Interview 18.01.2012, 14:52 Uhr

«Nur Nudisten haben nichts zu verbergen»

Denis Simonet, Präsident der Piratenpartei Schweiz, sprach mit Computerworld.ch über seine Amtszeit, Privatsphäre, Bundespolitik, Social Media und das Hacker-Kollektiv Anonymous.
Denis Simonet
Computerworld.ch: Denis Simonet, du trittst nach zweieinhalb Jahren als Präsident der Piratenpartei Schweiz (PPS) zurück. Hast du schon Verschleisserscheinungen?
Denis Simonet: Natürlich ist es kräftezehrend, ehrenamtlicher Präsident einer frisch gegründeten Partei zu sein und während deren Aufbau neben Studium und Job noch an Wahlen teilzunehmen und Kontakte zu knüpfen. Verschleiss ist selbstverständlich vorhanden, das gilt übrigens auch für viele andere fleissige Piraten. Doch Momente wie dieser, wo ich der Öffentlichkeit unsere Anliegen vermitteln darf, entschädigen den vielen Stress.
Der Rücktritt hat also nichts mit den Nationalratswahlen zu tun?
Nein. Ich habe von Anfang an versprochen, dass ich bis zu den Wahlen als Präsident bleibe. Nun überlasse ich den Posten gerne einem anderen Piraten. So gewinne ich mehr Zeit für die Arbeit, die ich am liebsten mache. Das ist die Medienarbeit und der Austausch von Meinungen.
Ihr habt schweizweit 0,5 % Wähleranteil an den Nationalratswahlen erreicht – nicht gerade berauschend.
Natürlich haben wir uns mehr erhofft. Doch nüchtern betrachtet können wir zufrieden sein. Die Berliner Piraten haben mit ihren 15 Sitzen im Landtag ein geniales Resultat erzielt. Man muss dabei bedenken: Die Deutschen Piraten gibt es ein paar Jahre länger als uns. Wir werden an unseren Positionen und Grundlagen arbeiten, unter anderem an unserer zweitägigen Piratenversammlung vom 3. und 4. März in Vispertherminen.
Was war in den letzten zweieinhalb Jahren die gelungenste Aktion der PPS?
Sehr wichtig war die Kamerainitiative in Winterthur, die bald vor das Volk kommt. Es war das erste Volksbegehren der Piratenpartei Schweiz. Sehr gelungen war auch die Registrierung von wikileaks.ch - dadurch und weil wir Julian Assange trafen, waren wir Ende 2010 ein paar Tage lang weltweit in der Presse. Weiter geht es auf der nächsten Seite
Und wo habt ihr Schiffbruch erlitten?
Ich kann mich noch gut an unsere erste Demonstration erinnern. Es war im Sommer 2010 in Luzern, wir protestierten gegen das ACTA-Abkommen. Keine 50 Personen waren schlussendlich auf dem Platz und die Aktion stiess auf allgemeines Mediendesinteresse. Immerhin durften wir zusammen mit Piraten aus Deutschland und Österreich unsere Anliegen persönlich bei der ACTA-Verhandlungsdelegation vorbringen.
Eigentlich müssten ja viel mehr Menschen die PPS wählen - nur schon aufgrund eures Kampfes für mehr Privatsphäre und Selbstbestimmung über persönliche Daten im Netz. Sind diese Themen den Schweizerinnen und Schweizern egal?
Von Gesprächen auf der Strasse weiss ich, dass der Schutz der Privatsphäre einigen Menschen wichtig ist. Doch noch mehr Menschen sitzen dem Irrglauben auf, dass durch Aufgabe von Freiheit Sicherheit gewonnen werden kann. Es dominiert die Fehlannahme «Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten». Dazu sage ich: Nur Nudisten haben nichts zu verbergen. Natürlich sind wir uns bewusst, dass unsere Kernthemen, wie die Modernisierung des Urheberrechts, von anderen Parteien nicht priorisiert werden. Das ist einer der Gründe, warum es uns gibt.
Eure Anliegen werden verkannt?
Das würde ich sofort so unterschreiben. Computerspiele sollen verboten werden, überall werden Kameras aufgestellt und Parteien weigern sich, Transparenz in die Parteien- und Kampagnenfinanzierung zu bringen. Wegen Letzterem ist die Schweiz im Demokratie-Ranking nur auf Platz 14. Schade, denn die Schweiz ist in vielen Bereichen eine Vorzeigedemokratie. Wir sprechen wichtige Themen an, die von den anderen leider alles andere als sorgfältig behandelt werden. Weiter geht es auf der nächsten Seite
Mit Verlaub, euer Parteiprogramm scheint sehr unausgegoren.
Wir haben damit begonnen, unsere Grundwerte auf weitere Themen anzuwenden und unser Programm auszubauen. Wir sind bereits seit Längerem für die Trennung von Staat und Kirche und stehen für eine liberale Drogenpolitik. Ich bin sicher, dass wir noch über viele gute Ideen abstimmen werden - als Nächstes an der erwähnten Versammlung. Da habe ich selber auch schon Ideen.
Ein Beispiel?
Ich halte die Demokratisierung der Stromversorgung für eine sehr spannende Idee. Das Internet beweist, dass ein Netz, woran jeder teilnehmen darf, funktioniert. Warum also nicht dasselbe Prinzip auf das Stromnetz anwenden? Der Staat müsste in dem Fall natürlich die Infrastruktur garantieren und zur Verfügung stellen. Bin gespannt, was meine Parteikollegen dazu sagen.
Du nutzt selber Social Media und Datensammlerdienste wie Google+, Facebook und Twitter. Mit dem Feind im Bett?
Ich würde Social Media nicht als Feind bezeichnen. Google+ zum Beispiel hat die informationelle Selbstbestimmung vorbildlich implementiert und Facebook steht im Zugzwang. Aber: «There is no free lunch!» Es ist ein Tauschgeschäft: Man gibt seine Daten her und dafür darf man den Dienst verwenden. Wenn sich jemand bewusst dafür entscheidet, einem Dienst wie Facebook seine Daten anzuvertrauen, dann soll er das dürfen. Es ist dann seine freie Entscheidung. Er muss aber jederzeit wissen, was mit den Daten geschieht und die Möglichkeit haben, persönliche Daten löschen oder korrigieren zu lassen. Darauf zielt auch unsere Motion ab, die wir über Lukas Reimann eingereicht haben. Weiter geht es auf der nächsten Seite
Es scheint, dass du einen guten Draht zu Jungpolitiker Lukas Reimann (SVP) hast. Er ist ja ein wenig dein verlängerter Arm ins Parlament.
Ja, es ist ein guter Draht vorhanden - von Lukas habe ich ja einen Lobbyistenausweis. Ich war auch überrascht, dass ausgerechnet jemand von der SVP zu meinen ersten guten Kontakten gehört. Wir haben durchaus Gemeinsamkeiten wie etwa bei der Transparenz im Staatswesen oder der Wahrung unserer Freiheit. Es ist kein Zufall, dass ich ihn über die Transparenzinitiativekennengelernt habe.
Eigentlich hat ja die SVP und die PPS das Heu nicht auf der gleichen Politbühne.
Was bei jeder anderen Partei auch stimmt - deshalb gibt es uns. Wir haben auch Kontakte zu den Nationalräten Christian Wasserfallen (FDP) und Antonio Hodgers (Grüne). Auch habe ich mich schon mit Vertretern der GLP, CVP, SP und von Jungparteien getroffen. Wir bemühen uns, mit möglichst vielen Parteien und Organisationen Kontakte zu haben. Denn wo es Gemeinsamkeiten gibt, wäre es falsch, diese nicht für gemeinsame Aktionen zu nutzen. Wir sind weder links noch rechts und das leben wir auch. Schubladendenken ist out, wir wollen sachlich politisieren.
Wo stehen wir in Sachen Privatsphäre und Datenschutz in der Schweiz? Machen die führenden Parteien einen guten Job in dieser Sache?
Leider nur bedingt. Wir sind glücklich darüber, dass der Bundesrat aktuell prüfen lässt, inwiefern das Datenschutzgesetz modernisiert werden muss. Diese Überprüfung ist übrigens auch der Grund, dass der Bundesrat die Ablehnung unserer Motion empfiehlt. Sehr unzufrieden sind wir aber über das Vorgehen bei der Revision der Verordnung betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Das EJPD mit Frau Bundesrätin Sommaruga an der Spitze änderte kürzlich diese Verordnung und führte so auf dem Schleichweg mehr Überwachung ein - trotz hängiger Revision des zugehörigen Bundesgesetzes, wozu das Volk das letzte Wort hätte. Weiter geht es auf der nächsten Seite
Hanspeter Thür will Google Street View verbieten, weil es die Privatsphäre verletzen könnte. Auf der anderen Seite lieben die Schweizer Street View. Was ist die Meinung der PPS zu dieser Problematik?
Google Street View muss sich, wie alle anderen auch, an die Schweizer Gesetzgebung halten. Ich finde es deshalb sehr gut, dass Google den Entscheid an das Bundesgericht weitergezogen hat. So herrscht in Zukunft Klarheit über den Status Quo. Gar nicht nachvollziehen kann ich beim Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass sensible Orte speziell durch Verpixelung markiert werden sollen. Ein Schuss in den Ofen. In meinen Augen wäre es falsch, Street View ganz zu verbieten. Ein grosses öffentliches Interesse besteht. Aber die Anonymisierung muss zuverlässig funktionieren.
In der Vergangenheit hat das Hacker-Kollektiv Anonymous viel von sich reden gemacht. Zählst du solche Haktivisten zum militanten Arm der PPS? Oder sind das einfach Kriminelle?
Grundsätzlich muss ich festhalten, dass die PPS nichts mit Anonymous am Hut hat. Ich verstehe jedoch die Anliegen des Kollektivs, es existiert aus ähnlichen Gründen wie die Piratenpartei. Doch es gibt grosse Unterschiede: Wir wollen Gesetze ändern und unsere Ziele politisch mit erkennbaren Mitgliedern erreichen. Wir verurteilen illegale Aktionen, wie etwa als Ende 2010 die Website der PostFinance lahmgelegt wurde.
Denis Simonet studiert Informatik an der Fachhoschule in Biel und arbeitet bei einem IT-Unternehmen. Er betreibt einen Blogund ist Reporter für den hauseigenen Podcast parrot.fm. Er twittert unter SciF0rund ist auch auf Google+ aktiv. www.piratenpartei.ch 



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