30.11.2016, 16:24 Uhr

Industrie 4.0 bei Sulzer, FHNW und im Jus-Blick

Laut Expertenmeinung muss sich die Industrie alsbald mit der Digitalisierung befassen. Sulzer treibt bereits Innovation, FHNW lehrt und eine Anwältin warnt vor rechtlichen Folgen.
Schweizer Unternehmen aus der Industrie haben in der digitalen Zukunft zwei Optionen: Entweder sie und ihre Produkte werden eine Plattform oder sie werden «nur» ein Feature. Diese Meinung vertrat Professor Jan Marco Leimeister von der Universität St. Gallen an der ersten Computerworld-Konferenz zu Industrie 4.0 am Dienstag in Zürich. Professor Leimeister gab den gut 100 Teilnehmern drei Aufgaben mit, um für ihre Unternehmungen einen Platz in der digitalisierten Wirtschaft zu finden. Erstens sollten die Manager definieren, an welcher Position sie ihren Betrieb in der künftigen Wertschöpfungskette sehen. Wird das Unternehmen selbst Grundlagen bereitstellen oder eher nur spezialisierte Bauteile liefern, die besondere Funktionen haben. Eine Plattform ist laut Leimeister etwa den Autohersteller Tesla. Ein Feature sei, dass ein Software-Entwickler einem Wagenlenker mehr Leistung anbieten könnte. «40 PS mehr übers Wochenende», war sein Beispiel. 
Die Manager von Schweizer Industriebetrieben müssten zweitens definieren, wie sie den Transformationsprozess in ihrem Unternehmen realisieren wollen. Die Transformation sei unumgänglich, sagte Leimeister. Die dritte Aufgabe sei schliesslich, zu definieren, wie die Verantwortlichen ihre Unternehmen in Zukunft führen wollen. Der Experte sagte zu, dass er die Firmen gerne bei der Transformation unterstützen wolle. Allerdings habe auch er kein Patentrezept, das für jeden Schweizer Betrieb passt.

Sulzer hilft die Spieltheorie

Der Pumpenhersteller Sulzer ist in der Transformation begriffen. Wie Ursula Soritsch-Renier an der Konferenz sagte, genüge es aber nicht, einen Group Digital Leader zu installieren. Ihr aktueller Posten sei zwar hilfreich, um Projekte zu lancieren oder voranzutreiben. «Wenn es nur an mir liegt, Innovation zu treiben, dann haben wir schon verloren», sagte sie. Vielmehr müsste die gesamte Organisation einbezogen werden und auch mitmachen. Laut Soritsch-Renier werde etwa die «bimodale» IT oftmals falsch verstanden. Der Ansatz mit einerseits dem Betrieb der bestehenden Systeme und andererseits einem losgelösten Innovationslabor, dürfe nicht verhindern, dass auch im Operationsbereich neue Ideen entwickelt werden. 
Zentral ist für die Managerin ausserdem die Freude an der Arbeit. «Menschen sind kreativer und zufriedener, wenn sie Spass haben an ihrer Tätigkeit», sagte sie. «In der Spieltheorie ist das Gegenteil von Spass nicht etwa Arbeit, sondern Depression.» Keinem Unternehmen nütze es, wenn die Angestellten während der Arbeit depressiv seien. Nächste Seite: Lehrstunde in Industrie 4.0 Um die Angestellten zu befähigen, in einer digitalisierten Industrie zu arbeiten, bietet sich nach den Worten von Markus Krack auch eine Weiterbildung an. Die Fachhochschule Nordwestschweiz habe seit diesem Jahr einen Kurs zu Industrie 4.0 im Programm. Wie Krack an der Konferenz sagte, sei der erste Kurs innert kürzester Frist ausgebucht gewesen. Für das nächste Jahr gäbe es bereits eine Warteliste. Das Interesse der Schweizer Manager ist offenbar sehr gross. 
Die Fachhochschule werde auch von der Industrie direkt kontaktiert, um Beratung zu liefern oder mit den Betrieben gemeinsame Projekte zu realisieren, sagte der Leiter Technologietransferstelle FITT (Forschung-, Innovation- und Technologietransfer). Bei den Anfragen gehe es jedoch häufig noch um grundsätzliche Fragestellungen. 40 Prozent drehten sich um generelle Informationen zu Industrie 4.0, 19 Prozent wollten sich neue Märkte erschiessen, 15 Prozent Prozesse optimieren und 12 Prozent Kundenwünsche erfüllen. In weiteren Konsultationen sollten die Experten der Fachhochschule auch nach Möglichkeiten suchen, wie Schweizer Industriebetriebe ihre Standorte hierzulande halten könnten in Zeiten des starken Frankens, sagte Krack.

Wer haftet beim PostAuto-Crash?

Vor neuen rechtlichen Herausforderungen durch Industrie-4.0-Anwendungen warnte Nicole Beranek Zanon, Partnerin bei der Kanzlei de la cruz beranek Rechtsanwälte. In vielen Fällen sei noch nicht abschliessend geklärt, welche Pflichten die Betreiber und Hersteller von neuen Industrieprodukten sowie -services hätten. Ein Beispiel sei das Funknetz LoRaWAN, das unter anderem die Swisscom in diversen Projekten für die Vernetzung von Dingen verwende. Beranek Zanon sagte, dass dieses Netzwerk allenfalls eine Bewilligung des Bundesamts für Kommunikation Bakom benötige. Nun besitzt Swisscom natürlich eine solche Bewilligung, aber allenfalls nicht für LoRaWAN. Je nach Art der Daten, die über das Netz übertragen werden, könnte ein Nutzer als Fernmeldedienstanbieter gelten und müsste sicherstellen, dass er Nutzungsdaten speichern und ausliefern kann, wenn dies ein Gericht verlangt.
Zum Pilot der Schweizerischen Post mit autonomen PostAutos stellte Beranek Zanon die Frage nach der Haftung. Der Gesetzgeber müsse klären, ob der Hersteller der autonomen Vehikel, der Fahrdienstleiter oder derjenige, der mit dem PostAuto-Betrieb Geld verdient, haftbar gemacht werden kann, sollte es zu einem Sach- oder gar Personenschaden kommen. Die Expertin war sich aber sicher, dass autonome Fahrzeuge weit weniger Unfälle verursachen als menschliche Lenker heute.



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