27.10.2008, 13:31 Uhr

Banken-Sites im Härtetest

Die Analyse der Internetauftritte von 26 Schweizer Finanzinstituten förderte Erschreckendes zutage. Über 50 Prozent aller Kundenanfragen enden im vorzei­tigen Abbruch. Was machen Schweizer Banken und Versicherer falsch?
Die Experton Group analysierte im Oktober 2008 die Internetauftritte von 26 Schweizer Finanzdienstleistern, darunter 14 Banken und 12 Versicherer. Die Webpräsenzen von Schwergewichten wie UBS, Credit Suisse und AXA Winterthur, aber auch von kleineren Regional- und Kantonalbanken, standen auf dem Prüfstand. Exemplarisch spielten die Experton-Berater die kundenorientierten Prozesse «Kreditanfrage» und «Abschluss einer Hausrats-/Sachversicherung» durch und warfen ein kritisches Auge auf die technische Qualität des Auftritts. Dabei standen drei Testkriterien im Vordergrund:
1. Technologie: Schöpft das Finanzhaus die Chancen neuer Internet-Technologien aus?

2. Kundennutzen: Steht der Nutzen für den Kunden und das Geschäftsziel (Lead-Generierung, Abschluss) konsequent im Vordergrund?

3. Prozesse: Was verrät die Website über die Prozessübergänge im Unternehmen, also über die Unternehmensorganisation? Gibt es dort Optimierungspotenzial?

Das Ergebnis: Schweizer Finanzinstitute machen nur sehr zaghaft Gebrauch von neuen Technologien und lernen damit langsamer, in mancher Hinsicht sogar deutlich langsamer, als der europäische Durchschnitt. Zudem fällt auf, dass marktführende Schweizer Finanzdienstleister die Prozessketten: Kundenbedarfsanalyse, Pflichtenanforderung an Agenturen und IT, gestalterische und technische Umsetzung und Qualitätssicherung wenig beherrschen.

Testergebnisse im Detail

Beispiel Suchmaschinen-Integration: Der Umfang der Websites hat in den letzten fünf Jahren extrem zugenommen - in der Banken- und Versicherungsbranche um den Faktor 29. Das entspricht nahezu einer Umfangsverdopplung pro Jahr. Für den interessierten Kunden wird das Werkzeug Suchmaschine deshalb immer wichtiger - nicht aber für die Banken und Versicherungen. Zwar bieten mehr als 90 Prozent der Auftritte eine Suchoption an, aber schon aus gestalterischer Sicht stellt sich die Integration der Suchmaschine als lieblose Pflichtübung dar: Mehr als die Hälfte ist nicht nutzerfreundlich integriert; 54 Prozent zeigen die Suchergebnisse nicht im textlichen Kontext an; 58 Prozent heben den Suchbegriff nicht hervor.

Auch funktional gibt es Optimierungspotenzial: So liefert etwa die Suche nach «Steuer» keinen Treffer, weil nur «Steuern» gefunden werden (je nach Website auch vice versa). Nicht nur bei der Zürcher Versicherungsgesellschaft ist die Profi-Option «erweiterte Suche» nicht benutzbar.

Viele Finanzhäuser verpassen ausserdem die Chance, die Aufmerksamkeit des Kunden durch eine geschickte Präsentation der Suchergebnisse zu steuern. Nur die Basler Versicherungen gruppieren die Suchergebnisse geschäftsorientiert und versehen sie mit Produktverweisen. Lediglich die Raiffeisen Schweiz Genossenschaft und die UBS liefern weiterführende Suchempfehlungen, die den Kunden leiten. In dieser Hinsicht sind europäische Finanzinstitute den Schweizer Kollegen voraus.

Fehler schaden dem Geschäft

Interessante Rückschlüsse lässt der Technologieeinsatz bei der Erstellung der Webseiten zu. Zu den technischen Kriterien zählen dabei die Code-Qualität (HTML, JavaScript), die Stylesheet-Programmierung und Serverkonfiguration sowie das Verhalten der Website beim Aufruf nicht mehr existierender Webseiten. So nehmen beispielsweise die Migros Bank und die Neue Aargauer Bank in einer .css-Datei 104 respektive 74 Definitionen des Schrifttyps «Arial» vor. Das zeigt deutlich: Die Dienstleister haben eine falsche Vorstellung davon, wie CSS funktioniert und was «cascading» bedeutet. Wenn es mal hakt, muten immerhin 19,2 Prozent ihren Nutzern die rohe Systemfehlermeldung zu, darunter AXA Winterthur, die Basler Versicherungen und die Liechtensteinische Landesbank.

Die Analyse zeigt ausserdem, dass eingesetzte Techniken und Features nur in geringem Ausmass am Kunden ausgerichtet sind. Links zu Geschäftsbereichen sind häufig einfacher zu finden als Zugänge zu Kontoeröffnung oder Online-Rechnern. Dass dann die Online-Kunden ausbleiben, wundert nicht.

Entscheidend sind aber nicht nur die Bewertungen der Einzeldisziplinen. Die Methode der Experton Group erlaubt Rückschlüsse auf das interne Prozessgefüge der Unternehmen. Resultat: die Kommunikation der relevanten Akteure (Management, Fachabteilung, Marketing, Vertrieb, Agenturen, IT) ist verbesserungswürdig. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass es in Banken und Versicherungen an Qualitätssicherungs-Massnahmen aufseiten der Fachabteilungen gegenüber Agenturen und IT mangelt. Unverständlich bleibt, warum bei sechs- bis siebenstelligen Budgets für den Launch beziehungsweise Relaunch einer Website offensichtlich kaum Ressourcen für die kontinuierliche Qualitätssicherung und Zielüberprüfung eingeplant werden.

Teuer werden handwerkliche Patzer insbesondere bei Änderungen und Anpassungen - sei es an neue Browser-Versionen, neue Designvorgaben oder an Vorgaben für ergonomische Optimierung. Und noch stärker schlagen diese Aspekte bei Aufwendungen für Erweiterungen durch. Zwar hat sich die Codequalität seit 2002 eindeutig verbessert, sie liegt aber weit unter dem europäischen Durchschnitt. In der Schweiz basieren nur etwa 20 Prozent der Auftritte konsequent auf Stylesheets, der europäische Branchendurchschnitt liegt bei über 60 Prozent.

Kontakt zum Online-Kunden

Ein Ergebnis der Studie: Bei Schweizer Banken und Versicherungen ist Web 2.0 noch nicht angekommen. Der Übergang von Webseiten als Kommunikationsmedium (Web 1.0) zum geschäftsrelevanten Interaktions-Medium (Web 2.0) ist nur in Ansätzen zu erkennen. Insbesondere das online eingesetzte Formularmanagement von Schweizer Finanzinstituten bietet ein hohes Optimierungspotenzial. Es ist davon auszugehen, dass weit über 50 Prozent der Anfragen, wie sie im Rahmen dieser Studie gestellt wurden, in der Praxis nicht zu einem Lead, geschweige denn zu einer Abschlussvoraussetzung führen. Die Schätzung basiert auf einer Zählung von Sollbruchstellen. Tritt innerhalb eines Prozesses die dritte Bruchstelle auf, wurde der Ausstieg des Kunden unterstellt.

Insbesondere dem ersten Eindruck beim Besuch einer Webseite kommt grosse Bedeutung zu. Die Geschäftsrelevanz liegt dabei in der Wahrscheinlichkeit, dass in einer von neuen Geschäften abhängigen Dienstleistungsbranche eine Produktnachfrage zumindest zu einem qualifizierten Kontakt wird. Dies entscheidet sich nicht erst nach einem mehrminütigen Spiessrutenlauf durch den Formular-Workflow, sondern bereits nach den ersten zehn bis zwanzig Sekunden, in denen Einstiegspunkte erst gar nicht gefunden werden.

Das Abbruchpotenzial, das heisst die Wahrscheinlichkeit, dass Online-Nachfragen nach Finanzprodukten zu einem vorzeitigen Abbruch führen, liegt in der Schweiz bei über 50 Prozent. Damit liegt die Schweiz gleichauf mit Grossbritannien. Frankreich schneidet mit einer Abbruchwahrscheinlichkeit von über 60 Prozent deutlich schlechter ab; Deutschland steht mit über 40 Prozent etwas besser da. Hinzu kommen hohen Folgekosten, verursacht durch fehlende Plausibilitätskontrollen bei der Online-Datenerfassung.

Empfehlungen für Finanzinstitute

Finanzhäuser sollten besonders in schlechten Zeiten konsequent kunden- und geschäftsorientiert vorgehen, auch im Internet. Die Verbesserung der Kommunikation zwischen allen Akteuren ist dabei Voraussetzung für den Erfolg. Auch an Aufbau und Umsetzung von Zielerreichungsanalysen und Qualitätssicherungsmassnahmen müssen Schweizer Finanzinstitute mehr Energie verwenden.
Die Entwicklung einer integrativen Kompetenz auf der Unternehmensführungs- und Fachseite ist dabei oberstes Gebot, um Massnahmen zielorientiert steuern und kontrollieren zu können. Methoden eines aufgeklärten «business-alignment» werden in den kommenden Zeiten kritischer Budget-Runden für Fach- und Marketingabteilungen zum neuen Handwerkskasten, der ihnen hilft, den Anforderungen des Markts erfolgreich zu begegnen.
Zu den Autoren: Andreas Zilch ist Senior Vice President der Experton Group, Bernd Wendt ist Projektleiter im gleichen Unternehmen



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