IT-Projekte im Gesundheitswesen 18.05.2022, 06:18 Uhr

Millionen für die digitale Medizin

Während Politik und Behörden Millionenbeträge für das digitale Gesundheitswesen sprechen, machen die Spitäler in der Schweiz voran. Hier helfen Daten, dort Roboter bei der Behandlung von Patienten.
Der Roboter «Symani» assistiert bei mikrochirurgischen Operationen am Universitätsspital Zürich
(Quelle: Universitätsspital Basel)
Einstimmig forderte im März dieses Jahres das Parlament den Bundesrat auf, die Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens schneller voranzutreiben. Die grosse folgte damit der kleinen Kammer, die der Motion des Obwaldner Mitte-Ständerats Erich Ettlin schon in der Herbstsession des Vorjahres zugestimmt hatte. Der Stand der Digitalisierung sei im internationalen Vergleich «schlicht peinlich für unser Land», schrieb Ettlin zur Begründung. In der Debatte doppelte Léonore Porchet (Grüne/VD) nach und verwies auf den Beginn der Pandemie, als Meldungen über Corona-Infektionen per Fax übermittelt und die Ausdrucke gewogen worden seien. So kamen die täglichen Infektionszahlen zustande.
Eine nationale Steuerung des Digitalisierungsprozesses entspreche nicht der Realität des Föderalismus, wehrte sich Gesundheitsminister Alain Berset in der Debatte. Denn die Gesundheitsversorgung sei Sache der Kantone. Andere Forderungen seien bereits in Umsetzung begriffen, argumentierte die Landesregierung weiter. Aufgrund der klaren Voten beider Kammern muss der Bundesrat nun aber konkrete Umsetzungsvorschläge unterbreiten.
Die Politik steht mit ihrem verheerenden Urteil über den Rückstand bei der Digitalisierung im Gesundheits­wesen nicht allein da. Eine breite Allianz aus Leistungserbringern und Industrie – der Verein «Digitale Transformation im Gesundheitswesen» – betitelte noch Anfang April den Rückstand in der Schweiz als «beträchtlich». «Die Politik ist bei innovativen Themen wie der digitalen Transformation im Gesundheitswesen auf Input der Fachpersonen aus der Praxis angewiesen. Es ist weder sinnvoll noch möglich, die notwendige Expertise innerhalb der Verwaltung aufzubauen», sagte Anna Hitz, Co-Präsidentin der Allianz und Präsidentin der IG E-Health. Die Vereinigung von 19 Verbänden wolle mit der Politik zusammenarbeiten, um den Rückstand bei der digitalen Transformation mit geeinten Kräften aufzuholen, betonte sie. Denn: An den Leistungserbringern liege es nicht hauptsächlich, dass die Schweiz bei E-Health hinterherhinkt. Das belegen auch die Daten von Computerworld: Über 100 IT-Projekte in ­Praxen und Spitälern sind im vergangenen Jahr öffentlich dokumentiert. 2020 war es fast ein Drittel weniger.

Patientenakte um Jahre verspätet

Die Anbieterseite ist gemäss Gesetz über das elektronische Patientendossier aus dem Jahr 2017 streng genommen verpflichtet, bereits heute allen Patientinnen und Patienten ein digitales Dossier anzubieten. Die wenigsten Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Spitäler sind allerdings in der Lage, ein Dossier tatsächlich zu eröffnen. Der Grund sind die wenigen Stammgemeinschaften, deren Auftrag der Betrieb der sicheren IT-Infrastruktur für die digitalen Krankenakten ist. Acht Gemeinschaften existieren in der Schweiz, sieben davon haben eine Zertifizierung erwerben können, welche die Leistungsfähigkeit ihrer Systeme hinsichtlich Datenschutz, Sicherheit und gesetzlichen Vorgaben nachweist. Die Zertifizierung ist aufwendig und sehr langwierig, kritisieren die Betreiber der Stammgemeinschaften. Eine der acht, axsana, geriet wegen des Akkreditierungs- und Zertifizierungsprozesses im vergangenen Jahr sogar in finanzielle Schieflage. Im März kündigte der Bund an, axsana mit rund 8,5 Millionen Franken beim Aufbau der Stammgemeinschaft unterstützen zu wollen. Seitens axsana und anderer Gemeinschaften werden allerdings Zweifel laut, ob sie längerfristig die Kosten für den Betrieb und die Weiterentwicklung allein mit Einnahmen aus Mitgliedergebühren sowie kostenpflichtigen Zusatzdiensten finanzieren können. Wenn hier nicht bald ein genereller Entscheid fällt, werden in die Patientendossiers wohl noch Millionen fliessen. Bevor sie dann doch endgültig abgeschafft werden.
Seitens der Bürgerinnen und Bürger hält sich das Interesse an einer digitalen Krankenakte stark in Grenzen. Stand März 2022 hatte nicht einmal jeder tausendste Schweizer ein Dossier eröffnet. Obwohl die Gelegenheit durchaus vorhanden wäre: Im Kanton Aargau lässt sich das Patientendossier an vier Orten am Postschalter eröffnen. Die Stammgemeinschaft eHealth Aargau setzt wie Cara (Kantone Freiburg, Genf, Jura, Waadt, Wallis), E-Health Ticino, E-Sanita (beide Appenzell, Graubünden, St. Gallen, Thurgau) und Mon Dossier Santé (Neuenburg) auf die Technologie der Schweizerischen Post. Bei den ebenfalls zertifizierten Stammgemeinschaften abilis (ganze Schweiz, Apotheken), AD Swiss (ganze Schweiz, Arztpraxen) und axana (beide Basel, Bern, Luzern, Nidwalden, Obwalden, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Schwyz, Thurgau, Uri, Zug, Zürich) handelt es sich um ­Eigenentwicklungen, bei Letzterer von Swisscom Health. Nach Angaben der federführenden Koordinationsstelle von Bund und Kantonen, E-Health Suisse, sind derzeit die Stammgemeinschaften in der Pflicht, einerseits die Spitäler, Heime und Arztpraxen zu integrieren. Andererseits soll der Datenaustausch mit den anderen Stammgemeinschaften vorbereitet werden. E-Health Suisse rechnet jedoch damit, dass die Vernetzung der Stammgemeinschaften bis Ende 2022 dauern wird. Erst dann wird das EPD schweizweit verfügbar sein. Und ist dann schon fünf Jahre im Verzug.

Meineimpfungen.ch mit Daten-Leck

Annähernd zehn Jahre hätte das digitale Impfbüchlein bereits auf dem Buckel, wenn es noch online wäre. Die unter anderem vom Bundesamt für Gesundheit BAG finanzierte Plattform Meineimpfungen.ch geriet im vergangenen Jahr aber wegen Datenschutzproblemen in die Schlagzeilen. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftrage EDÖB attestierte den Betreibern der Plattform im September, dass «die technischen Mängel sehr schwerwiegend waren und das gesamte Angebot der Plattform betrafen», so Datenschützer Adrian Lobsiger. Ein Bestandteil der Lösung war auch das Modul «myCovidvac», das nach den Plänen des BAG ursprünglich als Nachweis der Covid-Impfungen dienen sollte. Nach dem Sicherheitsdebakel sah die Stiftung hinter Meineimpfungen.ch vom weiteren Betrieb der Plattform ab. Immerhin wurden die Impfdaten gerettet und den Nutzerinnen und Nutzern unverschlüsselt via E-Mail zugestellt. Dies sei «im Einklang mit dem schweizerische Datenschutzrecht geschehen», so die Stiftung. Natürlich hagelte es erneut Kritik.
Für Nationalrat Marcel Dobler (FDP/SG) stand nach dem Debakel um Meineimpfungen.ch fest, dass die Verbreitung eines elektronischen Impfbüchleins durch Private nicht möglich sei. Im März dieses Jahres forderte er den Bundesrat per Motion auf, einen digitalen Impfausweis auszuarbeiten, der mit einem elektronischen Patientendossier kompatibel ist. Dabei sollten die Erfahrungen genutzt werden, die mit dem Covid-Zertifikat gemacht wurden. Diesmal war auch Gesundheitsminister Alain Berset einverstanden und versprach seine Unterstützung.



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