Arbeiten im Metaverse

Strassenbau und globale Lieferketten

Wie breit das Anwendungsspektrum des Metaverse in Zukunft sein könnte, illustriert folgendes Szenario: An einem beliebigen Tag im Jahr 2030 bedient eine Vorarbeiterin eine Strassenwalze auf einer Baustelle in Spreitenbach. Sie und ihr Kollege unterhalten sich über die nächste Bauphase, während sie einen Bauroboter anweist, Asphalt auf den nächsten Abschnitt der Überlandstrasse zu giessen. Im nächsten Moment erscheint ihr Assistent als Hologramm am Rande der Baustelle und winkt sie zu sich, um sie daran zu erinnern, dass es Zeit ist, sich mit dem ­Bauamts-Gruppenleiter wegen eines anderen Projekts kurzzuschlies­sen. Sie geht zum Baustellenbüro, setzt ihr VR-Headset auf und findet sich in der Lobby der virtuellen Gemeindeverwaltung wieder. Dort taucht ihr Hologramm-Assistent wieder auf und weist ihr den Weg zum virtuellen Konferenzraum, in dem die Besprechung stattfinden wird. Als sie den Raum betritt, verwandelt sich der Raum in den Ort der neuen Baustelle – eine Unterführung –, die von einer Drohne live gefilmt wird. Baupläne aus der Verwaltungs-Cloud des Kantons Aargau werden über das Livebild­material gelegt und sie und der Gruppenleiter beginnen mit der Planung der anstehenden ­Arbeiten. Anschliessend schickt die Vorarbeiterin ihren ­virtuellen Assistenten los, um die Anträge für die nächste Runde der Baugenehmigungen einzureichen. Dann schaltet sie ihr Headset ab und geht zurück auf die Baustelle.
In diesem Fall vereinfacht die virtuelle Welt die Arbeit. Sie kann aber auch helfen, Probleme zu lösen, wie die frühere Schweiz-Chefin von Microsoft, Marianne Janik, an der diesjährigen Hannover Messe ausführte. Sehr viele Unternehmen hätten sich in der Corona-Pandemie und den ­damit verbundenen Einschränkungen für die Arbeitswelt mit Verfahren auseinandergesetzt, bei denen bestimmte ­Szenarien zunächst virtuell durchgespielt wurden. Erst anschliessend wurden sie in der Entwicklung oder der Fertigung von Produkten umgesetzt. «Das ist quasi das industrielle Metaverse», so Janik. In diesem industriellen Meta­verse könne man Dinge vollbringen, die man früher mit einem deutlich höheren Aufwand physisch gemacht habe. «Man kann beispielsweise auch vorab feststellen, wie man in der Produktion bestimmte Komponenten ersetzen kann, die zeitweise nicht verfügbar sind», so die heutige Deutschland-Chefin von Microsoft. Angesichts je länger, je mehr fragiler Lieferketten sind Unternehmen gut be­raten, ihre Geschäftsprozesse in einem virtuellen Metaverse abzubilden. Die Investitionskosten sind (noch) überschaubar, der Nutzen aber potenziell riesig.
Second Life
Der frühere RealNetworks-CTO Philip Rosedale hatte bereits Ende der 1990er die Idee, eine virtuelle Welt zu erschaffen. Er gründete 1999 die Firma Linden Labs und veröffentlichte 2003 «Second Life». Sie basiert auf einer von Linden Labs betriebenen Serverfarm («Grid»).
Die virtuelle Welt kann von den Benutzern respektive ihren ­vir­tuellen Abbildern, den «Avataren», mitgestaltet werden. Mit «Linden Dollar» lässt sich zum Beispiel Land im «Grid» kaufen, vir­tuelle ­Objekte erwerben oder auch eigene Kreationen (unter anderem mit der 3D-Software Blender) wieder veräussern. Der Linden Dollar kann für US-Dollar eingetauscht werden.
Das «Second Life» verzeichnete zunächst einen grossen Benut­zerzuspruch. 2013 zählte Linden Labs rund 36 Millionen Benutzer­konten. Damals waren zwischen 30 000 und 65 000 User rund um die Uhr eingeloggt. Dafür benötigen sie auch heute noch eine spe­zielle ­Client-Software, in der einerseits der «Avatar» gespeichert ist. ­Andererseits rendert der Client die 3D-Animation der «Second Life»-Welt. Dem User wird damit ein Raumgefühl vermittelt, das visuelle Effekte und Sounds inkludiert. Die Steuerung der «Avatare» erfolgt per Maus und Tastatur, Technolo­gien wie Augmented oder Virtual Reality werden bewusst nicht ­unterstützt. Auch läuft der Client nur unter Windows, macOS und ­Linux. Eine Smartphone-App befindet sich nach Angaben von Linden Labs in der Entwicklung.
Der Gründer Rosedale hatte Linden Labs 2009 verlassen. Im Januar dieses Jahres kehrte er jedoch als Berater zurück. Wie in den Anfangsjahren glaubt Rosedale auch heute noch nicht an den Durchbruch der Virtual Reality. War es damals die geringe Leistungsfähigkeit der Rechner, ist es heute der immer noch mangelnde Benutzerkomfort der Datenbrillen, argumentiert er. Der Pionier ist sich aber sicher, mit «Second Life» eine wichtige Rolle spielen zu können, ­bevor sich das Metaverse durchsetzt.



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