Balthasar Glättli 19.12.2012, 11:42 Uhr

«Netzneutralität ist schützenswert»

Am Freitag hat Nationalrat Balthasar Glättli eine Motion eingereicht, die Netzneutralität ins Fernmeldegesetz schreiben lassen will. Computerworld.ch hat ihn gefragt, was er darunter versteht und warum das ins Gesetz gehört.
Balthasar Glättli glaubt, dass ohne Netzneutralität die Provider in Versuchung geraten, Bandbreiten selektiv zuzuteilen.
Computerworld.ch. Guten Tag Herr Glättli. Die logische Einstiegsfrage: Was ist Netzneutralität?
Balthasar Glättli: Die einfachste Definition: Ich sollte nicht merken, bei welchem Anbieter ich bin, wenn ich ein gleiches Abo, zum Beispie mit 50 Mbit Bandbreite, habe.
Können sie das konkretisieren?
Ich verwende gerne das Beispiel der Strasse: Im Gegensatz zum Strassennetz wird Internet von einzelnen «gebaut». Wer sein Grundstück verlässt, zahlt einmalig einen «Strassenzoll», danach nichts mehr. Dann darf man wie alle anderen Teilnehmer alle Strassen befahren. Und wenn es zu viel Verkehr hat, gibt es halt Stau. Ohne Netzneutralität könnte nun ein Provider sagen, er macht beispielsweise einen Postdienst auf. Und für diesen ist auf seiner eigenen Autobahn die Überholspur reserviert. Oder er macht einen Vertrag mit der DHL (als Beispiel) und infolge dessen darf sie, und nur sie, auf der Überholspur fahren. Es entsteht also eine Zwei-Klassengesellschaft im Internet.
Mir ist nicht bekannt, dass wir dieses Problem in der Schweiz haben.
In der Schweiz haben wir relativ wenig bekannte Verstösse gegen Netzneutralität. Es ist noch kein grosses Problem bei uns. Wir haben glücklicherweise eine Wettbewerbssituation, in der ein Infrastrukturwettbewerb herrscht. Es geht darum, wer die hohen Bandbreiten anbietet. In anderen Ländern, beispielsweise in Deutschland, ist es vielerorts nicht möglich, eine hohe Bandbreite zu erhalten. Dessen sind wir uns gar nicht bewusst.
Aber warum sollte deshalb das Netz reguliert werden? 
Ich finde das Prinzip der Netzneutralität schützenswert, sowohl aus bürgerrechtlicher als auch aus wettbewerbstechnischer Sicht. Gerade im Bereich des mobilen Zugangs geraten Provider immer mehr in die Versuchung, die Netzneutralität zu durchbrechen. 
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Gerne. Die Swisscom macht weiterhin ihre Infinity-Abos, nennen wir sie mal «Schnecke» und «Youtube», mit letzterem kann ich auch auf Handy oder Tablet Videos schauen. Momentan haben wir Netzneutralität, das heisst, wenn ich Youtube oder Zatoo schauen will, kann ich das immer machen, solange es die Bandbreite zulässt. Aber Swisscom könnte künftig auch sagen, dass sie auf dem Abo «Schnecke», das eigentlich eine zu geringe Geschwindigkeit für Videos zulässt, selektiv die Bandbreite öffnen, damit der Nutzer Videos schauen kann: aber nicht jene von Youtube oder Zatoo, sondern nur jene von Swisscom-TV. 
Das ist heute aber nicht der Fall..
Nein, aber es kann sich ändern. Wir haben heute ein reguliertes Kupfernetz, das Glas- und Kabelnetz dagegen ist nicht reguliert. Im Kupfernetz, das die PTT einst verlegte, wird für Fremdanbieter eine Anschlussgebühr erhoben, diese nutzt die Swisscom faktisch für Glasfaserinvestitionen. Würde die Kupfer-Gebühr gesenkt, wäre dies zwar für den Konsumenten schön, aber nur auf den ersten Blick. Denn es bedeutet auch, dass weniger Mittel für die Glasfaser-Investitionen zur Verfügung stehen würden. Das hätte zur Folge, dass es sich nur noch in städtischen Gebieten lohnen würde, Glasfaser zu verlegen. 
Und dann? 
Dann würde anderorts die Bandbreite knapp und man versuchte stattdessen, mit Netzwerkmanagement Profite zu machen. 
Wie könnte das aussehen?
Es gibt zwei Modelle: Entweder der Anbieter investiert in Breitband und holt sich die Investitionen durch die Anschluss-Preise wieder rein. Oder er schafft eine künstliche Knappheit und macht so aus langsamen Leitungen mehr Geld. 
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Chancen der Motion
Da gefällt mir als Konsument das erste Modell wesentlich besser. 15 Politiker, von GLP bis SVP, haben Ihre Motion unterschrieben. Kann man darum davon ausgehen, dass ihr Vorschlag eine reelle Chance hat, angenommen zu werden?
Das wird davon abhängen, ob es gelingt, inhaltlich eine Debatte zu lancieren, bevor die Abstimmung ansteht. Dass Kollegen von links bis rechts unterschrieben haben ist keine Garantie dafür, dass deren Fraktionen den Vorschlag unterstützen. Denn die Mitunterzeichnenden gehören zu den wenigen, die sich auch sonst überhaupt mit Netzpolitik auseinandersetzen.
Was tun sie, um diese Debatte zu starten? 
Wir haben am 7. März ein OpenHearing geplant, für welches erfreulicherweise bereits Swisscom-CEO Carsten Schloter, Asut-Präsident Peter Grütter und ETH-Forscher Brian Trammell zugesagt haben und das für interessierte Politiker und die Medien zugänglich ist.
Mit Carsten Schloter haben Sie sich nicht gerade den schwächsten Gegner ausgesucht…
Das ist auch richtig so! Ich bin überzeugt, dass eine Debatte offen, kompetent und mit den besten Argumente aller Seiten geführt werden muss. Zudem: wie sich die Swisscom zu Netzneutralität stellt, ist offen. Die Auseinandersetzung wird dabei sicher auch darum gehen, was man darunter im Detail versteht.
Falls ihre Motion angenommen wird, wann wird die Netzneutralität Gesetz?
Wird sie angenommen, bevor der Bundesrat den Fernmeldegesetzentwurf fertig hat, dann hat der Bundesrat den Auftrag, selbst die Netzneutralität in den Entwurf des neuen Fernmeldegesetzes zu schreiben. Würde die Motion zu spät behandelt, bliebe immer noch die Möglichkeit, einen konkreten Antrag bei der Gesetzesberatung in der Kommission einzubringen.
Können Sie in etwa sagen, wie lange dieser Prozess dauern wird?
Ich denke, zwei bis drei Jahre dürften dies schon sein. 
 
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