27.10.2015, 05:26 Uhr

Wie viel Marketing ist IBMs Watson?

Die Marktbegleiter halten IBMs Supercomputer Watson für Marketing. An der IBM-Konferenz «Insight» wurden diverse Anwendungen gezeigt. Watson ist mehr als Marketing.
An IBMs Supercomputer Watson scheiden sich die Geister. Wettbewerber sprechen von einer Marketingkampagnefür Analytik-Produkte. IBM selbst hält vollmundig dagegen, dass mit Watson nicht weniger als ein neues Computing-Zeitalter beginnt. Die Maschine leistet «kognitives Computing» und erleichtert dem Benutzer die Entscheidungsfindung. An der Hausmesse «Insight» in Las Vegas demonstrierte Big Blue Stärke, liess die (neuen) Kunden über Watson sprechen und vergass auch seine Altkunden nicht.
Bob Picciano, gab zur Eröffnung der Konferenz zu, dass IBM massiv in Watson investiere. Im vergangenen Geschäftsjahr sei das Analytik-Business allerdings auch um 20 Prozent gewachsen, so der Senior Vice President. Die bis anhin erfolgreichste Anwendung der Technologie ist die Medizin. «Ärzte hatten durch den Computer bisher nur zusätzlichen Aufwand, wenn sie Untersuchungsberichte eintippen mussten», sagte Picciano. Watson erleichtere den Medizinern die Diagnose, indem die Maschine Millionen Befunde analysiere. So könnten Computer zum Arzthelfer werden – wie in Unternehmen, in denen Computer den Mitarbeitern die Arbeit erleichtert habe. Das war kein Marketing mehr.

Schweizer Vorzeige-Kunde

Die nächsten Entwicklungen rund um Watson skizzierte Piccianos Kollege Mike Rhodin. An erster Stelle stand für ihn der neu gewonnene Schweizer Kunde: Sichtlich strahlend berichtete er den rund 9000 Konferenzteilnehmern, dass Swiss Re zusammen mit IBM die Technologie für Anwendungen im Versicherungsbereich weiterentwickelt. Die Kooperation war letzte Woche bekannt gegeben worden. Bei dem Rückversicherer und auch bei anderen Projekten werden einerseits die Analytik-Methoden von Watson verwendet, aber auch die fortentwickelten Technologien, mit denen der Computer quasi das «Sehen» lernt. Rhodin unterschied zwischen «Light Data» und «Dark Data»: Computer konnten bis anhin Informationen aus strukturierten Quellen verarbeiten, nicht aber aus unstrukturierten. Beispiele sind Bilder sowie Audio- und Videoaufnahmen. Anwendungen für die Radiologie würden nun beweisen, dass Watson beispielsweise in Röntgenbildern Muster erkennen und diese mit Befunden von Patienten mit ähnlichen Diagnosen vergleichen kann. Wenn der Computer quasi «sieht», kann dem Arzt die langwidrige Vergleichsarbeit erleichtert werden. Rhodin verschwieg, dass ein medizinisches Hilfsgerät wie der Watson-Computer erst Prüfgremien wie der FDA (Food and Drug Administration) den Beweis antreten müssen, dass sie in Kombination besser sind als der Mediziner allein. Der Nachweis steht noch aus, hiess es jüngst beim Medientag von IBM Research Zurich.

Gespräch mit einem Roboter

Ein anderes Hindernis für die Adaptation von Watson ist die Sprache. Der Computer versteht bis anhin nur Englisch. Der IBM-Partner Softbank hat auf der Basis von Watson-Technologie einen Roboter entwickelt, der auch Japanisch versteht. Der Droide «Pepper» testete auf der «Insight»-Bühne Rhodins Japanisch-Kenntnisse und erklärte dem Manager auch, welche Vor- sowie Nachteile der Einsatz von Robotern im Berufsalltag hat. Er kann Aufgaben in Gefahrenzonen erledigen, aber auch Routinetätigkeiten übernehmen, die den Mensch überflüssig machen, so «Pepper». Die Roboter-Demonstration sollte zeigen, dass Watson einerseits Japanisch versteht, andererseits auch Argumente und Gegenargumente liefern kann. Über beide Entwicklungen sprach Forschungsleiter Guruduth Banavarschon im Februar mit Computerworld. Die Technologie funktioniert offenbar nun – zumindest in der Demo. Der Droide «Pepper» bezieht seine Fähigkeiten nicht aus dem Serverraum, so Rhodin. Aus der Maschine Watson sei mittlerweile eine Watson-Plattform geworden. Die verschiedenen Funktionen der Technologie liessen sich via rund 30 APIs gezielt ansteuern. Nächste Seite: am Montag spricht niemand über Eis Heute nutzen 430 Partner die 30 Schnittstellen zu Watson für eigene Anwendungen, erklärte Rhodin. Prominente Kunden seien Twitter, The Weather Company und Coca-Cola. Weniger bekannt ist VineSleuth. Den Beweis lieferten Vertreter der vier Unternehmen auf der «Insight»-Bühne.

Schuld ist immer das Wetter

Twitter war vor einem Jahr eine strategische Partnerschaft mit IBM eingegangen. «Wir erkannten irgendwann, dass wir das grösste Archiv an Gedanken zu jedem Ereignis auf der Welt besitzen», sagte Chris Moody, Vice President Data Strategy bei Twitter. Mit der Watson-Technologie sollen Entscheider aus der grossen Menge an Tweets einen Nutzen für ihr Geschäft ziehen. Moody zitierte seinen Kunden Unilever, der ermittelt habe, dass am Montag oder Dienstag kaum jemand über Eis twittert. Erst zum Ende der Woche würden die Tweets häufiger.
Einen Zusammenhang zwischen den Konsumgewohnheiten der Verbraucher und dem Wetter will The Weather Company herstellen können. Das Unternehmen sammelt täglich 40 Terabyte Daten, sagte CEO David Kenny. Mithilfe von Analytik-Technologie will er künftig den Wetter-Faktor aus dem Geschäft nehmen. Denn: 60 Prozent der 500 grössten börsenkotierten US-amerikanischen Unternehmen (S&P 500) machten das Wetter für schlechte Umsätze verantwortlich. Wer nun präzise Wettervorhersagen nutzen könne, könne Lieferungen, Schäden oder das Verbraucherverhalten besser vorhersagen und das Geschäft darauf abstimmen.

Cola, Wein und Bier

Ein Anwender wird Coca-Cola sein, sagte Mike Weaver. Der Group Director of Data Strategy bei dem Getränkehersteller habe sich lange Jahre darauf verlassen, was auf den Social-Kanälen über die Brause und die Konsumgewohnheiten gesagt wurde. Mehr als Marketing ist daraus nicht erwachsen, gestand Weaver. In Zukunft will Coca-Cola die Wetterdaten mit Twitter und Verkaufsstatistiken kombinieren, um etwa Lieferengpässe zu vermeiden.
Mehr als eine Watson-Technologie nutzt VineSleuth für die Selektion von Weinen. Das Start-up akzeptiert via der App Wine4.me die natürlichsprachige Beschreibung von Wunschwein. Der Benutzer charakterisiert das Getränk, erklärt, zu welcher Speise es passen soll und in welcher Preisklasse die Maschine suchen soll. Er erhält dann von Fachleuten geprüfte Empfehlungen der Weine, die seinen Vorgaben am besten entsprechen, sagte Gründerin Amy Gross. Da sich die Technologie bereits bewährt habe, würden demnächst auch Apps für Bier, Käse und Schokolade lanciert. Nächste Seite: Watson für Cognos Die APIs sind eine Lieferart für Watson. Big Blue baut die Technologie auch in die eigenen Produkte ein und stellt sie Dritten zur Verfügung. «IBM hat lange Historie in Analytik. Wir blicken auf 55'000 Konsultationen mit Analytik zurück», erinnerte Alistair Rennie, neu auch General Manager Business Analytics. Er zeichnet parallel für die früheren Lotus-Anwendungen verantwortlich, die um analytische Funktionen erweitert werden. Mit Watson-Technologie ausgerüstet wird ebenfalls IBMs BI-Lösung. Beth Smith, General Manager Analytics Platform, kündigte ein runderneuertes Cognos Analytics an, das Big Blue sowohl On-Premises als auch aus der Cloud liefern will. Die Managerin versprach ausserdem eine verbesserte Bedienoberfläche mit Self-Service-Funktionen, für die der Anwender kein Statistik-Experte mehr sein müsse. Wie viel Marketing diese Aussage ist, wird die Praxis letztendlich zeigen müssen.

Ordnung in der Box

Cognos und die Lösungen für Enterprise Content Management (ECM) standen an früheren «Insight»-Konferenzen im Mittelpunkt. Damals hiessen die Anlässe noch «Information On Demand». Eine der aktuell populärsten ECM-Lösungen ist Box. CEO Aaron Levie bezeichnete sein Unternehmen an der Konferenz als «Dropbox mit Geschäftsmodell». Dieses Modell will Levie ausbauen – in Partnerschaft mit IBM natürlich. Künftig sollen die Watson-Technologien eine Ordnung oder ein System in die unstrukturierten Daten in Box bringen können. Daneben will Box die IBM-Technologie SoftLayer anbieten, wenn Kunden den Speicherort ihrer Daten festlegen müssen.
Schon heute besitzen die ECM-Produkte von IBM eine tiefe Integration mit Analytik-Lösungen, sagen die Analysten von Gartner. Allerdings ist auch das Portfolio von Big Blue gross, ebenso wie der Kundenstamm. Eine Kritik der Analysten lautet: Die Cloud-Adaptation unter den Bestandskunden laufe schleppen. Dies würde ein neues Kombiprodukt von Box und IBM definitiv ändern.



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