25.04.2008, 08:44 Uhr

«Business-Wissen ist ein Muss»

Die Anforderungen an IT-Spezialisten haben sich grundlegend geändert: Neben Fachwissen sind heute auch Branchen- und Business-Know-how zwingend nötig. Warum das so ist, erklärt Hans Nagel, Leiter Competence Center Banking von T-Systems Schweiz.
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Hans Nagel, Leiter Competence Center Banking von T-Systems Schweiz: «Die spezialisierte Ausbildung bleibt heute den Unternehmen überlassen.»

Computerworld: Herr Nagel, Informatiker sind zu einem knappen Gut geworden. Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar.


Hans Nagel: Die Lage ist tatsächlich bedenklich: Es gibt nicht nur zu wenig Studienanfänger, sondern auch zu wenig Lehrlinge. Dabei ist Informatik nicht nur ein sehr spannendes Arbeitsgebiet, sondern auch eines der wichtigsten. Informationstechnik findet sich heute überall, jeder kommt ständig damit in Berührung. Wirtschaft und Gesellschaft sind aber nicht nur geprägt von Informatik. Sie sind in gewisser Weise auch davon abhängig. Sehr gute Chancen ergeben sich für Informatiker aus mittelfristiger Sicht: Es werden mehr Informatiker aus dem Berufsleben ausscheiden als nachkommen.

Reicht für die heutigen Anforderungen eine klassische Informatikausbildung, sei es Studium oder Lehre, noch aus?

Als Basis sind sowohl Studium als auch Lehre unverzichtbar. Wie in vielen Berufen ist allerdings auch in der Informatik der Weiterbildungsbedarf hoch. Kaum ein Fachgebiet entwickelt sich mit vergleichbarer Dynamik. Dazu kommen die spezifischen Anforderungen der Unternehmen, die ihrerseits intensive Ausbildungsprogramme anbieten. Dies umfasst in hohem Masse auch Business-Know-how. Auch T-Systems bietet für Absolventen mehrere Einstiegsprogramme an. Unsere Erfahrungen damit sind sehr gut.

Haben Quereinsteiger heute überhaupt noch eine Chance?

Quereinsteiger haben insbesondere dann gute Chancen, wenn in der angestrebten Position ihr spezifisches Wissen genutzt werden kann. Das ist sehr häufig bei den Ingenieur- und Naturwissenschaften der Fall. Diese Personen bringen häufig ein Hintergrundwissen mit, das ihnen bei der Lösung der Informatikprobleme helfen kann. Seltener als früher beobachten wir heute hingegen den Quereinstieg nach einer Lehre.

Wie sehen Ihrer Meinung nach die Möglichkeiten für Informatiker mit Know-how, aber ohne entsprechenden Abschluss oder Zertifikat aus?

Anerkannte Abschlüsse oder Zertifikate sind sicher wichtig. Genauso wichtig sind aber spezifische Kenntnisse, die jemand «on the job» erworben hat. Das kann häufig ein ganz besonderes hoch spezialisiertes Wissen sein - und dafür gibt es selten Zertifikate. Allgemein gilt aber sicher, dass sich Informatiker ständig weiterbilden und dies auch dokumentieren sollten.

«Business-Wissen ist ein Muss»

Warum brauchen Informatiker Business-Know-how?

Es wird für Firmen immer wichtiger, sich im Wettbewerb zu differenzieren. Die IT wird daher verstärkt Teil der Unternehmensstrategie. Informatiker, die verstehen, was ihre Firma oder ihre Kunden am Markt tun, können selbst Impulse fürs Business geben, statt nur dessen Wünsche entgegenzunehmen. Und sie können die neuen Anforderungen selbstständig in IT-Lösungen umsetzen. So haben sie die Chance, begehrte Gesprächspartner der Business-Etage zu werden.

Hat sich der Studiengang «Wirtschaftsinformatik» bewährt, um Business-Verständnis und Informatik-Know-how zu koppeln?

Prinzipiell hat der Studiengang zu einem deutlich besseren Verständnis von Business und Informatik beigetragen - in beiden Richtungen. Damit wurde eine gute Basis für eine weitere Spezialisierung geschaffen. Denn es braucht in der Praxis natürlich vertieftes Know-how.

Wie genau müssen die Business-Kenntnisse eines Informatikers beschaffen sein? Wo kann er sie lernen?

Zunächst sollten Informatiker, die an Businessapplikationen arbeiten, ein grundsätzliches Verständnis von Wirtschaft haben. Dann müssen sie sich mit dem Markt beschäftigen, in dem sie arbeiten. Viele Unternehmen bieten entsprechende interne Kurse an. Betrachtet man konkrete Branchen, etwa Banken, muss man als Informatiker zwingend die Geschäftsprozesse einer Bank verstehen. Nur so kann man zielführende Lösungen entwickeln. In unserem Competence Center Banking arbeiten wir auf diese Weise. Ähnliches gilt für andere Branchen, beispielsweise Healthcare.

Die Hochschulen werden ja in absehbarer Zeit kaum Informatiker mit speziellen Branchenkenntnissen ausbilden. Woher nehmen also die Unternehmen diese Fachleute?

Die Hochschulen können Informatikern in der Tat bestenfalls grundlegende Wirtschaftskenntnisse vermitteln. Die spezialisierte Ausbildung bleibt den Unternehmen überlassen. Dazu gehört auch die Ausbildung für Branchensoftware wie Avaloq oder Finnova im Bankenbereich. Als Dienstleister und Technologiepartner ihrer Kunden verknüpfen die T-Systems-Informatiker in besonderer Weise Business- mit IT-Know-how, etwa im schon erwähnten Bankenkompetenzzentrum. Davon profitieren grundsätzlich alle Kunden aus dem Bankensektor.

Führt die extreme Spezialisierung in den verschiedenen Informatikberufen zu einem gewissen «Fachidiotentum» bei Informatikern? Könnte das nicht ein Grund sein, der Informatik erst recht den Rücken zu kehren?

Spezialisierung und Fachidiotentum haben wenig miteinander zu tun. So genannte Fachidioten interessieren sich nur für ihr Spezialgebiet und sonst nichts auf der Welt. Das hat jeder selbst in der Hand und es hat grundsätzlich nichts mit Informatik zu tun. Im Gegenteil: Die Informatik selbst und die Anforderungen an die Informatik verändern sich so schnell, dass man ständig Neues - und nicht nur Fachspezifisches - annehmen muss. Hier ist natürlich Eigeninitiative genauso gefragt wie eine gezielte Personalentwicklung durch die Unternehmen.

«Business-Wissen ist ein Muss»

Welche Karrierechancen bieten sich einem -Informatiker, respektive einem Wirtschafts-informatiker mit spezifischen Branchenkenntnissen?

Nach dem Einstieg in die relevanten IT-Applikationen und dem Verständnis der Möglichkeiten der Applikationen sowie des Marktumfeldes geht die Entwicklung entweder in Richtung Applikationsspezialist im Application Management oder IT-Beratung. Applikationsspezialisten befassen sich vertieft mit der Umsetzung branchenspezifischer Anforderungen, IT-Berater übernehmen Aufgaben in Kundenprojekten. In beiden Fällen ist ein besonderes Branchen-Know-how gefragt, beide Wege sind attraktiv und bieten eine stabile Perspektive.

Wie kann aus Ihrer Sicht die Attraktivität des Informatikberufs für Berufseinsteiger gesteigert werden?

Das ist eine herausfordernde Aufgabe, insbesondere, wenn Informatikern immer wieder einmal der Eindruck vermittelt wird, sie seien «Manövriermasse». Dem ist natürlich nicht so, dafür ist Informatik ein viel zu wichtiger Sektor unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Sicher ist es sinnvoll, Informatik bereits in die Schule zu bringen und das breite Spektrum zu zeigen. So wie natur-wissen-schaftliche Fächer, kann auch die Informatik durchaus lebendig dargestellt werden. Ich glaube, dass für viele junge Menschen IT etwas völlig Gewöhnliches ist, ohne dass sie sich darüber bewusst sind. Wenn jemand versteht, wie viel Informatik in einem MP3-Player steckt, hat das schon einen deutlichen «Aha»-Effekt.

Nur wenige Frauen wählen den Beruf der Informatikerin. Warum ist das so? Und wie könnte der Beruf für Frauen attraktiver werden?

Wir sehen ja schon seit langem, dass technische Berufe bei Frauen ganz allgemein auf weniger Interesse stossen als bei Männern. Über das «Warum» mag ich nicht spekulieren; damit müssen sich die Soziologen auseinandersetzen. Tatsache ist, dass manche IT-Berufe zeitlich extrem fordernd sind und es Frauen erschweren, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Andererseits bietet die Informatik attraktive Teilzeitstellen - die auch tatsächlich sehr begehrt sind.

«Business-Wissen ist ein Muss»

Welche Chancen haben ältere Informatiker?

Erfahrene Informatiker besitzen oft wertvolles Know-how im Projektmanagement, insbesondere in der Umsetzung. Informatiker, die dies mit Flexibilität und dem Willen kombinieren, sich ständig mit Neuem auseinanderzusetzen, sind unverzichtbar. Dies wird sich in Zukunft noch verstärken, weil diese erfahrenen Leute oft auch ein besonderes Wissen über ältere Systeme mitbringen. Unternehmen richten daher ihre Personalplanung immer stärker auf diese Personengruppe aus. Aber das gilt ja auch in anderen Berufen: Wer mit seinem Know-How stehen bleibt, verringert seine langfristigen Berufschancen.

Zürich und seine nähere Umgebung gelten mittlerweile als Schweizer Silikon Valley und entsprechend gross ist hier der Bedarf, aber auch der Zustrom an qualifizierten Informatikern. Sie sitzen mit Ihrem Kompetenzcenter Banking in Chur. Welche Erfahrungen machen Sie?

Wir sind ja an beiden Standorten vertreten und sehen die Unterschiede recht deutlich. So wie es Menschen gibt, die das ruhigere Chur schätzen, so mögen viele unserer Mitarbeitenden das dynamische und manchmal auch etwas hektische Zürich. Vor allem wenn wir Spezialisten aus dem Ausland rekrutieren, kommt Chur recht gut an. Jüngere Mitarbeitende mit guter Ausbildung und klaren Karrierevorstellungen bevorzugen dagegen Zürich.

Was bieten Sie IT-Spezialisten, damit diese bei Ihnen anheuern und Ihnen auch langfristig die Stange halten?

T-Systems hat den Vorteil, nicht nur ein Schweizer Unternehmen mit eigenständiger Unternehmenskultur zu sein, sondern auch die Möglichkeiten eines Weltkonzerns zu bieten. Das bringt spannende Herausforderungen: Wer will, kann heute in Chur und morgen in Tokio oder in Projekten in Osteuropa arbeiten. Darüber hinaus ist das Aufgabengebiet insgesamt vielseitig: Banking, Healthcare, Standardisierung der Rechenzentren, um nur einige zu nennen. Da gibt es viel zu tun und viele Möglichkeiten, die wir mit einer konsequenten Personalentwicklung national wie international unterstützen.
Claudia Bardola



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