Analyse 12.02.2014, 11:00 Uhr

Seco-Fall und Konsequenzen

Im Seco wurden offenbar grosszügig Informatik-Gelder verschwendet. Eine Ursache ist die nicht adäquate IT-Beschaffungspraxis. Sie ist anfällig für Unregelmässigkeiten.
Peter Fischer sieht dem ISB die Hände gebunden bei der IT-Beschaffung der Departemente
Ein Mitarbeiter des Staatsekretariats für Wirtschaft (Seco) sitzt in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, Steuerfranken für Informatik-Systeme verschwendet zu haben. Angeblich sind Millionenauftrgeunter der Hand vergeben und anschliessend künstlich aufgebläht worden. Der Seco-Angestellte soll dafür mit persönlichen Vergünstigungen wie Ferienreisen oder VIP-Tickets belohnt worden sein. Soweit die Schlagzeilen der letzten Wochen. Der Seco-Fall bringt einerseits die Informatik des Bundes wieder in die Medien, andererseits die Beschaffung der öffentlichen Hand in die Diskussion. Beides sind keine neuen Themen. Der Insieme-Fall im Sommer 2012 hätte schon als Warnschuss genügen müssen ? hat er aber offensichtlich nicht. Das wirft die Frage nach einer Kontrollinstanz auf. Eine Aufgabe für den Delegierten für die Informatiksteuerung des Bundes und das Informatiksteuerungsorgan des Bundes ISB? Peter Fischer sieht seine Organisation jedoch in der passiven, beratenden Rolle: «Für die Fachprojekte sind operativ tatsächlich die Ämter zuständig. Das ISB kann ihnen neben den architektonischen und technischen Vorgaben heute nur beratend zur Seite stehen, wenn sie es wünschen», erklärt er.

Berner Fürstentümer

Selbst wenn Fischer mehr Macht hätte, um Debakel bei Informatikprojekten zu verhindern, würde es ihm wahrscheinlich wenig nützen: «Auch wenn das ISB gern steuern würde, die Fürstentümer in den Departementen lassen die Einflussnahme von aussen nicht zu», sagt Swico-Geschäftsführer Jean-Marc Hensch. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller, die Informatikkompetenz in den Verwaltungen zu erhöhen. Die zuständigen Personen wüssten dann eher, auf was sie sich bei einem Projekt einlassen, wenn sie es ausschreiben oder auch freihändig zuschlagen. Das ISB hat hier nach Auskunft von Fischer eine «massive Aus-und Weiterbildungsoffensive» lanciert und durchgeführt. Nächste Seite: WTO-Korsett für Informatik Die meisten Branchenvertreter sehen in der heute geltenden Ausschreibungspflicht nach WTO (World Trade Organization) einen Hauptgrund für die Schieflage in der Bundes-IT. «Das Beschaffungswesen des Bundes funktioniert nicht für IT-Projekte. Das ist das Problem. Weil die Geschäftsprozesse nicht funktionieren, sind die Ämter gezwungen, diese zu umgehen», sagt ICTswitzerland-Präsident Ruedi Noser. «Man muss also diese Prozesse endlich anpassen und sich nicht dauernd hinter den WTO-Regeln verschanzen.» Sein Vorschlag ist ein flchendeckendes Vertragsmanagement in der Bundesverwaltung.
Andere Stimmen fordern ein zentrales Register für alle Informatikbeschaffungen ? oder auch eine öffentliche Datenbank mit allen Aufträgen über 50'000 Franken. Jedoch lösen auch diese Vorschläge die eigentlichen Probleme der Bundes-IT nicht. «Wem nützt es, wenn sich die Öffentlichkeit in den IT-Projekten suhlt?», fragt Swico-Geschäftsführer Hensch. Die Kontrolle sei Aufgabe des Bundes, etwa der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK. Diese hat die Bundes-Informatik seit April an die kürzere Leine genommen. Seitdem gelten die «Weisungen des Bundesrates fr IKT-Schlsselprojekte» ? allerdings nur für Grossvorhaben über 30 Millionen Franken.

Kaum Dialogverfahren

Das Gros der Beschaffungen liegt unter dem Schwellenwert von einer Million, weiss Reto Maduz vom Verband swissICT. Hierbei müssen die Beschaffungsstelle und die potenziellen Lieferanten immer wieder abwägen, ob sich der Aufwand einer Ausschreibung respektive eines Angebots lohnt. Gleichzeitig schwingt auf beiden Seiten Verunsicherung mit bei vielen Faktoren: Ist die Veröffentlichung korrekt, passt die Offerte zum Beschaffungsgegenstand, sind versteckte Kriterien in dem Text enthalten, die einen Lieferanten bevorzugen, und legt ein Wettbewerber Rekurs ein? Nächste Seite: WTO nicht ausgereizt
Die Verunsicherung von Behörden und Anbietern muss nicht sein, meint Jean-Marc Hensch vom ICT-Verband Swico. Selbst innerhalb des geltenden Rechts seien Varianten möglich, die eine WTO-Beschaffung von komplexen Informatiklösungen vereinfachen würden. Der Aufwand, weiss auch Hensch, ist dann aber noch grösser. «Die Mitglieder des Swico-Verbandes bedauern, dass kaum Dialogverfahren geführt werden», sagt Hensch. Bei dieser WTO-Variante wird die Ausschreibung auf Funktionen fokussiert und eine beschränkte Anzahl Anbieter werden für den Dialog zugelassen. Dabei besteht zwar die Gefahr des Informationsabflusses zu den Konkurrenten während des Verfahrens. Diesen Nachteil, sagt Hensch, würden die im Swico organisierten ICT-Firmen allerdings durchaus in Kauf nehmen. Die IT-Anbieter haben allerdings kaum Gelegenheit, sich mit der Gefahr des Informationsabflusses auseinander zu setzen. Denn das Dialogverfahren wird so gut wie nicht angewendet. Marco Fetz, Stellvertretender Leiter des Bereichs Logistik beim Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, gab an der letztjährigen IT-Beschaffungskonferenz in Bern zu Protokoll, sein Amt habe «erst wenige» Dialogverfahren lanciert. Die Informatik-Anbieter müssen diese Variante in Zukunft vermehrt einfordern.

Services statt Eigenentwicklung

Allenfalls überholt die fortschreitende Industrialisierung der IT aber auch die Entwicklungen im Beschaffungswesen. Niemand muss einen Exchange oder ein SAP selbst aufwendig implementieren und betreiben, wenn diese Leistungen auch als Service bezogen werden können. Das Bundesamt für Informatik BIT übt sich beim Computer-Arbeitsplatz und UCC (Unified Communications and Collaboration) bereits an standardisierten Lösungen. Standardisierte Produkte sind einfacher vergleichbar, passen besser in das WTO-Korsett. Wenn eine Behörde statt einer Eigenentwicklung eine Lösung von der Stange ausschreibt, wäre dies mit der Anschaffung von Triebwagen für die SBB vergleichbar. Grösstes Problem: Nicht jeder ? vielmehr kaum ein ? Anbieter kann Industrie-IT liefern.



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