27.10.2017, 08:00 Uhr

«KI wird Banken so stark verändern wie alle Branchen»

Die Aufgabenliste von Veronica Lange ist lang. Sie ist Head of Innovation der UBS. Im Interview spricht sie über Projekte mit Blockchain, mit KI, mit Start-ups und über ihren Hund.
Veronica Lange ist seit Mai 2015 Head of Innovation der UBS
Als Head of Innovation treibt Veronica Lange bei UBS dutzende Digitalisierungsprojekte voran. Alle aktuellen Hype-Technologien testen sie und ihr Team auf die Anwendbarkeit im Finanzgeschäft – global und in der Schweiz. Im Interview gewährt sie Einblicke in den Innovationsprozess und spricht über neue sowie zukünftige Bankprodukte.
Computerworld: Sind die Digitalisierungsprojekte von Banken eher Kosmetik oder eine echte Operation?
Veronica Lange: Der Finanzsektor ist eine der am höchsten von Technologie durchdrungenen Branchen. Nur in der ICT-Sparte ist Technologie noch mehr präsent. Die UBS ist schon seit Jahren von Technologie geprägt und beschäftigt tausende Mitarbeiter in der Informatik. Daher ist die Bank auch zum Teil ein Technologie-Unternehmen, das sich ständig weiterentwickelt.
Wir unterscheiden zwischen der evolutionären Innovation, der transformationalen Innovation und der disruptiven Innovation. Alle evolutionären Projekte sind mit digitaler Technologie verbunden, die in bestehenden Märkten und bei bestehenden Produkten eingeführt wird. Bei der digitalen Transformation geht es zum Beispiel um die Nutzung von künstlicher Intelligenz oder das Öffnen neuer Kanäle, wie bei der Einführung des Mobile Banking. Disruptive Projekte werden auch gemeinsam mit Fintechs angegangen, die neuartige Dienstleistungen im Finanzbereich anbieten.
Wo ordnen Sie den «Future of Finance Challenge» ein?
Der Challenge ist ein Bestandteil unseres Aktivitätsportfolios zur Förderung von Innovation. Innovation heisst für die UBS auch Kollaboration. Dafür arbeiten wir auf vier verschiedenen Ebenen mit Mitarbeitern, den Marktteilnehmern und auch Wettbewerbern zusammen.  Für die Innovationsförderung haben wir erstens ein Seed Funding etabliert, das allen Mitarbeitern offen steht. Das Group Innovation Board stellt den besten Ideen eine Anschubfinanzierung zur Verfügung. Zweitens veranstalten wir Hackathons, an denen zuletzt im Sommer hunderte UBS-Angestellte an zwölf Standorten weltweit neue Lösungen für die Finanzindustrie entwickelten. Gemeinsam mit den Technologielieferanten und den Regulatoren arbeiten wir drittens zum Beispiel an der zukünftigen Ausgestaltung der Marktinfrastruktur. Die vierte Ebene ist die Entwicklung eines Ökosystems von Fintechs. Hierzu zählt auch der «Future of Finance Challenge».
Wie weit ist der neue «Future of Finance Challenge» fortgeschritten?
Weltweit haben wir rund 300 Bewerbungen erhalten. Seit Ende September bis Ende November finden an vier regionalen Anlässen die Finalrunden für Hongkong, New York, London und Zürich statt, wobei jeweils ein regionaler Sieger gekürt wird.

Kundenkanal WeChat

Sie haben ein internes Seed Funding. Sind daraus schon Ideen entstanden, die Sie eingeführt haben? Welche?
Mit dem Seed Funding haben wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren schon mehr als 60 Projekte unterstützt. Davon ist rund ein Viertel bereits in Produktion – oder auf dem Weg dorthin. Ein Beispiel ist das Online-Onboarding. Die Lösung haben wir gemeinsam mit Start-ups innerhalb weniger Monate realisiert und als erste Bank der Schweiz auf den Markt gebracht. Ein zweites Beispiel ist SmartWealth, die digitale Vermögensverwaltung in Grossbritannien.
Stammt auch Innovation aus dem Management? Ist Ihr CEO beispielsweise schon mit einer Idee auf Sie zugekommen?
Natürlich erhalten wir auch Inputs aus dem Management. Bevor Paymit auf dem Markt war, habe auch ich mich häufiger gefragt, warum ich meinem Hunde-Sitter das Geld nur überweisen kann. Viel einfacher wäre es doch, wenn ich ihm den Lohn schlicht mit einer App senden könnte.  Die Idee zur Online-Kontoeröffnung stammt wie erwähnt ebenfalls aus den eigenen Reihen. Aber natürlich werden wir auch durch die Forschung, andere Branchen und Kundengespräche inspiriert.
Welche Bedeutung haben Kundenkanäle für Millenials wie WeChat oder Facebook?
Insbesondere in Asien haben wir Kunden, bei denen WeChat zum Alltag gehört. Deshalb prüfen wir Lösungen auch für diese Plattform. Unser Fokus liegt dabei allerdings auf der Sicherheit.
Kommt der digitale Identitätsnachweis von der UBS?
UBS erachtet den digitalen Identitätsnachweis als eine fundamentale Säule für die digitale Ökonomie. Heute haben Kunden eine Vielzahl verschiedener Benutzerkonten und müssen jedes Mal, wenn sie bei einem neuen Dienstleister etwas kaufen möchten, den Registrationsprozess erneut durchlaufen. In Estland oder Indien begegnet man diesem Problem mit einem zentralistischen Ansatz. Es gibt aber auch privatwirtschaftliche Lösungen von Apple oder Facebook sowie Identitätssysteme von Banken. Bei Letzteren sind die skandinavischen Institute die Vorreiter. Die dortigen Bank-IDs wurden von den Kreditinstituten lanciert und später als Identitätsnachweise staatlich anerkannt. Einen ähnlichen Weg, sprich die Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt, sieht UBS auch für die Schweiz.  Die Banken bringen in Bezug auf Datenschutz und Sicherheit sehr viel Know-how mit, da schon heute sehr viele Kundendaten digital verwaltet werden und die Anwender bereits hochsichere und fortschrittliche Identifikationsmittel haben, die sie täglich für E-Banking einsetzen. Allerdings ist es zwingend notwendig, dass sich möglichst viele Unternehmen an einem solchen System beteiligen. Je mehr Partner an Bord sind, desto grösser wird der Nutzen für die Kunden und umso besser gelingen die Akzeptanz und die Verbreitung des Systems. Deshalb findet derzeit ein Austausch zwischen allen interessierten Parteien statt. Dabei wird geprüft, ob man in der Schweiz die Kräfte bündeln kann, um eine gemeinsame Lösung zu schaffen.
Sie präferieren eine einzige Lösung für die Schweiz?
Ganz klar: ja! Wir arbeiten auf eine Kooperation hin, wie wir sie bei Twint auch schon haben. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass die Anwendung unseren Sicherheitsanforderungen entsprechen muss.  International untersuchen wir ausserdem die Möglichkeiten einer Identitätslösung auf Basis der Blockchain.

Blockchain bei der UBS

Danke für das Stichwort. UBS ist engagiert im R3-Konsortium für Blockchain-Anwendungen. Warum wurde keine Schweizer Lösung gewählt?
Bei der Gründung von R3 gab es noch keine äquivalente Schweizer Initiative. Auch ist die Internationalität des Konsortiums ein grosser Vorzug. UBS arbeitet mit globalen Banken zum Beispiel an Anwendungsfällen, rechtlichen Fragen und Standards. Der Zusammenschluss von rund 70 Unternehmen in R3 hat bis heute kein echtes Pendant – weder international noch in der Schweiz. Die Mitgliedschaft bei R3 ist allerdings keineswegs exklusiv. UBS engagiert sich mittlerweile ebenfalls in der Enterprise Ethereum Alliance, hat ein Projekt mit Ripple und kooperiert mit Schweizer Experten. Beispielsweise sind wir in engem Kontakt mit der ETH, der Universität Zürich und der Hochschule Luzern. 
Arbeiten Sie an Projekten, in denen Sie eine Blockchain-Implementierung gegen eine andere testen?
Ja, wir testen tatsächlich. Bei den Blockchain-Projekten befinden wir uns heute generell erst in einer frühen Phase. Die meisten Anwendungen sind noch am Anfang ihrer Entwicklung. Gleichzeitig sind Funding und das Venture Capital schon so stark, als wäre die Technologie bereits voll einsatzfähig. Davon sind wir jedoch weit entfernt.
Auch bei den Robo-Advisors kooperiert UBS (mit dem Anbieter SigFig). Wie nehmen Sie Ihren Kollegen die Angst vor dem Verlust ihrer Jobs?
Die Kollaboration mit SigFig ist derart aufgestellt, dass wir den Kundenberatern ein Tool in die Hand geben, mit dem er seine Beratungsleistung verbessern kann. Generell adressieren wir mit den Tools die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse: Es gibt Personen, die eine persönliche Beratung wollen, andere wollen die Selbstbedienung. Mit anderen Anwendungen – siehe SmartWealth in Grossbritannien – erschliesst sich UBS neue Kunden. 

Künstliche Intelligenz bei der UBS

Welche Anwendungen von künstlicher Intelligenz sind schon bei UBS implementiert? Was könnten noch Themen werden?
Die künstliche Intelligenz wird in Zukunft die Bankenwelt genauso stark verändern wie alle anderen Industrien. UBS hat mittlerweile ein recht umfangreiches Programm zur Artificial Intelligence, das von einer Kollegin in meinem Team geleitet wird. Sie sammelt Ergebnisse von Experimenten sowie Proof of Concepts aus allen Unternehmensdivisionen. Ein Beispiel für künstliche Intelligenz bei UBS ist der Pilot mit Alexa respektive Amazon Echo. Dabei geht es um eine mögliche neue Kundenschnittstelle: die Spracherkennung und die Abfrage von Bankinformationen. Andere Anwendungsfälle sind eher im Backend. So arbeiten wir für die Risikominimierung an Früherkennungs- und Überwachungstechnologien.
Welche Grenzen sehen Sie für die künstliche Intelligenz?
Die meisten Systeme sind noch nicht so ausgereift, dass sie komplexe Abfragen auch in verschiedenen Sprachen zufriedenstellend beantworten können. Auch ist nicht überall, wo Machine Learning draufsteht, auch Machine Learning drin. Die Anbieter vermischen teilweise rein regelbasierte Systeme mit Lösungen, die tatsächlich ein gewisses Mass an Intelligenz besitzen.
Welche Grenzen hat Veronica Lange als Head of Innovation der UBS?
Keine. Ich habe tatsächlich einen Traum-Job. [lacht] Ich kann mich mit Themen beschäftigen, die noch nicht in der Bank etabliert sind. Und das ist nur eine Seite. Mein Thema ist auch, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, selbst innovativ zu sein. Dazu gehören die erwähnten Hackathons, aber auch Schulungen sowie Trainings. Durch die dezentrale Organisation des Innovation-Teams mit Angestellten in allen Geschäftseinheiten und Regionen sind wir ausserdem ein «Horchposten» für das gesamte Unternehmen.
Zur Firma: UBS
ist ein global tätiges Finanzinstitut mit Hauptsitzen in Zürich und Basel. Das Unternehmen stellt Finanzberatung und -lösungen für vermögende, Firmen- und institutionelle Kunden weltweit sowie für Privatkunden in der Schweiz bereit. Die operative Struktur des Konzerns besteht aus dem Corporate Center und fünf Unternehmensbereichen: Asset Management, Investment Bank, Personal & Corporate Banking, Wealth Management und Wealth Management Americas. UBS wurde 1862 gegründet und beschäftigt heute weltweit circa 60'000 Mitarbeiter.



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