Test 20.10.2009, 13:00 Uhr

Palm Pre

Endlich gibts den Palm Pre in der Schweiz: Unser Test zeigt, ob die hochgesteckten Ziele den Erwartungen standhalten. Soviel vorweg: iPhone war gestern.
Was in den letzten Jahren die Palm-Küche verliess, gab wenig Anlass zu Applaus. Zu stark war die Konkurrenz - besonders durch Apples iPhone. Der Organizer-Pionier Palm hofft jetzt mit dem neuen Gerät das Ruder herumzureissen und den drohenden Sturz in die Vergessenheit abzuwenden. Wir konnten eins der Geräte begutachten.
Schachtel auf: Design-Gehäuse
Die abgerundete Gehäuseform liegt gut in der Hand. Der Pre kommt in einer Slider-Bauform daher, eine QWERTZ-Tastatur lässt sich ausfahren. Etwas störend ist die relativ scharfe vordere Kante am unteren Rand der Tastatur. Die Knöpfe der vierreihigen Tastatur lassen sich gut bedienen. Eine virtuelle Tastatur fehlt, mit der man z.B. beim Surfen im Querformat auch Daten eingeben könnte. Das brillante Display gibt sich auch in heller Umgebung keine Blösse. Die Multitouch-Bedienoberfläche ist angenehm zu benutzen. Ausser dem Bildschirm selbst ist auch der Bereich direkt unterhalb davon berührungsempfindlich. Die einfachen Touch-Gesten zum Blättern, Öffnen Schliessen usw. sind schnell eingeprägt. Solange man für sich bei der Inbetriebnahme kein «Konto» mit Passwort erstellt hat, erlaubt einem das Gerät nicht einmal einen simplen Telefonanruf.
«WebOS» - das Killer-Betriebssystem
Im nagelneuen Betriebssystem WebOS steckt ein Linux-Kern. Anders als etwa das iPhone ist das Gerät multitaskingfähig. Dem Musikgenuss etwa während dem Bearbeiten von Kalenderdaten steht also nichts im Weg. Mit einem Drücker auf die untere mittlere Taste zeigt der Anwender das aktuell gestartete Programm in einer Art Jasskartenformat an. Wenn mehrere Anwendungen laufen, blättert man einfach mit dem Finger durch die gestarteten Tasks. Was zu beenden ist, wirft der Anwender schwungvoll per Zeigefinger über den oberen Bildschirmrand. Knackig! Die eher spärlichen vorinstallierten Programme starten etwas langsam (ca. 2 - 3 Sekunden), reagieren danach aber ausreichend schnell. Falls eine Anwendung fehlt, findet man sie vielleicht im zugehörigen AppStore - wenn auch momentan meistens nur in Englisch.
Nomen est omen - das Betriebssystem ist ganz auf Kommunikation via Internet ausgelegt. Ein wichtiger Bestandteil der Software nennt sich Palm Synergy. Seien es Facebook-Freunde, Termine, Google- oder Outlook-Kontakte oder auch Instant Messaging IDs - Synergy bringt verschiedenartigste Daten zu jedem Kontakt in einer einzigen Oberfläche zusammen. Dabei ordnet Synergy die verschiedenen Adressierungselemente automatisch den richtigen Kontakten zu. Änderungen werden dabei im Web-Konto automatisch synchronisiert und später auch auf dem PC angepasst. Sehr praktisch ist die Suchfunktion, die der Palm-Pre-Eigentümer nicht einmal extra aufzurufen braucht. Einfach die ersten paar Zeichen eintippen, schon zeigt der Pre die auf dem Gerät gefundenen Objekte und bietet alternativ auch die Suche im Internet an. Die Pflege mehrerer verschiedener Kalender ist möglich, um etwa private und geschäftliche Daten sauber zu trennen. Webbasierte E-Mailkonten wie Google oder Yahoo lassen sich schnell und einfach einrichten.
Synchronisations-Wermutstropfen
Der Internetkuschelkurs des Palm Pre ist auch einer seiner grössten Pferdefüsse. Zum Beispiel, wenn es ums Synchronisieren von Organizer-Daten geht. Palm will den frischgebackenen Pre-Besitzer auf Teufel komm 'raus ins Internet schicken, um seine Daten dort zu synchronisieren. Hier hat er nur die Wahl zwischen einem Microsoft Exchange-Server, einem Google-Konto oder einem eigens bei Palm Online eingerichteten Benutzerkonto. Die Software, um die Daten bei der Inbetriebnahme dorthin zu übertragen, ist kostenlos. Wer das Gerät trotzdem lieber mit einem lokal installierten Palm Desktop oder Outlook synchronisieren will, braucht eine zusätzliche Synchronisationssoftware. Glück hat, wessen Händler oder Telekom-Anbieter das Gerät gleich damit bündelt. Ansonsten schlagen die von Palm empfohlenen Programme mit rund 30 Dollar zu Buche: Chapura PocketMirror synchronisiert zwischen Microsoft Outlook und dem Palm Pre vorerst nur Termine und Kontakte. Chapura Echo synchronisiert dieselben Daten zwischen dem Pre und einem auf dem PC installierten Palm Desktop. In beiden Anwendungen stehe laut Chapura.com bald ein kostenloses Upgrade bereit, um auch Notizen abzugleichen. Etwas später folge ein weiteres zum Synchronisieren von Aufgaben. Dass der Pre offenbar eine Kabelallergie hat, merkt man auch am lokalen Synchronisationsvorgang: Der läuft nicht via USB, sondern über WLAN.
Wir meinen: Diese Situation ist unbefriedigend. Nicht jeder hat einen Arbeitgeber mit Exchange-Server inkl. Internet-Schnittstelle. Und in Zeiten, in denen fast täglich über Datenklau bei grossen Unternehmen berichtet wird, gibt man ungern seine gesamten Kontakte und Termine in fremde Hände - egal, ob es sich um den erfahrenen Datenkraken Google oder den relativen Datenneuling Palm handelt.
Kommunikation ist alles
Eintreffende Nachrichten kündigen sich umgehend in Form eines einfachen Briefsymbols an. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eine SMS- oder E-Mail-Mitteilung ist. Sind alle Kontakt-Daten einmal angelegt, nehmen Sie mit wenigen Bildschirmtippern Verbindung zu einem Ihrer Freunde auf, egal, ob via Instant Messaging, E-Mail oder SMS. Beim Instant Messaging unterstützt der Pre bislang leider erst GoogleTalk (eine Jabber-Variante) und AOL, aber kein MSN. Der Webbrowser ist angenehm. Mit der vom iPhone bekannten Zoomgeste mit zwei Fingern zeigen Sie Webseiten schnell und bequem in der gewünschten Grösse an. Die Schrift wird zwar nicht automatisch umbrochen, weshalb Sie bei längeren Zeilen die Seite hin- und herziehen müssen. Das geschieht aber sehr flüssig und stört nicht. Wer mag, kann den Pre in die Horizontale kippen, um längere Texte mit weniger Scrollen zu lesen. YouTube-Flashfilmchen spielt der Pre ab; mit komplett in Flash gestalteten Websites kommt er aber nicht zurecht. Via Browser bzw. Google Maps wickelt der Pre denn auch seine Navigationskünste ab. Ein richtiges GPS, wie man es etwa im Nüvifone findet, fehlt. Das dauernde Übertragen von Standortdaten und -diensten drückt natürlich wieder aufs Datenvolumen. Und - ja - mit dem Palm Pre können Sie auch telefonieren. Empfangs- und Sprachqualität sind gut; die Bedienung des Telefons ist einfach.
Multimedia-Stiefmutter
Zum Abspielen von Musik und Videos eignet sich das Gerät, sofern man auf die Microsoft-Formate (Windows Media Audio und Video) sowie auf kopiergeschütztes Material (DRM) verzichtet.
Wer gerne fotografiert, nimmt aber besser eine echte Kamera mit. Die mit dem Pre geschossenen 3-Megapixel-Bilder sind etwas verrauscht; ausserdem fehlen jegliche Motivprogramme, die diesem Umstand entgegenwirken könnten. Aufs Filmen und auf eine Audio-Aufnahme via Mikrofon müssen Sie verzichten. Solange das Gerät keine besonderen Videotalente besitzt, reicht der rund 7,2 GB grosse freie Speicher für den Betrieb aus. Und das muss er auch: Dem Palm Pre fehlt ein SD- oder MicroSD-Slot für allfällige Speichererweiterungen.
Fazit
Positiv zu sehen ist das angenehme Multitasking, die intuitive Bedienung per Tastatur und Multitouch sowie das klare Display. Für Personen, deren Leben quasi im Internet stattfindet, ist der Palm Pre eine gute Wahl.
Wenn einmal alle Applikationen sitzen, machen Sie Kassensturz: Damit der Pre wie von Palm vorgesehen funktioniert, braucht er im Prinzip dauernden Internetzugang. Das setzt einen grosszügigen Datenplan Ihres Mobilanbieters voraus, am besten eine Flatrate. Besonders Vielreisenden legen wir deshalb nahe, im Ausland den Datenverkehr wegen der hohen Roaminggebühren während der meisten Zeit abzuschalten. Nutzen Sie - wenn möglich - lieber WLAN. Damit zu den negativen Punkten: Palm Synergy ist eine nette Sache, aber an den unzureichenden Synchronisierungsmöglichkeiten des teuren Geräts muss Palm noch arbeiten. Auch die fehlende Unterstützung z.B. des MSN Instant Messaging Protokolls (Windows Live) wird den einen oder anderen Käufer von ihm fernhalten. Die fehlende Speicherausbaumöglichkeit, der geruhsame Programmstart und die mageren Fotooptionen machen nicht glücklich.
Im Grossen und Ganzen ist mit dem Palm Pre ein recht interessantes Gerät mit einem beeindruckenden Betriebssystem entstanden. Aber mehr als eine Art «Version 1.0» ist der vorliegende Wurf noch nicht. Hoffen wir einfach, dass Palm noch lange genug lebt, um bald einen verbesserten Pre 2.0 zu lancieren. Momentan ist das Gerät nur bei Digitec zu haben (Fr. 749.- ohne Abo). Erschrocken sind wir allerdings darüber, dass die Geräte offenbar nur mit einem Orange-Abo richtig funktionieren - obwohl sie angeblich nicht simlocked sind. Mit einer Sunrise-SIM funktioniere z.B. der Versand und Empfang von MMS nicht. Und mit einer Swisscom-SIM kann das Gerät gar nicht in Betrieb genommen werden.

Alle wichtigen Eigenschaften auf einen Blick:

Display: 3,1 Zoll, 320 x 480 Pixel
Kamera (nur Fotos, kein Video): 3 Mpx
Gewicht: 135 Gramm
Hersteller: Palm
Webseite: www.palm.com
Betriebssystem: webOS
Netze: GSM, UMTS (GPRS Klasse 10, EDGE, HSDPA), QuadBand 850/900/1800/1900 MHz
Schnittstellen: Bluetooth, USB, WLAN, Kopfhörer
Extras: GPS (via Google Maps)
Freier interner Speicher: ca. 7.2 GB
Preis: SFr. 749.--
Händler: Digitec (digitec.ch)
Gaby Salvisberg



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