28.09.2017, 16:00 Uhr

EAV löst Server- durch Webapplikation ab

Die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) hatte nur ein Jahr Zeit, um ein betagtes Fat-Client-System in eine Webanwendung umzuwandeln – und sie für die nächsten zehn Jahre fit zu machen.
Die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) existiert als eigenständige Organisation noch bis zum Jahreswechsel. Per 1. Januar 2018 wird die EAV in die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) eingegliedert. Mit wenigen Ausnahmen tritt dann auch das revidierte Alkoholgesetz in Kraft. Bis anhin betrieb die Verwaltung eine Kernapplikation «COMEAV». Sie wurde und wird von gut 70 der insgesamt 100 Mitarbeitern genutzt. Im Zuge der Integration in die Zollbehörde sollte die Applikation modernisiert werden. Ziel war es, die vor über 15 Jahren entwickelte Applikation für die kommenden Jahre optimiert zu betreiben und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Ein Expertengremium unter der Leitung von Heinz Liener, Leiter Informatik der EAV, prüfte verschiedene Optionen für die «COMEAV». Zur Wahl standen unter anderem die komplette Neuentwicklung, ein Umzug auf SAP oder auf das Oracle Application Development Framework (ADF). Letztendlich kam das Gremium zu dem Ergebnis, dass die Transformation der Applikation hin zu einer Webanwendung der gangbarste und wirtschaftlichste Weg ist: «Ein Grund für die Transformation war das intern reichlich vorhandene Fachwissen rund um das Entwickeln mit Uniface», sagt Liener. «Ein weiterer Grund war die Möglichkeit, alle notwendigen Eingabemasken mit Hilfe der Uniface-Umgebung in Web-Eingabemasken umzuwandeln und so die gewünschte Service-orientierte Architektur aufzubauen.»
Seitens der IT muss die Eingliederung der EAV in die Zollverwaltung bis zum 1. Januar 2018 abgeschlossen sein. Entsprechend galt es, die Kernapplikation binnen Jahresfrist so umzubauen, dass sie sich möglichst reibungslos in die Systemlandschaft der neuen Behörde integrieren lässt. Daher entschieden sich Liener und sein Team für die Adaption bei gleichzeitiger Modularisierung. Künftig soll die Anwendung aus den Bestandteilen Business-Logik, Datenbank und Webservices bestehen. Zugleich wird die EAV-Kernapplikation abgespeckt und erneuert:
  • Für diverse Funktionen gibt es bei der Zollverwaltung bereits Lösungen, zum Beispiel das Versenden von Zahlungs- oder Mahnbescheide und Verwaltung der Debitoren. Die Kernapplikation konnte mit Schnittstellen zum SAP-System der neuen Behörde angepasst werden, um redundante Daten und Funktionen zu verhindern. 
  • Die neue Gesetzgebung liess etlichen Spielraum für businessrelevante Anpassungen und Optimierungen zu.
  • Durch den erweiterten Ausbau der Digitalisierung (E-Government-Plattform) konnten die externen Dienstleistungen verbessert sowie die internen Prozesse optimiert werden 
Nächste Seite: Quellcode-Recycling  Das Projekt startete im Juli vergangenen Jahres mit einem Pilot: Die Verantwortlichen der EAV beauftragten Unifacezunächst damit, circa 25 der vorhandenen Funktionen im Rahmen eines Piloten in die Web-Anwendungen zu überführen. «Der Test war durchweg positiv, unsere Testanwender kamen auf Anhieb mit der neuen Oberfläche zurecht. Die übrigen Änderungen bleiben den Anwendern ja ohnehin verborgen», sagt Liener. Auf Basis dieses Piloten machen sich jetzt insgesamt sechs Entwickler der EAV daran, nach und nach alle weiterhin benötigten Funktionen umzustellen. Dabei stellen sie erfreut fest, dass sie rund 70 Prozent des bestehenden Codes der Altapplikation weiterverwenden können. Angesichts der ursprünglich gut 900'000 Codezeilen umfassenden Applikation ein stolzer Wert. «Dank der hohen Wiederverwendbarkeitsquote ging das Umstellen und Modularisieren der einstmals monolithischen Applikation rasch von der Hand», sagt Bettina Ben Jemaa, Sales Manager Austria & Switzerland bei Uniface.
Mittlerweile zügelt die EAV im Zweimonatstakt neue Funktion auf die Web-Plattform. Ein Mausklick auf einen entsprechenden Menüpunkt im Fat Client verweist neu nun zur Web-Version. «Nachdem wir den Arbeitsablauf kaum verändert haben, kommen die Kollegen gut mit der neuen Version zurecht.», sagt Liener. Allerdings gibt er zu, dass die Anwender es nicht immer leicht hatten. «Die alte und neue Anwendung sind optisch recht unterschiedlich: bisher hoch anwenderoptimiertes GUI, neu standardisiertes GUI nach neusten Vorgaben des Bundes.» Dies war für die User eine rechte Umstellung. «Beim nächsten Mal beschränken wir uns nicht nur auf den technischen Pilot, sondern investieren parallel in das Change Management und die Prozesseinführung», sagt Liener. Für die EAV hat sich der Entscheid bis anhin bewährt, weiterhin mit Uniface zu entwickeln. Aufgrund des vorhandenen Fachwissens wurden alle Meilensteine des Projekts eingehalten. Einer Übergabe der modernisierten, modularisierten Anwendung an den Hauslieferanten des Zoll steht laut Liener nichts entgegen. Mehr noch: «Die modernisierte Lösung gibt uns die Möglichkeit, dank vorhandener Schnittstellen noch deutlich mehr Prozesse zu digitalisieren, die bislang noch papierbasiert ablaufen. Aus dem bislang nur intern zugänglichen COMEAV kann so eine nach aussen offene Plattform werden», sagt Liener. Auch den zukünftigen Änderungen sieht der IT-Fachmann gelassen entgegen: Seine Entwickler können mit Uniface schnell auf allfällig weitere Gesetzesänderungen reagieren oder die nach der Eingliederung in die Zollverwaltung notwendigen Anpassungen rasch erledigen. «Wir haben die Anwendung binnen kürzester Zeit zukunftsfähig gemacht und gleichzeitig Investitionen geschützt», sagt Liener. Nächste Seite: Self Service für Landwirte Das Modernisieren der internen Kernapplikation war indes nur ein Projekt des Teams um Liener. Sie programmierten zusätzlich eine E-Government-Lösung, die als Web-Interface der Kernapplikation dient. Mittels der Webanwendung können rund 35'000 Landwirte ihre jährlich fällige Alkohol-Steuererklärung per Browser erledigen – und müssen nicht mehr länger Formulare per Hand ausfüllen, deren Inhalt dann von der EAV geprüft und in die Anwendung übertragen werden muss. Die Eingabe der Brennmengen geht jetzt nicht nur deutlich schneller von der Hand, sagt Liener. Gleichzeitig sei auch die Fehlerrate massiv gesunken. Zudem sehen die Landwirte in der Webanwendung ihr jeweiliges Inventar an Produktionszahlen und Lagerbestand. Der Zugang erfolgt über ein in der Schweiz gut etabliertes Agrar-Portal. Der neue Dienst wurde auf Anhieb von gut 10'000 Meldepflichtigen genutzt, rund einem Drittel aller registrierten Anwender. Über eine Service-Schnittstelle fliessen die von den Landwirten auf der E-Government-Plattform eingegebenen Daten automatisch in die Kernanwendung. Dort können die EAV-Mitarbeiter ohne manuelle Prüfung von Formularen sofort an den Bescheiden weiterarbeiten. Ab dem 1. Januar 2018 werden weitere Kundegruppen in den Genuss der elektronischen Anbindung kommen.
! KASTEN !
  • Migration einer circa 15 Jahre alten Fat-Client-Anwendung zu einer Webanwendung
  • Integration der Fachanwendungen in die künftige Applikationslandschaft der Zollverwaltung
  • Anpassen der Applikation an die neuen Arbeitsprozesse
  • enges Zeitfenster aufgrund eines gesetzlichen Termins zur Integration in die Zollverwaltung
! KASTEN !
  • Umwandeln aller notwendigen Eingabemasken mit Uniface in die Web-Oberfläche
  • Wiederverwenden der bestehenden Datenstruktur
  • Weiterverwenden von circa 70 Prozent der vorhandenen 900'000 Codezeilen
  • Anbindung an bestehende Systeme der Zollverwaltung via Service-Schnittstellen – somit auch Reduktion von Redundanzen
  • -Aufbau einer E-Government-Anwendung für Landwirte



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