03.09.2007, 08:52 Uhr

Die Karten neu gemischt

Nach der Übernahme von Xensource mischt Citrix ebenfalls im Virtualisierungsmarkt mit. Das ergibt eine spannende Konstellation: Zum einen sehen sich Microsoft und Platzhirsch Vmware mit einem neuen Konkurrenten konfrontiert, zum anderen pflegen alle drei Unternehmen auf die eine oder andere Art eine intensive Zusammenarbeit untereinander.
Xensource-CEO Peter Levine sieht seine Pläne durch die Übernahme gestärkt.
Ludger Schmitz ist Redaktor bei der Computerwoche.
Die Übernahme nimmt sich im Vergleich zum Zwei-Milliarden-Dollar-Börsengang von Vmware bescheiden aus. Doch der Preis von einer halben Milliarde Dollar, zu etwa 60 Prozent in Form eigener Aktien aufgebracht, ist für Citrix eine gewaltige Nummer. Denn er beläuft sich auf fast die Hälfte des letzten Jahresumsatzes der Spezialistin für Server-based Computing. Und er ist der grösste in der Geschichte dieses Unternehmens, das für Firmenkäufe in den letzten vier Jahren rund 700 Millionen Dollar ausgegeben hat, davon 302 Millionen Dollar für seine bisher voluminöseste Übernahme, die Akquisition von Netscaler im Jahr 2005. Citrix-Chef Mark Templeton hatte im Juni 2007 auf der Kundenveranstaltung «iForum» in München eine aggressive Übernahmepolitik angekündigt, um in den nächsten «drei bis fünf Jahren» den Firmenumsatz zu «verdoppeln oder zu verdreifachen».
Die teure Übernahme beschert der Käuferin vordergründig zusätzliche Xensource-Einnahmen von «nur wenigen Millionen Dollar», wie Citrix-Finanzchef David Henshall die bisher unbekannten Umsätze des Open-Source-Virtualisierers eingrenzte. Doch weil zum bislang bescheidenen Xensource-Partnernetz nun die mehr als 5000 Citrix-Verkaufspartner hinzukommen, soll sich das schnell ändern. Bereits im Jahr 2008 soll Xensource 50 Millionen Dollar Umsatz beitragen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Denn Xensource wird laut Henshall auch 2008 noch 60 bis 70 Millionen Dollar für die Entwicklung und den Aufbau des Vertriebsnetzes verschlingen.

Von der Uni zum High-Flyer

Xensource wird nicht etwa als selbständiges Tochterunternehmen, sondern als «Business Unit» in die neue Muttergesellschaft eingegliedert. Geleitet wird die Abteilung vom bisherigen Xensource-CEO Peter Levine, der künftig direkt an Citrix-Chef Templeton berichten wird. Die 80 Mitarbeiter des Virtualisierers werden weiterbeschäftigt.
Die im kalifornischen Palo Alto registrierte Firma ist aus einem Forschungsprojekt der englischen Universität Cambridge hervorgegangen. Hier entstand der Hypervisor Xen, die Open-Source-Engine der Virtualisierungslösung. Mit diesem Kernel vertreibt Xensource als Open Source kommerziell nach Firmenangaben bei weltweit 650 Kunden die Lösung «Xen Enterprise» und deren Mittelstandsausgabe «Xen Server». Beide sind soeben in Version 4 erschienen und haben den Abstand zu den marktführenden Vmware-Lösungen deutlich verringert. Darunter angesiedelt ist die kostenlose und ebenfalls quelloffene Einsteigerlösung «Xen Express».

Xen bleibt Open Source

An diesem Angebotsspektrum soll die Übernahme nach Angaben von Citrix vorerst nichts ändern. Auch die Entwicklung der Xen-Engine, des Kerns der verschiedenen Ausgaben, soll ein Open-Source-Projekt bleiben. Dieses wird geleitet vom Xensource-Mitbegründer Ian Pratt. Es soll nach Citrix-Ausführungen «weiterhin transparent, fair und herstellerneutral arbeiten». Die Übernahme von Xensource führte zu keiner Aufregung in der Open-Source-Gemeinde. Der Grund besteht darin, dass Xen kein breites Community-Projekt ist, sondern der Hypervisor-Virtualisierungskern unter klarer Leitung von Xensource im Wesentlichen von Intel, IBM, Hewlett-Packard, Novell und AMD entwickelt wird. Ihnen musste Citrix vor dem Xensource-Kauf versprechen, dass die Xen-Entwicklung unabhängig bleibt.
Bisher hat Citrix nicht genauer ausgeführt, wie es die Xensource-Produkte in das eigene Portfolio eingliedern will. Es hiess lediglich, man wolle Xen Enterprise 4 mit der eigenen Desktop-Provisioning-Lösung «Citrix Desktop Server» kombinieren. Ausserdem liesse sich Xen Enterprise um die Citrix-Lösungen «Edgesight» (für das Monitoring), «Access Gateway» (Zugangskontrolle) und «WANscaler» (zur Integration von Niederlassungen) erweitern.
Mit der Xensource-Übernahme positioniert sich Citrix frontal gegen Vmware. Dieser Pionier für x86-Virtualisierung war schon der Hauptkonkurrent von Xensource. Das hatte Xensource-Mitgründer und -CTO Simon Crosby anlässlich der Vorstellung der Versionen 4 von Xen Enterprise und Server noch einmal betont: «Schlag für Schlag verbessern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Vmware.»
Umgekehrt hatte sich Vmware Anfang Juni direkt gegen Citrix in Position gebracht: Das Unternehmen kaufte für 25 Millionen Dollar das britische Softwarehaus Propero. Dessen «Connection Broker» organisieren, welche virtuellen Desktops den jeweiligen Anwendern vom Server zur Verfügung gestellt werden. Seither ist klar, dass Vmware sich keineswegs auf Server-Virtualisierung beschränken und das Hype-Thema der Desktop-Virtualisierung nicht dem Platzhirsch Citrix überlassen will. Auch wenn sich beide Anbieterinnen nach aussen, beispielsweise durch Auftritte bei den Veranstaltungen des Wettbewerbers, noch als Partner geben, ist intern doch von einer klaren Frontstellung die Rede.

Wie reagiert Microsoft?

Der dritte mächtige Player im Virtualisierungstheater ist Mi-crosoft. Sowohl Vmware als auch Citrix und Xensource haben zum Softwaremulti aus Redmond ausgesprochen innige Beziehungen. Alle Parteien betonen, diese erhalten und sogar ausbauen zu wollen. Xensource hat im Juli 2006 ein Abkommen mit Microsoft geschlossen. Dabei geht es nicht nur um Inter-operabilität zwischen Xen -Enterprise und Microsofts künftigem Virtualisierungs-Hypervisor «Viridian»: Mittels Xen Enterprise sollen auf einer virtualisierten Betriebssystem-Umgebung von Windows Server 2008 auch virtuelle Maschinen mit Linux und umgekehrt laufen können. Bis dahin soll nach den derzeitigen Entwicklungsplänen von Xensource und Mi-crosoft allerdings noch etwa ein Jahr vergehen. In der Zwischenzeit könnte sich aber der Gigant aus Redmond veranlasst sehen, selbst mit Übernahmen aktiv zu werden, bevor Citrix und Vmware die eigenen Ambitionen im Virtualisierungsmarkt behindern.
Citrix erhält in den ersten Stellungnahmen von Analysten durchweg Zustimmung zu der 500-Millionen-Dollar-Übernahme von Xensource. Der Tenor lautet: Wenn Vmware im Desktop-Bereich auf das Terrain von Citrix vordringe, sei es nur verständlich, wenn sich umgekehrt der Spezialist für Server-based Computing im Revier des Server-Virtualisierers versuche. «Es geht darum, dass man mit virtuellen Servern an das Thema IT-Infrastruktur völlig anders herangehen kann», sagt Forrester-Research-Analyst Frank Gillett zu den Interessen von Citrix.

Analysten begrüssen den Kauf

Der Marktbeobachter ist der Ansicht, Xensource biete Citrix nicht nur Know-how um den Hypervisor-Kern und dessen Erweiterungen, sondern insbesondere Tools zur Administration virtualisierter Umgebungen, deutlich unterstrichen durch die Präsentation von Xen Enterprise und Server 4. In diesem Punkt stimmt ihm Gordon Haff, Analyst von Illuminata, zu: «Das Drumherum um den Hypervisor ist interessant.»
Bemerkenswerterweise hat Credit Suisse eine Woche vor der Xensource-Übernahme eine Citrix-Studie seiner Analysten Philip Winslow und Dennis Simson veröffentlicht, die geradezu prophetisch war. Sie schrieben: «Wir glauben, Citrix könnte daran interessiert sein, zentrale Virtualisierungsinfrastruktur und Management-Tools zu erwerben, um das Produktportfolio so zu erweitern, dass es Rechenzentren der nächsten Generation adressiert.» Sie kamen zu dem Schluss: «Unseres Erachtens könnte einer der Xen-Entwickler, entweder Xensource oder Virtual Iron, ein attraktives Ziel für Citrix sein.»
Doch Citrix stehe kein Spaziergang, sondern ein Weg mit Hindernissen bevor. «Citrix betritt neue Märkte mit neuen Kunden und neuen Verkaufsargumenten. Sie müssen erst viele Dinge zusammenführen», warnt Analyst Gillett. «Die Schlacht wird darüber ausgetragen, wer die Software kontrolliert, welche wiederum die Rechenzentren kontrolliert.»

Bleibt Vmware dominant?

Vmware besetzt mindestens vier Fünftel des Markts für Server-Virtualisierung. Dem könnte das Triumvirat Citrix-Xensource-Microsoft jetzt mehr entgegensetzen. Hinzu kommt, dass Novell und Red Hat Xen in ihre Linux-Distributionen direkt integriert haben. Allerdings ist erstens nicht absehbar, welche Bedeutung die Linux-Wettbewerber bekommen. Jedoch sollte man nicht über-sehen, dass Vmware und Mi-crosoft ebenfalls gute Partner sind und der Redmonder Konzern in den Wettbewerb um diesen lukrativen Markt längst mit eigenen Produkten eingetreten ist, also Eigeninteressen jenseits von Vmware und Citrix besitzt.
Das Markforschungsunternehmen 451 Group spekuliert auf Übernahmeschlachten: «Könnte das der Auftakt sein für eine Übernahme von Citrix durch Microsoft?» Dagegen spricht, dass Citrix ein milliardenschwerer Brocken wäre und die US-Börsenaufsicht etwas gegen die dann monopolartige Dominanz von Microsoft beim Server-based Computing haben dürfte. Ausserdem müsste der Redmonder Konzern mit der auf der GPL basierenden Open-Source-Komponente von Xensource eine für ihn bittere Pille schlucken.
Ludger Schmitz



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