Oracle-Sun 22.04.2009, 12:04 Uhr

"Es gibt keine Garantie, dass alle Hardware-Produkte überleben"

Gartner-Analyst Andrew Butler hat in einer ersten Einschätzung den Kauf von Sun Micrososystems durch Oracle ausgiebig kommentiert.
Gartner-Analyst Andrew Butler liefert eine ausführliche Einschätzung zum geplanten Oracle-Sun-Merger.
In selbstgestellter Frage- und Antwort-Form hat Gartner-Analyst Andrew Butler die erste Einschätzung des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens zur geplanten Übernahme von Sun Microsystems durch Oracle zusammengefasst.

Frage: Welche Vorteile zieht Oracle aus dem Kauf von Sun?
Antwort: Oracle erhält mit dieser Akquisition die Kontrolle über das Software- und Hardware-Portfolio von Sun und seine Data-Center-Präsenz; dazu kommen Suns Channel-Partner, Beziehungen zu Integratoren sowie Forschung und Entwicklung im Hardware-Bereich. Oracle bekommt ausserdem Zugriff auf Suns im Aufbau befindliche Cloud-Computing-Strategie.

Sind das gute Nachrichten für Sun und seine Kunden?
Die Spekulation der vergangenen Monate hat das Vertrauen des Marktes in die Fähigkeit von Sun sinken lassen, als eigenständiger Anbieter zu überleben. Die gestrige Nachricht sollte helfen, Sun-Nutzer zu besänftigen, selbst wenn es auf längere Sicht in der installierten Basis in jedem Fall Gewinner und Verlierer geben wird. Kurzfristige Ängste bezüglich der Liquidität von Sun sollten aber vom Tisch sein.

Was wird mit Java und MySQL passieren?
Als Eigentümer von MySQL kann Oracle eine besser abgestimmte Positionierung zwischen MySQL und den eigenen DBMS-Produkten schaffen sowie die Management-Tools und -Methoden harmonisieren. Die Kontrolle über Java kommt Oracles eigenen Entwicklungbestrebungen entgegen; allerdings muss es aufpassen, nicht den Rest der Java-Community zu vergrätzen. Auch die MySQL-Gemeinde wird Oracle mit Argwohn betrachten - zumindest anfänglich.

War das Timing von Oracles Schritt so überhastet wie es aussieht? Sie sind nur zwei Wochen nach dem Ende der Verhandlungen mit IBM in die Bresche gesprungen.
Wir gehen davon aus, dass Sun mit einer Reihe anderer Firmen schon seit Monaten Gespräche geführt hat. Dass eine Übereinkunft zwischen IBM und Sun tatsächlich kurz bevorstand, ist nie offiziell bestätigt worden; wenn wir aber annehmen, dass ein Deal kurzfristig geplatzt wäre, könnte dies auf Seiten von Sun und Oracle die Bemühungen beschleunigt haben, sich auf die Übernahme zu einigen.

Was bedeutet die Übernahme für den IT-Markt?
Wir beobachten immer stärker vertikalisierte Strategien von etablierten Systemanbietern und neuen Playern wie Cisco und jetzt Oracle, die in der Vergangenheit nie eine nennenswerte Hardware-Präsenz hatten. Diese radikalen neuen Strategiewechsel verändern den gesamten Markt, eröffnen Chancen für neue Geräte und setzen bestehende Beziehungen unter Druck. Die Anwender müssen viel Sorgfalt bei der richtigen Auswahl ihrer Lieferanten walten lassen.

Bedeutet der Deal einen grundsätzlichen Wechsel in der Strategie von Oracle? Wollen sie jetzt im Hardwaregeschäft mitmischen?
Ja, das wollen sie. Allerdings wollten sie vielleicht nicht so viel Hardware, wie sie nun mit Sun bekommen. Oracle hat enge Beziehungen zu Herstellern wie NetApp und muss hart daran arbeiten, dass der Besitz von Suns Storage-Aktivitäten dafür nicht zum Problem wird. Oracles Commitment zum Solaris-Geschäft könnte ausserdem bei SPARC anders aussehen als bei x86. Die Übernahme wirft möglicherweise Suns Hardwarekunden eine Rettungsleine zu, aber es gibt keine Garantie, dass alle Hardware-Produktlinien überleben.

Wie wird Oracle mit den sich stark überlappenden Produkten umgehen - zum Beispiel Datenbanken oder der Oracle Database Machine?
Es gibt zwar verschiedene Überschneidungen in den Produkt-Portfolios, aber längst nicht so viele, wie dies bei einem Kauf durch IBM der Fall gewesen wäre. Bei den Datenbanken kann Oracle eine sich ergänzende Positionierung hinbekommen, wenn es die installierte MySQL-Basis nicht verschreckt. Oracle muss ausserdem das Vertrauen von OSS-Enthusiasten zurückzugewinnen, die sein traditionelles Commitment zu Open Source in Frage stellen. Oracles Hardware-Kooperation mit HP ist auf nähere Sicht ungefährdet. Wir erwarten allerdings, das Oracle Solaris-Appliances für verschiedene Oracle-Software entwickeln wird, und Data Warehousing ist da ganz sicher ein Kandidat.

Was bedeutet der Deal für die SPARC-Server allgemein? Haben die noch eine Zukunft?
Es gibt keine unmittelbare Bedrohung für SPARC und keinen Grund zur Panik. Oracle hat betont, dass Solaris7 (vor Linux8) den grössten Anteil seiner installierten Basis ausmacht. Davon entfällt nur ein sehr kleiner Teil auf x86 und der Löwenanteil ist SPARC. Das Überleben des SPARC-Business wird davon abhängen, für wie strategisch Oracle dieses Geschäft bei der längerfristigen Positionierung von Solaris erachtet. Falls Oracle Solaris eher als Linux-Alternative auf x86 ansieht (so wie Sun), könnte das zu einer Abkehr von SPARC führen.

Oracle und Sun haben beide umfangreiche Middleware-Stacks im Angebot. Wird Oracle diese beiden integrieren?
Oracles "Fusion"-Strategie dürfte intakt bleiben, wobei Elemente aus Suns eigener Middleware hier hineinintegriert werden. Das endgültige Look and Feel wird aber wohl bei Fusion bleiben.

Welche Vorteile könnte Oracle mit Sun erreichen, wenn es um Open Source Software/Linux und Java geht?
Java ist bereits die Grundlage der Softwareplattformen von Oracle, es stellt sich aber die Frage, ob Oracle sich als Besitzer von Solaris noch weiter so stark auf Linux fokussieren wird. Als Besitzer des geistigen Eigentums kann Oracle entscheiden, ob es die OSS-Politik von Sun fortführt. Wenn es aber versucht, die proprietäre Natur dieser Investments wiederherzustellen, werden sie sich aus der Software-Community eine Menge Kritik einhandeln.

Was wird die grösste Herausforderung für Oracle, falls der Deal durchgeht?
Dies fordert die Beziehungen zwischen Oracle und vielen anderen Herstellern wie HP oder Dell heraus und definiert sie womöglich sogar vollkommen neu. In ähnlicher Weise stellt es Oracles Beziehungen zu Anbietern wie IBM und SAP auf die Probe. Falls Hersteller wie IBM (die in der Vergangenheit starke Java-Befürworter waren) beginnen, ihre Energien auf parallele Investments zu richten, könnte dies einige Umsatzerwartungen in Mitleidenschaft ziehen, die Oracle hat.

Welche Synergien könnte Oracle aus dem Deal ziehen? (Manpower, Niederlassungen etc.)
Oracle hat in der Vergangenheit meist schnell gehandelt, um die Einsparpotenziale von Übernahmen zu heben. Suns Entwicklungs-Ressourcen und ein Grossteil seiner Vertriebs-, Marketing- und Support-Leute im Feld werden für das neue Unternehmen sicher unverzichtbar sein. Die Überlebenschancen für lokale Niederlassungen und Support-Mitarbeiter im Back-Office sind hingegen weniger gut.

Hat IBM mit dem Rücktritt von dem Deal die richtige Entscheidung getroffen?
Da weder IBM noch Sun die Merger-Gespräche jemals offiziell bestätigt haben, werden wir auch nie erfahren, wer eigentlich einen Rückzieher gemacht hat. Die Paarung Oracle/Sun reduziert das Risiko von Kartellbedenken verglichen mit einem IBM-Kauf. Dieser Deal wird daher viel schneller abgeschlossen werden. Eine fusionierte Sun-Oracle wird ein ganz anderer Konkurrent für IBM sein, als es die beiden separaten Entitäten waren; zunächst wird das Geschäft IBM aber nicht tangieren. Solange Oracle der Akquisition nicht Investitionen im Servicebereich folgen lässt, wird das Verhältnis zwischen Oracle und IBM von dieser Situation nicht sonderlich beeinflusst werden. Wir werden aber IBMs weiteres Commitment zu Java mit Interesse verfolgen.



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