26.09.2007, 09:08 Uhr

Gemeinsam entwickeln - aber ganz sicher!

Wer die Entwicklungsarbeit auf mehrere Schultern verteilt, kann neue Produkte rascher entwickeln und in höherer Qualität auf den Markt bringen. Er erhöht damit aber das Risiko, geistiges Eigentum zu verlieren. Product-Lifecycle-Management-Systeme (PLM) helfen, das Problem zu lösen.
Andre Guldi und Ralf Milewski sind als Product Manager bei Agile Software tätig.
Der Konflikt ist offensichtlich: Wer alleine entwickelt, ist zu langsam, zu teuer und zu wenig effizient. Wer indes mit Partnern, Lieferanten und Subunternehmern kooperiert, läuft Gefahr, ausspioniert oder mit Plagiaten seiner Produkte konkurrenziert zu werden.
Dennoch spricht vieles für die zweite, riskantere Variante der «Engineering Collaboration» (EC). Sie ermöglicht es, Engineering, Design, Beschaffung, Fertigung und Marketing so perfekt aufeinander abzustimmen, dass der Entwicklungsprozess kosteneffizienter und vor allem schneller wird. Dann kann eine neue Marktchance rechtzeitig genutzt oder ein bestehender Vorsprung ausgebaut werden. Womit ein klarer Wettbewerbsvorteil erzielt wird.

Kommunikation als Schlüsseldisziplin

Der Schlüssel zum Erfolg solch moderner Entwicklungsprozesse ist perfekte Kommunikation. Nur, wenn die weltweit verteilten Organisationseinheiten perfekt vernetzt sind, können sie effizient kooperieren - und EC wird zum wettbewerbsrelevanten Faktor im Unternehmen. Daher müssen alle Prozessbeteiligten, also interne Mitarbeiter ebenso wie externe Spezialisten, selbst über grosse Distanzen hinweg zeitnah kommunizieren können. Und sie benötigen jederzeit und überall sicheren und schnellen Zugang zu den jeweils aktuellsten Produktdaten.

Veraltete Praxis weit verbreitet

So weit die Theorie. Die Praxis freilich sieht vielerorts noch ganz anders aus. Obwohl die Vorteile von EC landläufig bekannt sind, stehen in den meisten Unternehmen noch immer abgeschottete Datenmanagement-Systeme im Einsatz, welche Informationen nur innerhalb der eigenen Entwicklungsabteilung verwalten und technische Daten oder Konstruktionszeichnungen auf mehreren Systemen verstreut bunkern. Eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Stand der Entwicklung ist mit entsprechend viel Mühe, Zeitaufwand und hohen Kosten verbunden. Die unternehmensübergreifende Kommunikation mit externen Partnern und Lieferanten läuft ebenfalls vielerorts alles andere als optimal. Sie erfolgt meist ungeregelt (und unkontrolliert) und über alle denkbaren Kanäle, von Telefon und Telefax über E-Mail, Instant Messaging, Voip (Voice over IP) und Briefverkehr bis hin zu persönlichen Treffen im eigenen oder im externen Unternehmen. Das ist ebenso unsicher wie teuer, kostet Zeit und Nerven und beschwört Medienbrüche herauf, die den Datenaustausch zusätzlich behindern. Der Transfer von Dokumenten, Geometriedaten und Produktstrukturen über individuelle Punkt-zu-Punkt-Kommunikation verhindert zudem, dass sich externe Partner zeitnah in den Informationsfluss einklinken können.

Angst vor dem Neuen

Der standortübergreifenden Zusamme-arbeit stehen gleich mehrere Hürden im Weg. Veraltete, proprietäre Datenmodelle müssen an den gängigen Industriestandards wie Step (Standard for the Exchange of Product Model Data) oder XML (Extensible Markup Language) ausgerichtet werden. Zudem ist, als zentrale Herausforderung, die unternehmensübergreifende Integration der Geschäftsprozesse zu bewerkstelligen. Mit Web Services und BPEL (Business Process Execution Language) stehen die hierfür benötigten Technologien allerdings zur Verfügung.
Trotz dieser Hindernisse darf aber nicht übersehen werden, dass sich die Rollen innerhalb der Entwicklungsabteilung immer mehr verändern - egal, ob auf EC vertraut wird, oder nicht. Bedingt wird dies durch die geänderten Anforderungen des globalen Marktes an die Unternehmen.
Anders als früher ist der moderne Ingenieur nicht nur mit Entwicklung und Konstruktion, sondern auch mit administrativen Aufgaben beschäftigt. Konstruktionsrelevante Entscheide fallen in immer früheren Phasen der Produktentwicklung - der Ingenieur muss koordinieren, kommunizieren und delegieren. So wird er zum fixen Bestandteil des Planungs- und Beschaffungsprozesses.

Hilfe für den Ingenieur

Unterstützung erhält er dabei idealerweise von Product-Lifecycle-Management-Systemen. Sie gewähren ihm Zugriff zu neuen, internen oder externen Informationsquellen, stellen Daten aus Einkauf, Logistik und Vertrieb zur Verfügung, liefern Informationen zu Patenten, der landesspezifischen Rechtssituation und Umweltschutz-Regularien. Zudem gewähren sie Zugang zu den Datenbanken wichtiger Zulieferer.
Damit beschleunigen PLM-Systeme sämtliche Analyse- und Entscheidungsprozesse und helfen, die Fehlerrate zu senken, was sich wiederum in steigender Produktqualität niederschlägt. Und PLM-Systeme erlauben es, externe Partner einzubinden, was die Kommunikation und die Möglichkeit zur Kooperation massiv verbessert.

Kontrolle geht vor Vertrauen

Angst vor Missbrauch der eigenen Konstruktionszeichnungen, der patentwürdigen Entwürfe, Systeme oder Datenbanken ist bei Verwendung von PLM-Systemen im Rahmen des EC übrigens unbegründet. Denn diese beinhalten, zum Schutz des geistigen Eigentums aller Prozessbeteiligten, die Möglichkeit zur Vergabe fein abgestufter Zugriffrechte. Damit ist jederzeitige Kontrolle und Transparenz über alle Produktinhalte innerhalb des erweiterten Unternehmensumfeldes gewährleistet.
So erhalten etwa externe Entwickler, die nur für einen Teil eines komplexen Produktes verantwortlich zeichnen, nur Einsicht in jene Daten, die sie zur Erledigung ihrer Teilaufgabe unabdingbar benötigen. Dabei arbeitet die Rechteverwaltung objektbasiert und auf unterschiedlichen Ebenen. Dies ist vor allem dann nötig, wenn komplexe Produkte wie Maschinen oder Autos mit ihren diversen Kombinationsmöglichkeiten entwickelt werden. Die bei solchen Projekten im PLM-System gespeicherten CAD-Modelle und Stücklisten verfügen über eine ausserordentlich komplizierte Struktur, die sich über mehrere Baugruppen oder Objektebenen erstrecken kann. Eine manuelle Rechtevergabe auf Teilebene ist in solchen Projekten angesichts Tausender möglicher Varianten unmöglich. Daher enthält im PLM-System das Zugriffsrecht auf ein übergeordnetes Objekt automatisch auch die Zugriffsrechte für alle darunter liegenden Objekte.
Überdies bieten PLM-Systeme die Möglichkeit, spezifische rollenbasierte Zugriffsrechte auch für einzelne Mitarbeiter, grössere Gruppen oder ganze Organisationen auszugeben. Auch können einzelne Mitarbeiter mehreren Projekten gleichzeitig zugeordnet werden, wobei sie für jedes Projekt individuelle Zugriffsrechte erhalten.
Die Verantwortung für die Vergabe der Zugriffsrechte haben die für die einzelnen Bereiche zuständigen Projektleiter. Durch dieses ausgeklügelte Delegationsprinzip wird der Administrationsaufwand auf mehrere Schultern verteilt und minimiert, sodass das IP-Management nicht die eigentliche Produktentwicklung behindert.

Fazit: Umdenken ist gefordert

Es ist die Erkenntnis nötig, dass sich mit operativen, in SCM-, CRM- oder ERP-Systemen gespeicherten Unternehmensdaten keine Wettbewerbsvorteile erzielen lassen. Es sind die Produkte und Services, über die sich ein Unternehmen auf dem Markt positioniert. Mit Engineering Collaboration lassen sich diese effizienter, rascher und kostengünstiger weiter entwickeln und optimieren, als alleine. Moderne PLM-Systeme erlauben dabei eine effiziente, Unternehmensübergreifende Kommunikation aller Prozessbeteiligten bei gleichzeitigem maximalem Schutz ihres jeweiligen geistigen Eigentums.
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Investitionsgüter-Industrie treibt die Entwicklung

Ein wachsender Bedarf für EC ist vor allem in der Investitionsgüter- und der Automobilindustrie auszumachen. In diesen Branchen tätige Unternehmen betreiben in der Regel mehrere Entwicklungsstandorte und lagern zunehmend umfassendere Teile der Entwicklung und Fertigung an Zulieferer aus. Entsprechend muss das IT-System bei der Kommunikation der Ingenieure die Diskussion von Ideen, Änderungen und Verbesserungsvorschlägen unterstützen. Grundlage der Entscheidungsfindung sind aktuelle Produktdaten und Konstruktionszeichnungen, auf welche jeder Standort Zugriff haben muss. Von den virtuellen Sitzungen profitieren besonders die Zulieferer. Denn sie sind es, die normalerweise die anfallenden Abstimmungskosten - etwa durch Reisezeiten - zu tragen haben.
Checkliste

Fünf Dinge, die ein gutes PLM-System auszeichnen

Web-Client: Er ermöglicht externen Entwicklungsabteilungen den Remote-Zugriff auf PLM-Daten auch durch Firewalls hindurch.
Zugriffrechte: Der Zugriff auf Dateien, Produkte, Preis- und Stücklisten etc. sollte fein abstufbar und sowohl objekt- als auch rollenbasiert über mehrere Ebenen hinweg geregelt werden können. Idealerweise lassen sich die Zugriffsrechte auch über mehrere Projekte und Organisationen hinweg verteilen.
Dateireplikation: Sie gewährleistet, dass Mitarbeiter auch von externen Standorten aus auf Dateien zugreifen können. Der Anwender kann dabei lokale Kopien anlegen und diese offline weiter bearbeiten.
Viewer: Sie helfen bei der Überarbeitung von Designentwürfen, indem Kommentare und Änderungsvorschläge zentral gespeichert und so allen Anwendern zur Verfügung gestellt werden. Sie sollten überdies Objekte so darstellen können, dass auch Prozessbeteiligte aus nicht-technischen Fachbereichen (beispielsweise Marketing, Beschaffung) mit den Ingenieuren diskutieren können.
Chat-Tool: Ein Instant-Messaging-Tool erleichtert die Kommunikation, wenn beispielsweise während einer virtuellen Sitzung gemeinsam an CAD-Objekten gearbeitet wird.
Andre Guldi, Ralf Milewski



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