signavio können wir auch diese Prozessleichen identifizieren, bei Bedarf neu modellieren und auf unserer neuen Plattform implementieren.
CW: Wie viel Entwicklung von SAP-Software geschieht typischerweise beim Kunden? Und wie viel liefern Sie Out of the Box mit?
Locher-Tjoa: Das Verhältnis ist sehr unterschiedlich von Projekt zu Projekt.
Allerdings basieren einige neue Produkte im SAP-Portfolio auf Co-Innovation. Ein schönes Schweizer Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Roche. Gemeinsam haben wir das «Clinical Trial System» entwickelt, das nun zum Bestandteil des Portfolios wird und dann von allen Kunden weltweit genutzt werden kann. Dank der Cloud-Lösung sind sogar die Einstiegshürden tief.
CW: Von Firmenverantwortlichen stammt die Kritik, dass SAP auf der neuen Plattform nicht mehr alle Funktionen abbildet, die das Vorgängerprodukt mitbrachte.
Locher-Tjoa: Es ist nicht immer möglich, alle Funktionen weiter zu unterstützen. Ein Nachfolgeprodukt soll ja vor allem auch neue Funktionalitäten bieten. Nehmen wir SAP IBP (Integrated Business Planning), das wir für die Cloud weiterentwickelt haben, ausgestattet mit neuen innovativen Funktionalitäten. Dort sind nahezu sämtliche wichtigen Funktionen nach und nach eingeflossen, die wir über Jahrzehnte in SAP APO (Advanced Planner and Optimizer) implementiert haben. Die Kunden können mittlerweile guten Gewissens APO mit IBP 1:1 ablösen, ohne Gefahr zu laufen, dass die für sie entscheidenden Prozesse nicht mehr unterstützt werden.
CW: Wie weit ist die Schweiz bei der Migration auf S/4Hana tatsächlich? Umfragen suggerieren uns ja, dass die Firmen eher noch am Anfang sind.
Michael Locher-Tjoa weiss um die Bedenken der SAP-Kunden, wenn sie ihr ERP nun ablösen sollen
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa: Die Wahrheit ist, dass viele unserer Kunden mit dem ECC ein sehr gut funktionierendes ERP betreiben. Nun soll dieses etablierte und über Jahre optimierte System abgelöst werden. Das tut weh.
Unser Ansatz ist aber nicht der 1:1-Ersatz. Vielmehr wollen wir die Kunden mitnehmen auf die Reise zu einem «Intelligent Enterprise». Diese Journey haben wir vor zehn Jahren mit der Ankündigung von S/4 gestartet. Heute ist das System so optimiert und weiterentwickelt, dass wir die Kunden tatsächlich in ein «Intelligent Enterprise» transformieren können – mit der Cloud als Plattform.
Das «Intelligent Enterprise» geht aber über das eigentliche ERP hinaus. Es integriert die verschiedenen bei den Kunden vorhandenen Line-of-Business-Applikationen wie Ariba oder SuccessFactors.
Hier hat SAP unter der Führung des neuen CEOs Christian Klein hohe Investitionen getätigt, um die nahtlose Inte­gration der Anwendungen zu gewährleisten. Wir sind hier noch nicht perfekt, aber mit den Neuentwicklungen wie beispielsweise Central Finance oder das eben erwähnte IBP zeigen wir doch, wie Integration funktionieren kann. Denn letztendlich ist die einheitliche Plattform das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von SAP.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Mit S/4Hana haben wir noch nicht alle Kunden erreicht. Jedoch setzen sich ausnahmslos alle Bestandskunden mit der Frage auseinander, wie ihr Weg zu S/4 aussehen wird.
CW: Sie haben die Partnerschaft mit Microsoft für die Cloud erwähnt. Welche Rolle spielt die Datenhaltung in der Schweiz in den Diskussionen über die Cloud als Plattform für SAP?
Locher-Tjoa: Data Privacy und auch Swissness spielen in der Diskussion mit den Schweizer Kunden eine grosse Rolle. Wir können nun den Kunden zeigen, dass wir diese Bedenken ernst genommen haben. Ob es überall notwendig ist, ist eine ganz andere Frage. Denn die Restriktionen gelten tatsächlich nur für bestimmte Märkte wie Healthcare oder öffentliche Verwaltungen.
Über die generellen Bedenken hinsichtlich Cloud wegen des möglichen Kontrollverlustes sind wir allerdings hinweg. Wenn die Daten in ein Rechenzentrum ausgelagert werden, in dem die höchsten Sicherheitsstandards gelten, ist das Vertrauen der Kunden mittlerweile vorhanden.

Netzwerke über Geschäftsgrenzen hinweg

CW: Ihr CEO Christian Klein plant nun, SAP zum globalen Marktplatz für das Business zu entwickeln – nach dem Vorbild von Amazon. Was ist der Hintergrund?
Locher-Tjoa: Das SAP Business Network ist eine neue Lösung, welche die Zusammenarbeit von Unternehmen mit ihrem Netzwerk von Handelspartnern neu definiert. Sie sollen damit in der Lage sein, alle Interaktions- und Integrationspunkte zu vereinheitlichen, um schneller und intelligenter zu agieren. Die Vision von Christian Klein ist damit die Integration unserer Geschäftsnetzwerke – also Ariba Network, SAP Logistics Business Network und SAP Asset Intelligence Network – zur Vereinheitlichung von Geschäfts­prozessen in den Bereichen Zusammenarbeit mit Lieferanten, Logistikkoordination und Rückverfolgbarkeit. Diese Strategie wird Kunden und ihren Handelspartnern helfen, angesichts der sich verändernden Marktdynamik und der zunehmend komplexen Lieferketten flexibler und widerstandsfähiger zu werden und letztendlich bessere Geschäftsergebnisse zu erzielen.
Ein gutes Beispiel ist Folgendes: Ein Pharmaunternehmen muss seine Produkte schnell und mit der richtigen Temperatur herstellen, lagern und versenden, da fehlerhafte Medikamente schwere gesundheitliche Folgen haben können. Die Logistik für die Verteilung von zeit- und temperaturempfindlichen Medikamenten ist komplex, mit zahlreichen Berührungspunkten und Übergabeprozessen zwischen verschiedenen Partnern. Auf dem Weg von der Produktion zu den Auslieferungslagern und dann zu den Apotheken benötigen die Beteiligten in der gesamten Wertschöpfungskette einen Überblick über Temperatur, Zustand und den nächsten Standort. Mit SAP Business Network können die Handelspartner in der Wertschöpfungskette intelligente Warnmeldungen beispielsweise zu Temperaturveränderungen erhalten, die über eine zentrale Schnittstelle abgerufen werden können. Das Pharmaunternehmen sowie die Logistik- und Lieferkettenpartner können bestimmte Frachtaufträge aufschlüsseln, um Details anzuzeigen, Statusmeldungen zu überprüfen und proaktive Entscheidungen zu treffen.
CW: Die Pandemie hat gut aufgezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sind. Hier will SAP ebenfalls mit einer neuen Lösung helfen, die Nachhaltigkeit thematisiert. Gibt es Interesse bei den Schweizer Kunden?
Die grosse Innova­tionskraft der Schweizer SAP-Kunden bewundert Michael Locher-Tjoa
Quelle: Samuel Trümpy
Locher-Tjoa:
Die Nachfrage in der Schweiz ist definitiv vorhanden. Die Kunden sind sehr interessiert am CO2-Fussabdruck ihrer Lieferketten. Grund ist das Bedürfnis bei den Endkonsumenten, die wissen wollen, wie nachhaltig ein Produkt hergestellt wurde.
Da typischerweise viele verschiedene Firmen an der Herstellung und Lieferung eines Produkts beteiligt sind, sind wir als IT-Lieferant dieser Unternehmen gut in der Lage, eine Auskunft über den CO2-Fussabdruck zu geben. Die Schweizer Kunden von SAP wollen – auch aufgrund des Drucks der Konsumenten – hier Transparenz bieten.
Ein anderer Aspekt ist die Sicherheit in der Lieferkette. Aktuell sehen wir eine riesige Nachfrage nach Velos, die aufgrund von Lieferproblemen bei einzelnen Komponenten nicht bedient werden kann. Ich war persönlich doch sehr erstaunt, wo die Teile für ein Fahrrad überall gefertigt werden. Wenn nun nur eine dieser Fertigungsstätten nicht liefern kann, kommt es so zu einer Verknappung des Gesamtprodukts, wie wir sie gerade erleben. Wenn die Lieferanten aber über die IT – ihr SAP – miteinander vernetzt sind, können Engpässe erkannt und bestenfalls alternative Lieferanten gefunden werden.

«War for Talent» verschärft sich weiter

CW: Welches sind die grössten Herausforderungen für SAP Schweiz?
Locher-Tjoa: Das Finden und Binden von Fachkräften. Diese Herausforderung betrifft einerseits SAP, andererseits aber auch unsere Partner. In beiden Fällen ist der Bedarf viel höher, als wir ihn decken können. Das betrifft die Anzahl und auch die verschiedenen Kompetenzen für die vielen Projekte, die in näherer Zukunft anstehen.
Wir sprechen seit sicher mehr als zehn Jahren vom «War for Talent». Dieser hat sich in den vergangenen Jahren noch zusätzlich dadurch verschärft, dass nun auch unsere Kunden selbst eine digitale Transformation durchlaufen und die entsprechenden Fachleute rekrutieren. Coop und Migros haben grosse IT-Abteilungen und sicherlich auch freie Stellen, die für Informatikabsolventen vermutlich ebenso attraktiv sind wie eine Anstellung bei SAP.
Hinzu kommt die besondere Situation im Schweizer Markt. Sämtliche grossen IT-Hersteller und -Anbieter sind hierzulande präsent und es gibt noch grosse einheimische Player wie die Swisscom. Sie alle benötigen gut ausgebildete Fachkräfte – sei es in der Beratung, in der Entwicklung, im Marketing oder im Vertrieb.
Leider ist eine wirkliche Lösung für dieses Problem nicht in Sicht. Wir bilden zwar selber Fachkräfte aus. Aber auch dieses Personal in Kombination mit den Abgängern von den Hochschulen sowie Universitäten deckt den Bedarf nicht annähernd. Die Talente können sich ihre Jobs aussuchen, womit ich eine Brücke schlagen kann zu unseren Investitionen in das attraktive Arbeitsumfeld hier am neuen Standort im Circle.
SAPs Michael Locher-Tjoa hat Bedenken wegen der fehlenden Fachkräfte in der Schweiz
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Welche Pläne haben Sie mit SAP Schweiz für die nähere Zukunft?
Locher-Tjoa: Wir wollen unsere Kunden mitnehmen auf die Reise zum «Intelligent Enterprise». Sie haben künftig die Wahl, auch in die Cloud zu gehen, wobei allerdings die Cloud kein Imperativ ist.
Weiter müssen wir uns annähern an die Wertschöpfungskette unserer Kunden – und deren Kunden. Dafür haben wir schon länger die «Mode-2 Garage» in Betrieb, in der wir gemeinsam mit den Kunden Innovation treiben können. Auf der Basis von SAP-Technologie werden dort in kleinen Projekten konsumentennahe Prototypen ent­wickelt – wie beispielsweise die «smarte» Eistruhe der Migros, die ihr Inventar selbstständig kontrolliert und Ware automatisch nachbestellt. Oder die kassenlose «Avec box» von Valora, die ebenfalls in der «Garage» entstanden ist.
Zur Person und Firma
Michael Locher-Tjoa
leitet seit Juli 2018 die SAP Schweiz als Managing Director. Er war erst im Jahr zuvor als COO in die Schweiz gewechselt, stellte aber bereits seit 2013 sein Können in den Dienst von SAP: zuerst in Deutschland als Head of Automotive Sales und ab 2016 als Head of Services Sales PCS (Process, Consumer Goods and Services Industries). Zuvor bekleidete Locher-Tjoa verschiedene Führungspositionen bei IBM Deutschland. Er absolvierte das Studium der Verfahrenstechnik und studierte anschliessend Betriebswirtschaftslehre.
SAP Schweiz
wurde 1984 als erste selbstständige Tochter der deutschen Software-Firma SAP gegründet. Der Hauptsitz ist in Biel. Weitere Standorte in der Schweiz sind: The Circle Zürich, Lausanne und Tägerwilen. Der Fokus der geschätzt 770 Schweizer Mitarbeitern liegt auf dem Vertrieb, der Beratung, Schulung und dem Marketing rund um das Produktportfolio des ERP-Weltmarktführers.
www.sap.com/swiss



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