E-Health 16.02.2021, 06:20 Uhr

Kim: «Anreize für digitales Gesundheitssystem fehlen»

Die IT-Abteilung im BAG hat viel Kritik einstecken müssen. Die Schweiz sei digital nicht optimal auf die Pandemie vorbereitet gewesen, sagt Sang-Il Kim vom BAG. Doch für eine umfassende Digitalisierung im Gesundheitswesen fehlten bisher die Anreize.
Sang-Il Kim ist Leiter digitale Transformation im BAG
(Quelle: pd)
Sang-Il Kim nahm seine Arbeit als Leiter digitale Transformation im Bundesamt für Gesundheit (BAG) am 1. April 2020 auf - mitten in der ersten Welle der Corona-Pandemie. «Damals kochte gerade die Frage über die Übermittlung der Corona-Testresultate hoch», sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Wir hatten sehr viele Fax-Dokumente, die abgearbeitet werden mussten, ich erlebte dabei die Digitalisierungs-Probleme im Gesundheitswesen aus erster Hand.» 
Kim war von der Post ins BAG geholt worden, um die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) umzusetzen, eines Projekts, das sich seit über sechs Jahren hinzieht. Doch dann kam die Corona-Krise und mit ihr verschoben sich die Prioritäten: Kims erster Auftrag: Eine Covid-App für das Contact-Tracing bauen zu lassen. 
Das Resultat liess sich sehen, die App wird von Experten als einer der wenigen Lichtblicke der digitalen Entwicklung im Gesundheitswesen gelobt, auch wenn deren Nutzen umstritten blieb. Dieses Beispiel zeige, dass gute IT-Lösungen nützlich seien, es aber immer auch den Willen der Bevölkerung brauche, diese gut zu nutzen, sagte Kim. 
Daneben kam eine Vielzahl von weiteren delikaten Themen auf den neuen Leiter Digitale Transformation zu: Die Datenübertragung von Ärzten und Spitälern zum BAG, das Sammeln von Contact Tracing-Daten aus den Kantonen, das Aufbereiten der Zahlen für die Bevölkerung, die Überwachung der Bettenkapazitäten und die neuen Webseiten. 

Keine Anreize

«Die Schweiz hinkt bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen vielen Ländern hinterher», sagte Kim. Zahlreiche Ärzte arbeiteten noch immer mit Papier, digitale Schnittstellen zwischen Praxen, Spitälern und den Behörden seien rar oder wenig standardisiert. 
Das Problem bestehe darin, dass jede Gesundheitsorganisation als einzelne Firma agiere und dementsprechend gut wirtschaften und wenn möglich Gewinn machen wolle. Die Digitalisierung verursache in dieser Logik eben auch zusätzliche Kosten in der Höhe von mehreren zehntausend Franken, die sich am Ende rechnen müssten. 

Auf Bestehendem aufgebaut 

Auch der Föderalismus sei bei der Digitalisierung eine Herausforderung. Solange sich die Kantone wenigstens einig seien, welche Daten erhoben würden, habe er damit an und für sich kein Problem. Kompliziert werde es dann, wenn die unterschiedlichen Systeme nicht miteinander kompatibel seien, sagte Kim. 
Die Kritik, das BAG habe bei der digitalen Bewältigung der Krise nicht genügend mit externen Partnern oder der Wirtschaft zusammen gearbeitet, wies Kim zurück. Das BAG habe sehr wenig selber entwickelt, sondern meist auf bestehenden Lösungen der Privatindustrie aufgebaut, zum Beispiel beim Impftool, welches das BAG den Kantonen zur Verfügung stellt. 
Gleichzeitig räumt der BAG-Kadermann auch Fehler ein: So hätten sie gewisse Anbieter von IT-Systemen trotz des Zeitdrucks besser prüfen müssen. Die Impfplanung sei nicht einfach gewesen, weil kein Monitoring-System in Echtzeit existierte. Und bei der Entwicklung der App hätten sie die Bedenken Dritter hinsichtlich des Datenschutzes unterschätzt. 

Investitionsschub nötig 

Kim zeigte sich überzeugt, dass sie für eine mögliche nächste Pandemie besser gerüstet sein werden. Denn im BAG und anderen Teilen der Bundesverwaltung habe die Krise einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Doch «bis zum Optimum» fehle «noch Einiges. Vor allem die Datenflüsse und -qualität der wichtigen Akteure im Gesundheitswesen müssten verbessert werden. 
Skeptisch bleibt Kim auch bei der Digitalisierung der Leistungserbringer. Denn dazu bräuchte es einen Investitionsschub mit einem Anreizsystem und den Willen aller Beteiligten, nachhaltig in neue IT zu investieren. 
Trotz allem bezweifelt Kim, dass die Krise mit einem perfekten landesweiten IT-System weniger schlimm verlaufen wäre. Und er weist darauf hin, dass die Schweiz trotz des digitalen Rückstandes im internationalen Vergleich eines der besten Gesundheitssystem der Welt hat - wenn auch eines des teuersten.
Hinweis: Vergleiche zum Thema auch den Artikel «Schweizer Gesundheitssystem in der Digitalisierungskrise»



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