18.07.2012, 11:30 Uhr

Jobprofil - der neue CIO

Die IT befindet sich in Zeiten des Umbruchs: CIOs übernehmen Business-Verantwortung, CFOs führen die IT-Abteilung. Wie bereiten sich IT-Verantwortliche am besten auf ihre neue Rolle vor und an welchen Kompetenzen müssen sie noch feilen, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein wollen?
IT-Entscheider müssen künftig vier Rollen beherrschen.
Fakt ist: Die Rolle des CIOs in Schweizer Unternehmen wandelt sich. Der neue Chief Information Officer ist – idealerweise – ein multidimensionaler, hybrider Tausendsassa. Man könnte auch sagen, er sitzt zwischen allen Stühlen und soll auf allen Hochzeiten tanzen. Business Alignment, reibungsloser IT-Betrieb, innovative Geschäftsmodelle und Cloud-Kompetenz – das sind nur einige der Eckpfeiler, zwischen denen der oberste Technikchef tagtäglich seinen akrobatischen Drahtseilakt aufführt. Fakt ist aber auch: Die IT-Abteilung eines Schweizer Unternehmens ist immer noch eine technische Geschäftseinheit. Viele CIOs haben eine technische Ausbildung absolviert oder ein Diplom in Informatik erworben. Joe Tucci, Chef des Speichergiganten EMC, begann seine Karriere als Assembler-Programmierer. Das ist alte, harte und arbeitsreiche Schule, denn tiefer in die Innereien der Technik hinabtauchen kann man nicht mehr.

Aufbruch über den Tellerrand

Trotzdem hat sich seit Tuccis erfolgreichem Karrieresprint an die Spitze von EMC einiges geändert. Assembler-Programmierern wird nachgesagt, sie sähen den Wald vor lauter Bäumen nicht – was in gewisser Weise stimmt. Mit dem Prozessor per Du, das funktioniert heute nicht mehr. Den Luxus, sich tief in ein Problem hineinzuwühlen, selbst Hand anzulegen, wenn es nötig ist, kann sich der IT-Chef nicht mehr leisten. Er muss stattdessen den Überblick wahren, alternative Beschaffungsmodelle in Erwägung ziehen, Geschäftsprozesse optimieren und sein Team motivieren. CIOs, die von Technik wenig Ahnung haben, werden Optionen falsch einschätzen, in Folge Fehlentscheide fällen und letztlich kläglich scheitern. Technikhäuptlinge, die auf dem Business-Auge blind sind, aber auch. Denn sie sehen alles zweidimensional. Assembler-, C- oder Java-Programmierung schadet nicht, Hardware-Klempnerei nützt, ist nicht obsolet, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung. Aber das reicht nicht mehr, hat eigentlich zu
keiner Zeit gereicht, um die Karriereleiter zu erklimmen. Wo also liegt der relevante Unterschied zwischen gestern, heute und morgen? Ray Wang, Chef des Marktforschers Constellation Research, spielt kreativ mit dem Akronym «CIO» und arbeitet so vier Rollen heraus, die IT-Entscheider künftig beherrschen müssen. Der CIO der Zukunft ist zuallererst «Chief Infrastructure Officer», das heisst, die IT muss laufen. Viele Technikoberhäupter spielen in dieser klassischen Rolle, etwa 65 bis 70 Prozent der IT-Budgets gehen dafür drauf. Die zweite Rolle nennt Wang «Chief Integration Officer». Sie versucht, bewährte Legacy- und On-Premise-Systeme mit den neuen Cloud-Initiativen zu verheiraten – oft mehr eine Vernunft- als eine Liebesheirat. Der dritte Gefährte im Bunde, der «Chief Intelligence Officer», muss mit durchschnittlich 10 bis 15 Prozent aus dem IT-Gesamttopf auskommen und behält Trends wie «Big Data» und Business Intelligence im Auge. Der «Chief Innovation Officer» schliesslich setzt selbst Trends im eigenen Unternehmen und bekommt dafür rund 5 bis 10 Prozent vom Gesamtbudget. Nach Wang ist der CIO der Zukunft alles zugleich. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Vier CIOs in einem

Vier CIOs in einem

Wie stellt sich ein Grosskonzern, der selbst bereits erfolgreich die Transformation vom Urzeit-Mainframe-Saurier zum neuzeitlichen Riesenelefanten gemeistert hat, die Zukunft vor? Auch IBM ist in die Zahl vier verliebt und unterscheidet in ihrer Studie «The Essential CIO», die zum Besten gehört, was bisher zum Thema publiziert wurde, vier sogenannte CIO-Mandate. Auf den ersten Blick überschneiden sich die Mandate lose mit den Rollen von Ray Wang. Der technikaffine Leverage-CIO hält den Karren der IT auf der Autobahn (Infrastruktur), die beiden Expand- und Transform-Mandate integrieren neue, geschäftsfördernde Technologien und nur das vierte Mandat, der Pioneer-CIO, widmet seine Kraft zum Grossteil der Innovation. IBM bringt jedoch einen neuen Aspekt ins Spiel: Zukunft ist branchenabhängig. Der Pioneer-CIO der Zukunft wird zuerst in der Finanzindustrie, Telekommunikationsanbietern, den Medien und der Unterhaltungsindustrie auftauchen. Wo die Reise hingeht, lassen die To-do-Listen der Topshots dieser Branchen schon erkennen, zum Beispiel die des Schweizer UBS-CIOs Stefan Arn, oder die von Howard Dickel, der als Programme Director für British Telecom die Kommunikations- und Netzwerkinfrastruktur der Olympischen Sommerspiele in London verantwortet. Auch Coop-CIO August Harder gehört in diese Liga. Am besten Bescheid über die Metamorphose des Berufsbilds weiss wohl Adrien Gonckel von Givaudan, der seit über 30 Jahren als IT-Leiter in der Chemie- und Pharma­industrie erfolgreich unterwegs ist. Viele andere Schweizer Branchen werden aber mit klassischen IT-Chefs auch in Zukunft glücklich und erfolgreich sein. Das Experiment Zukunft findet erst einmal woanders statt. Das braucht die Schweizer Technikchefs kleinerer Unternehmen aber gar nicht zu stören. Sie wirtschaften trotzdem erfolgreich.

Fest scheint zu stehen: Langfristig halten die Mega­trends Big Data, Real Time Analytics, Mobility, Bring Your Own Device (BYOD), Cloud-XaaS und soziale Business-Netzwerke in die IT Einzug. Aber wie stark der Impact schon morgen ausfällt, hängt von Branchen, Märkten und Geschäftsmodellen ab. Der ERP-Krösus SAP etwa propagiert euphorisch seine drei neuen strategischen Säulen Mobility, Cloud und In-Memory-Computing. Recherchen von Computerworld haben jedoch ergeben: SAP prescht rasant voran, läuft dabei aber Gefahr, Kunden und Partner abzuhängen. Denn die meisten Schweizer SAP-Kunden haben derzeit vor allem die Optimierung ihrer bestehenden Systeme im Kopf. Zwar behalten sie die neuen Technologien im Auge, hohe Investitionen werden aber vorerst nur von vereinzelten Pionieren getätigt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Trends, die verändern

Trends, die verändern

Souverän die heutigen Anforderungen meistern, aber die Zukunft im Blick behalten, so lautet für Schweizer CIOs die Devise. Technologisches Know-how ist die Kernkompetenz eines CIOs, ergänzt durch Business-Wissen an der Peripherie. Das heisst aber auch: Ändert sich langfristig die Technologie, dann auch die zukünftige Rolle des IT-Chefs. Für Business-Software stellen die Zürcher Branchen­berater von Lodestone Management Consultant folgende Prognosen auf: Das heute verbreitete Enterprise Ressource Planning (ERP) werde zukünftig durch Global Ressource Planning (GSP) abgelöst. Das bedeutet eine Konsolidierung auf globaler Ebene, die vor allem die Grosskonzerne betrifft. Die meisten multinationalen Unternehmen werden in Zukunft nicht mehr 20, sondern höchstens 5 ERP-Lösungen im Einsatz haben. Damit einhergehe, so die Berater, die Zusammenfassung globaler Geschäftsfunktionen – im Finanzwesen, im Einkauf und im Personalwesen. HR-Clouds, ERP-Clouds und Financials on Demand markieren einen Trend, der laut Lodestone noch kräftig an Dynamik gewinnen wird. Für IT-Leiter eine grosse Herausforderung.

«Technology matters»

Der zweite Trend, der die Rolle des CIOs radikal verändert, betrifft die Wertschöpfungskette. Die sogenannte Enterprise Value Chain werde sich in ein globales Business-Netzwerk (Network Value Chain) verändern. Das Client-Server-Paradigma verschwindet endgültig auf dem Schrottplatz der IT-Geschichte. Zukünftig bemesse sich der Wertbeitrag der IT, so orakeln die Consultants, an einem Unternehmensnetzwerk, das aus Kunden, Lieferanten, Geschäftspartnern und ausgelagerten XaaS-Komponenten (IT as a Service) besteht. Auch hier markieren hybride Cloud-Modelle etwa von EMC/VMware und SaaS-Komponenten von SAP, Oracle oder Microsoft einen Trend, der in Zukunft weiter Fahrt aufnimmt. «Technology matters», Technologie ist der stärkste Innovationstreiber – und profundes technologisches Know-how für jeden CIO eine starke Basis. Das dürfte auch weiterhin so bleiben. Nur wird der technikaffine Leverage-CIO klassischen Zuschnitts, der selbstverständlich flies­send C/Assembler spricht und eine Storage-Maschine von Hand zusammensetzen kann, in Zukunft bei den Technologie-Anbietern arbeiten. Diesen anspruchsvollen, innovativen Technologie-Producern stehen die Technologie-Consumer gegenüber. Dort gewinnt der Typus des IT-Orchestrators an Gewicht, der mit Cloud, Mobility und einer Rest-IT on-premise für sein Unternehmen den grösstmöglichen Mehrwert generiert. Ein gutes technisches Überblickswissen reicht dafür aus. Stattdessen gewinnen andere Fähigkeiten an Bedeutung. Lesen Sie auf der nächsten Seite: CIO wird CEFO

CIO wird CEFO

Die CIO-Macher von Egon Zehnder International, als Vermittler von IT-Spitzenführungskräften immer eng am Markt, sprechen vom sogenannten «Chief Efficiency Officer». Konkret: Der Chief Information Officer von heute werde sich immer mehr in Richtung eines Chief Efficiency Officers mit erweiterter Vorstandsverantwortung entwickeln. So verstanden wird der CIO zum CE(F)O, einem Business-Manager mit exzellentem Geschäftsprozess-Know-how. Die Position des klassischen CIOs werde es in den grossen Banken und Versicherungen bald nicht mehr geben, prognostizieren die Top-Management-Vermittler, die zudem eine Zentralisierung der IT (hin zu den Technologie-Producern) beobachtet haben. Auch IBM sagt voraus, dass der innovative Pioneer-CIO, für den Technik nicht mehr die erste Geige spielt, zuallererst in Banken und Versicherungen, der Telekommunikation und bei den Medien Fuss fassen wird (vgl. IBM-Studie «The Essential CIO»). Die CIOs weltweit und in Schweizer Anwenderunternehmen scheinen das zu ahnen, wie eine Umfrage von Computer Accociates beweist. Der IT-Gigant befragte im Sommer des vergangenen Jahres 685 CIOs per Telefon, darunter 30 aus der Schweiz und Österreich. Stark vertreten waren unter anderem die Branchen Telekommunikation und Finanzen. 72 Prozent der Befragten glauben, dass sie neue Fertigkeiten benötigen, um auch in Zukunft effizient ihren Aufgaben gerecht zu werden. 51 Prozent sehen die Beschaffung und das Lieferantenmanagement (commercial procurement) als kriterial, ebenfalls 51 Prozent sprechen dem Risikomanagement eine grosse Bedeutung zu. 47 Prozent sind davon überzeugt, dass vertriebliche Fähigkeiten und Verhandlungs­geschick für ihren zukünftigen Berufserfolg entscheidend sind (vgl. «The future role of the CIO – becoming the boss»). Der neue Trend spiegelt sich auch in der Ausbildungshistorie wider: Lediglich 25 Prozent der CIOs weltweit, so hat CA herausgefunden, haben neben einer technischen Ausbildung einen Master of Business Administration (MBA). Bei den Pioneer-CIOs der Telekommunikationsanbieter sind es dagegen überdurchschnittliche 39 Prozent. Der neue Megatrend zum Chief Efficiency Manager mit exzellentem Geschäftsprozess-Know-how hat für die heutigen Schweizer CIOs Vor- und Nachteile. Endlich scheint der Weg hin zur Unternehmensspitze frei, für viele IT-Chefs dürfte sich damit ein lang gehegter Karrieretraum erfüllen oder zumindest in realistische Reichweite rücken. Allerdings muss der Technikchef dafür auch ein ganzes Stück weit seine traditionelle Identität aufgeben. Lesen Sie auf der nächsten Seite: IT-Chefs mit Zukunft

IT-Chefs mit Zukunft

Zurzeit steckt der Markt jedoch noch in einer Umbruchphase: Machtkämpfe und Hickhack zwischen CIO und CFO bestimmen den Alltag. Fast zwei Drittel der Schweizer Chief Financial Officers (CFO) verantworten, neben weiteren Mandaten wie Personal, auch die IT. Zu diesem Ergebnis kam eine von Computerworld durchgeführte Umfrage unter 300 C-Klasse-Managern (computerworld.ch  Webcode: 59253). Schlimmstenfalls sind dann am Ende CIO und CFO gleichermassen frustriert: Der CFO sieht sein Geld in gescheiterten IT-Projekten versanden, weil er das heute noch notwendige Fachwissen nicht vorweisen kann und ihm mithin Entscheidungskompetenz fehlt. Der CIO sieht sich auf Gedeih und Verderb der Finanzabteilung ausgeliefert, weil man ihm Business-Kompetenz noch nicht zutraut. Setzen sich die skizzierten Megatrends jedoch durch, dann wird das nicht nur die Rolle des CIOs im Unternehmen revolu­tionieren, sondern die ganze Teppichetage durcheinanderwirbeln. Schweizer Unternehmen müssen langfristig nicht nur ihre IT, sondern auch sich selbst restrukturieren. Gewohnte Ehrenabzeichen wie CEO, CIO oder CFO werden dann rasch der Vergangenheit angehören.



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