«Worldline kann den Konsum in Echtzeit abbilden»

Ausländische Anbieter und Twint

CW: Welche Gefahr geht von ausländischen Anbietern für den Bankenplatz Schweiz aus?
Schluep: Ich würde hier eine kurz- respektive mittelfristige Perspektive sowie eine langfristige Sicht unterscheiden wollen. Kurz- und allenfalls mittelfristig werden Anbieter wie Ant Financial ihrer einheimischen Klientel ermöglichen, mit den gewohnten Zahlungsmethoden auch im Ausland zu zahlen. So ist die Akzeptanz auf der Händlerseite derzeit im Fokus von Alipay. Worldline hat das System schon länger im Portfolio, neu auch WeChat Pay und andere – auch europäische – Zahlungsmethoden.
Langfristig rechne ich damit, dass Ant Financial nicht nur die Akzeptanz von Alipay im Ausland anstrebt, sondern dass sie auch das Ökosystem in anderen Märkten replizieren will. Das Geschäftsmodell sowohl von Ant Financial als auch von Tencent als Betreiber von WeChat basiert auf der Monetarisierung von Kundendaten. Hierfür genügt es nicht, ausschliesslich die Zahlungsinformationen zu sammeln und auszuwerten. Die personenbezogenen Daten werden dann attraktiv, wenn auf einer Plattform wie WeChat auch noch das Taxi gerufen, eine Ferienreise gebucht und der tägliche Einkauf erledigt wird. Für die Schweizer Banken stellen aus meiner Sicht nicht die kleinen Fintechs eine Bedrohung dar. Vielmehr sind die grossen Technologiekonzerne wie Alibaba, Apple, Google oder Tencent die neuen Herausforderer.
Worldlines Marc Schluep hatte schon vor zehn Jahren die Vision von «Naked Payments»
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Für Alipay und WeChat Pay haben Sie eine Implementierung geschaffen, mit der chinesische Konsumenten in der Schweiz zahlen können. Wäre nicht eine vergleichbare Lösung denkbar, damit Twint international genutzt werden kann?
Schluep: Diese Frage muss sich in erster Linie Twint und nicht Worldline als Acquirer stellen. Aber mit der im September von Twint und sechs weiteren europäischen mobilen Zahlungsanbietern ins Leben gerufenen European Mobile Payment Systems Association (EMPSA) ist das Thema aktueller denn je. Das Ziel von EMPSA ist die Interoperabilität zwischen ihren Mitgliedern, damit man zum Beispiel ein Schweizer Twint auch in Schweden einsetzen kann, wo Swish als mobile Methode weitverbreitet ist. Für die Interoperabilität respektive Internationalität eines «Schemes» wie Twint gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Erstens, wie soeben dargestellt, die Interoperabilität mit anderen lokalen Bezahlsystemen. Oder zweitens den Export inandere Märkte.
Den zweiten Weg erachte ich persönlich als extrem schwierig. Denn in vielen europäischen Märkten gibt es bereits lokale Bezahlmethoden, die zum Teil fest etabliert sind. Ausserdem müssten sowohl die Händler als auch die Konsumenten für das neue System gewonnen werden, was eine enorme Herausforderung darstellt. Um einer Lösung wie Twint zu europaweiter Akzeptanz zu verhelfen, erachte ich die Interoperabilität mit anderen lokalen Systemen als einzig gangbaren Weg. Das Abwickeln der internationalen Zahlungen könnte Worldline dann selbstverständlich unterstützen.
CW: Welche Perspektive sehen Sie für Twint?
Schluep: In der heutigen Situation sehe ich für lokale «Schemes» wie Twint oder auch die Postcard durchaus noch einen Markt. Denn die Mehrzahl der Zahlungen erfolgt national und nicht über Grenzen hinweg. Bei Twint konnte erreicht werden, dass die Lösung sowohl von den Händlern als auch den Konsumenten in der Schweiz angenommen wird. SIX Payment Services hat dabei als Anbieter von Bezahlterminals eine wichtige Rolle gespielt, die Banken mit ihren Millionen von Kunden ebenfalls. Das Alleinstellungsmerkmal P2P-Zahlungen, neu auch der Münz-Ersatz an Parkuhren oder das einfache Bezahlen auf Bauernhöfen, tragen ihr Übriges zur Verbreitung von Twint bei. Langfristig muss sich der Dienst aber nun gegen globale Anbieter wie Apple oder Google beweisen.
“Bei ‚Smile to pay‘ genügt ein Lächeln im Laden für die Bezahlung„
Marc Schluep
CW: Ich gebe Ihnen etwas Zeit zum Träumen: Wie sieht für Sie der ideale Bezahldienst aus?
Schluep: Es mag schon bald zehn Jahre her sein, als wir bei SIX einen Managementworkshop zu Innovation veranstaltet haben. Ich nahm an der Arbeitsgruppe zum Zahlungsverkehr teil, in dem wir uns über die Zukunft der Bezahlsysteme ausgetauscht haben.
Wir entwickelten unter anderem eine Idee mit der Arbeitsbezeichnung «Naked Payments» [schmunzelt]. Es ging tatsächlich um die Nacktheit. Konsumenten sollten nackt ein Bekleidungsgeschäft betreten, sich dort einkleiden und den Laden anschliessend wieder verlassen können. Was damals noch fantastisch tönte, lässt sich mit der heutigen Technologie durchaus realisieren. Denn es braucht mittlerweile weder ein Bezahlmedium noch einen eigentlichen Check-out-Prozess.
Trotzdem muss die Lösung einerseits hinsichtlich Betrug und andererseits bezüglich Datenschutz sicher sein. Das sind für mich die Merkmale eines perfekten Bezahldiensts. Dass sich dieser realisieren lässt, haben die Beispiele Avec Box und Amazon Go eindrucksvoll demonstriert. Hier wird zwar noch das Handy zum Check-in verwendet, doch gibt es mit «Smile to Pay» in China bereits Methoden, die gänzlich ohne Bezahlmedium auskommen. Ein Lächeln reicht und es ist bezahlt.



Das könnte Sie auch interessieren