29.11.2013, 10:56 Uhr

Schweiz auf dem Weg zur Industrie 4.0

Künftige Industrieprodukte werden «smart» sein und Zusatzfunktionen besitzen. Die Waren aus der Industrie 4.0 sind ein riesiger Markt, sie sind aber auch gefährlich, sagen Experten.
ETH-Professor Friedemann Mattern sieht die Schweiz noch nicht angekommen in der Industrie 4.0
Die vierte industrielle Revolution steht an: Nach Mechanik, Massenfertigung und programmierter Logik besitzen künftig alle Produkte «smarte» Funktionen. Die Industrie 4.0 produziert «mitdenkende» Waren. Wie Friedemann Mattern, Informatikprofessor an der ETH Zürich, an einem Anlass des Branchenverbandes Swissmemsagte, sind insbesondere die Automobilindustrie und die Energiebranche die Treiber für der vierte industriellen Revolution. Autos sind nach den Worten des Experten schon jetzt komplexe Computersysteme. Auch die Stromerzeuger setzen auf «smarte» Devices für das Regulieren, Speichern und Verteilen von Energiekapazitäten. Die beiden Branchen seien allerdings hierzulande wenig präsent. «Schweizer Betriebe müssen anfangen, sich mit der Industrie 4.0 zu beschäftigen», mahnte Mattern an dem Anlass der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Laut dem ETH-Professor steckt die Industrie 4.0 international allerdings noch in den Anfängen. Eine grosse Herausforderung sei die Sicherheit. Notwendige Bestimmungen für «smarte» Industrieprodukte seien weder befriedigend diskutiert noch definiert. Während sich der Verbraucher von seinem falsch montierten Möbelstück schlimmstenfalls üble Beschimpfungen anhören muss, lauern in autonomen Fahrzeugen und Kernkraftwerken Gefahren für Leib und Leben. Nach Aussage Matterns schützten sich die Automobilhersteller heute vor Klagen, indem sie ihre Produkte von anerkannten externen Prüfstellen zertifizieren lassen. Für das Restrisiko – etwa ein von der Software falsch erkanntes Verkehrszeichen – wird mit Versicherungen vorgebeugt. «Die Argumente pendeln zwischen den Extremen Katastrophenszenario und Technikverliebtheit», resümiert der ETH-Wissenschaftler. Die Sicherheitsfragen müssen beantwortet werden, damit der Markt für «smarte» Produkte wirklich boomt. Die Analysten haben keine Zweifel: Forrester prognostiziert eine Steigerung des weltweiten Umsatzes von heute 4,2 Milliarden auf 17,0 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016. Gartners Peter Sondergaard geht davon aus, dass 2020 weltweit bis zu 50 Milliarden «smarte» Geräte mit dem Internet verbunden sein werden. Mit den Waren soll dann ein Wert von 1,9 Billionen US-Dollar generiert werden. Nächste Seite: Vorreiter aus Hinwil
Schon heute in der Realität angekommen sind «smarte» Geräte beim Industrieunternehmen Belimo in Hinwil. Gemeinsam mit dem Zürcher IT-Dienstleister Ergon hat Belimo «Shared Logic» entwickelt. Die Software-Lösung zur Steuerung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen hilft Kunden beim Energiesparen. Installiert ist «Shared Logic» bereits in der Alterssiedlung Rosengarten in Stäfa. Dort ist die Software in jeder Wohnung für den Betrieb, die Diagnose und die Wartung von Heizung sowie Lüftung zuständig ist. Über 70 Prozent der Energie verwenden Haushalte für die Klimaregulierung, wie Daniel Roner, Leiter Bereich System Innovation bei Belimo, an dem Swissmem-Anlass ausführte. Durch die Vernetzung der bisher getrennten Systeme wird es ermöglich, das Raumklima so zu steuern, dass Wirtschaftlichkeit und Wohnkomfort optimal aufeinander abgestimmt sind. Die Bewohner können die Bodenheizung sowie Belüftung individuell regulieren und zeitlich programmieren. Dies ist an einem Bedienelement in der Wohnung und auf dem iPhone möglich. Über ein iPad im Keller lassen sich die vernetzten Regler von einem Techniker regulieren. Die Überbauung in Stäfa ist heute noch ein Referenzprojekt. In Zukunft (dem Jahr 2020) werden in einem durchschnittlichen Haus rund 500 Sensoren installiert sein, glaubt Gartner-Analyst Sondergaard.

App Store für Industrieanlagen

Als einen weiteren Treiber für Industrie 4.0 sah Uwe Groth, Geschäftsleiter von Ferag Electronic, die hohe Qualität und Robustheit von heutigen Industrieanlagen an. Ferag produziert in Hinwil unter anderem Förder- und Verarbeitungsmaschinen für Druckereien. Die Geräte arbeiten mittlerweile länger als noch vor 20 Jahren, erklärte Groth. Wenn sich weniger neue Anlagen verkaufen lassen, sei es an den Herstellern, mit den vorhandenen Installationen einen Zusatznutzen zu generieren. Ferag setzt dabei unter anderem auf Ergänzungen durch Software. Bei einigen Produkten sind nach Aussage von Groth schon heute App Stores vorhanden, in denen die Kunden neue Funktionen zukaufen können. Dabei hat Ferag die Benutzerfreundlichkeit als ein entscheidendes Kriterium identifiziert. Bei der Entwicklung der Steuerungsprogramme trennt der Hersteller zwischen der Logik und dem Benutzeroberflächen-Design. Do dauerten die Anwenderschulungen nicht mehr Tage, sondern nur noch Stunden, sagte Groth.



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