01.09.2010, 08:39 Uhr

Die grössten IT-Hypes

Die Analysten von Gartner bewerten alljährlich gegenwärtige und künftige Technologien. Auf dem absoluten «Höhepunkt der überzogenen Erwartungen» befinden sich demzufolge etwa Tablet-Rechner oder 3D-Monitore.
Simon Hülsbömer ist Redaktor bei unserer deutschen Schwesterpublikation Computerwoche. Jedes Jahr untersucht Gartner die Reife neuer Technologien und Trends in mehreren Themenfeldern und Branchen. Die am längsten laufende und am breitesten angelegte Untersuchung in diesem Kontext fasst Gartner im «Hype Cycle for Emerging Technologies 2010» zusammen. Am Anfang herrsche bezüglich neuer Technologien stets eine Aufbruchsstimmung, Begeisterung oder gar Euphorie, erläutert Gartner das Modell. Darauf folgten in der Regel das «Tal der Ernüchterung», der «Weg der Erkenntnis» und schliesslich das «Plateau der Produktivität». Zu den Techniken auf dem Höhepunkt überzogener Erwartungen gehören in diesem Jahr Private Cloud Computing, Tablet-PCs wie etwa Apples iPad, Augmented Reality, 3D-Fernseher und -Monitore sowie kabellose Elektrizität und Activity Streams, wie sie etwa auf vielen Web-2.0-Plattformen wie Facebook zu finden sind. Microblogging-Sites wie Twitter, Videokonferenz-Technologie und E-Book-Reader haben laut Gartner ihren Höhepunkt bereits überschritten und befinden sich auf dem Weg ins «Tal der Ernüchterung». Geht es nicht um Hypes und übertriebene Erwartungen, sondern um den tatsächlichen Nutzen, sieht Gartner eine Reihe von Techniken, die in weniger als fünf Jahren zu grundlegenden Veränderungen in der Unternehmens-IT führen könnten. Dazu gehören unter anderem nutzergenerierte Medien, biometrische Authentifizierungsmethoden, Micropayment-Systeme im Internet und Spracherkennung.
Die Gartner-Analysten sehen derzeit fünf generelle Trends im IT-Markt, die für neue Hypes sorgen: Interaktion mit dem Anwender: Neue Formen der Interaktion beeinflussen die Anwendungsformen von Technik. Unternehmen und Organisationen haben häufiger die Möglichkeit, den Weg, auf dem Informationen und Transaktionen an Kunden und Mitarbeiter gelangen, wesentlich zu verändern. So sind Tablet-PCs und 3D-Flachbildschirme stark im Kommen, genauso wie innovative Nutzungsstile wie Gestenerkennungs-Technologie («Gesture Recognition»). Augmented Reality, Inhalte und das Real World Web: Weil das Web immer mehr Einzug in den Alltag hält, entstehen auch neue Gelegenheiten für den personalisierten, individuell angepassten und kontextbezogenen Zugang zu Informationen. Augmented Reality (erweiterte Realität) besitzt insbesondere im Mobile-Bereich - mit Plattformen wie dem Apple iPhone oder Googles Android - ein grosses Entwicklungspotenzial und stellt die Grundlage für die nächste Generation von ortsbezogenen Handy-Applikationen. Nicht ganz so stark verbreitet sind andere Dienste wie der 4G-Standard, Mesh-Netzwerke (Ad-Hoc-Netzwerke) und Sensornetze (WSN) sowie Context Delivery Architecture, die bekannte Informationen über den Anwender (Aufenthaltsort, Gewohnheiten und Vorlieben, persönliche Daten etc.) mit in ihre Services einbezieht (WYNIWYG-Modell = What You Need Is What You Get). Datengetrieben Entscheidungen: Die Menge und Vielfalt digitaler Daten nimmt zu und mit ihnen die Analysemöglichkeiten, die beispielsweise aus ortsbezogenen Diensten und aus Social Media entstehen. Die grundlegenden Technologien dafür, unter anderem die vorausschauende Analyse, sind in den meisten Fällen bereits eingeführt - ihre konkrete Anwendung in neuen Bereichen der IT stellt hingegen noch eine Herausforderung dar.
Cloud Computing und die Folgen: Je stärker die Cloud in der Branche akzeptiert und adaptiert wird, desto einflussreicher wird auch alles, was mittel- und unmittelbar mit ihr im Zusammenhang steht. Während sich Cloud Computing als Sammelbegriff selbst (nach dem Titel «meistgehyptes Thema des Jahres 2009») bereits wieder knapp auf dem Abstieg ins «Tal der Ernüchterung» aufgemacht hat, sind unternehmensinterne Clouds noch nicht auf dem Gipfel angekommen. Dank ihrer Skalierbarkeit ist die Wolke als überall und immer verfügbare Ressource bei vielen Unternehmen beliebt - Sicherheitsbedenken hemmen das Durchsetzungsvermögen einer komplett öffentlichen Lösung jedoch und bringen die interne Cloud weiter nach vorne. Dennoch haben Clouds, die die ganz bewusst für eine breite Masse von Anwendern gedacht sind, wie App-Stores für mobile Geräte, ihre Daseinsberechtigung. Die Noch-Aussenseiter: Eher unbekannte Technologien wie mobile Roboter oder 3D-Drucker sind erst kaum verbreitet, können jedoch bereits in Teilbereichen produktiv eingesetzt werden und als Grundlage künftiger Produkte dienen. Bei den folgenden Technologien handelt es sich um Neueinsteiger im «Gartner Hype Cycle»: Brain-Computer-Interfaces, Tangible User Interface, Gestenerkennung und virtuelle Assistenten stehen für den Paradigmenwechsel in der Interaktion mit dem Anwender. Terahertzstrahlung, fahrerlose Transportfahrzeuge und -systeme, Speech-to-Speech Translation, biometrische Authentifizierung und interaktives Fernsehen zeigen allesamt den Fortschritt langsam aufkommender Techniken. So steht beispielsweise das interaktive Fernsehen heute vor dem Durchbruch - im Hype Cycle tauchte es erstmals vor 14 Jahren auf, als 1996 der erste mediale Hype um dieses Thema kurz bevorstand. Social Analytics und Predictive Analytics demonstrieren neue Aktivität im Bereich der datengetriebenen Entscheidungsprozesse. Private Cloud Computing, Cloud-basierte Web-Plattformen und Activity Streams markieren die Kernthemen in den Bereichen Webentwicklung und -zugangssysteme.
Tablet-PCs, nutzergenerierte Inhalte, 4G-Standard (Next Generation Mobile Networks), mobile Applikation Stores und Micropayment-Systeme für das Internet stellen die grössten Veränderungen im Konsumerbereich der IT dar. Extreme Transaction Processing ist ein gutes Beispiel für den Wandel, den bestimmte Technologien von exklusiven High-End-Lösungen für hochspezialisierte Unternehmen hin in den Mainstream machen. Powerline Communication (kurz PLC, realisiert mittels einer Trägerfrequenzanlage), die Daten- oder Sprachübertragung über das Stromnetz, ist hingegen ein schlechtes Beispiel dafür, wie einst hoch gehandelte Technologien den Sprung in die produktive Phase auch nicht schaffen können respektive werden. Weil sich andere Breitband-Technologien, besonders WiMAX, wesentlich schneller in die breite Masse der Anwendungen und des Marktes weiterentwickeln, wird PCL obsolet sein, bevor es gewinnbringend eingesetzt werden kann. Einige Technologien haben seit dem Hype Cycle im vergangenen Jahr einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht und sich signifikant weiterentwickelt: 3D-Flachbildfernseher und -monitore stehen kurz vor dem Höhepunkt der Erwartungen - den intensiven Marketing-Bemühungen der Hersteller sei Dank.
E-Book-Reader haben den Abstieg in Richtung produktiver Phase sehr schnell genommen, weil Unternehmen wie Apple (iPad) und grosse Verlage die Entwicklung dieses neuen Vertriebskanals extrem vorantreiben. Microblogging, im vergangenen Jahr noch sehr vielversprechend, steht nun kurz vor dem «Tal der Ernüchterung», weil Unternehmen keine Einsatzszenarien finden. Bei den Endanwendern bleiben Dienste wie Twitter jedoch ungebrochen beliebt. Telepresence-Systeme fallen in der Anwendergunst rapide, weil sie noch viel zu teuer sind. Unternehmen, die sie bereits im Einsatz haben, sind nichtsdestotrotz beeindruckt von den Möglichkeiten. Tablet-PCs (auch Pen-centric Tablet-PCs) haben ihren «Peak» erreicht, da sie von den oben bereits genannten E-Book-Readern als potenzielle Konkurrenz getrieben werden. Die Vollbremsung
Öffentlich zugängliche virtuelle Welten - als Beispiel sei das dreidimensionale Internet angeführt - stagnieren in ihrer Entwicklung derzeit ziemlich. Hatte Gartner im Jahr 2009 ihren Durchbruch noch auf zwei bis fünf Jahre in die Zukunft taxiert, rechnen die Analysten nun mit dem produktiven Einsatz nicht vor 2015 bis 2020.
Als Gründe führen die Autoren des «Hype Cycle for Emerging Technologies 2010» vor allem die verlangsamten Entwicklungsaktivitäten in dieser Richtung an, was auch mit der wirtschaftlichen Ernüchterung rund um Errungenschaften wie «Second Life» zusammenhängen mag.
Simon Hülsbömer



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