«Agilität ist kein IT-Thema – alles wird agil»

Das Warten auf die Anderen

CW: Welches sind die grössten Hürden für ein agiles Unternehmen?
Naef: Auch wenn die traditionellen Planungs- und Projektmanagement-Methoden uns in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen haben. Sie sind heute ebenso Altlasten wie die hierarchischen Strukturen sowie deren bürokratischen Prozesse, die oftmals nur dem Selbstzweck von Konzernfunktionen und Overhead-Strukturen von Unternehmen dienen. Diese hierarchischen Strukturen mit ihren starren Finanz-, Kontroll- und Planungsprozessen, die aus dem Industriezeitalter des letzten Jahrhunderts stammen – Stichwort: Taylorismus –, sind für das neue agile Paradigma nicht geeignet – und auch nicht damit kompatibel.
CW: Ich höre hier heraus, dass Sie Wasserfallmethoden und hierarchische Strukturen nicht sonderlich schätzen.
Naef: Korrekt. Ich habe beobachtet, dass in traditionell geführten Projekten – nach der Wasserfallmethode – die Teams viel Zeit damit verbringen, auf andere zu warten. In Projekt-Reviews lautete eine häufige Erklärung auf die Frage, warum das Projekt hinter dem Zeitplan zurücklag: «Wir warten darauf, dass Einheit A das Teilprodukt X liefert.» Dies konnte seine Ursache darin haben, dass die Geschäftsbereiche Spezifikationen oder Testfälle absegnen oder Abnahmetests durchführen müssen usw. Oder an der IT-internen Bürokratie, wie zum Beispiel Enterprise Architecture, um die Lösungsarchitektur freizugeben, Cybersecurity, um die Risiken abzuzeichnen, IT-Betrieb, um Server bereitzustellen, usw. Oder aber aufgrund externer Faktoren, wie zum Beispiel wenn ein Lieferant einer outgesourcten Komponente nicht pünktlich liefert.
CW: Warum verbringen wir so viel Zeit damit, auf andere Projektbeteiligte zu warten?
Naef: Einfach gesagt wegen der strikten Aufgaben- und Rollentrennung des Industrialisierungsansatzes, die zu mehrfachen Übergaben (Hand-over) und zu Overhead führt.
Ein CIO-Kollege einer europäischen Bank, der selber starker Befürworter agiler Arbeitsweisen ist, sagte mir vor ein paar Jahren: «Bei Agile geht es darum, Hand-overs abzuschaffen. Hand-overs verlangsamen Prozesse und sind die Quelle von Fehlern.»
Im Roman «The Phoenix Project» beschreiben Gene Kim und Kevin Behr treffend, dass es bei Agile um die Fokussierung auf Einfachheit geht – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren –, also alles Unnötige zu entfernen. Ähnlich wie bei Lean-Methoden in der Fertigung geht es um die Minimierung von «work in progress» (Halbfabrikaten) und das Vermeiden von Engpässen.
CW: Ersetzen Sie nicht eine Bürokratie mit einer neuen? Wasserfall mit Agile?
Naef: Eher nicht. Meiner Meinung nach geht es bei agilem Vorgehen weniger darum, noch eine weitere Methodik (Holokratie, Kanban, SAFe, Scrum, etc.) minutiös zu befolgen und damit wieder Bürokratie einzuführen. Sondern um eine Denkweise, die sich auf einige wenige Prinzipien im gesamten Unternehmen und nicht nur in der IT konzentriert:
  • Reduzierung von Hand-overs, Hierarchien und Bürokratie. Stattdessen Fokus auf integrierte und selbstorganisierende Teams, die mit sehr schlanker Governance eigenständig entscheiden können.
  • Positive Einstellung gegenüber Menschen mündet in Vertrauen gegenüber den Mitarbeitern, dass sie die Arbeit erledigen. Gehen Sie aus dem Weg. Kein Mikromanagement oder übermässigen Kontrollen und Prozesse.
  • Reduzieren der Grösse von Arbeitspaketen und «work in progress» und damit das Verkürzen der Zykluszeit.
  • Konstante und kontinuierliche Verbesserungen anstelle von klar definierten Projekten und iterative Anpassungen anstelle von langen, komplizierten Plänen.
CW: Welche Rolle kann der CIO bei der agilen Transformation des Unternehmens spielen?
Naef: Da agile Methoden in der IT bereits eine gewisse Tradition haben, ist der CIO gut dafür positioniert, auch die agile Transformation im gesamten Unternehmen voranzutreiben. CIOs sollten die Business-Kollegen dabei unterstützen, ebenfalls agil zu werden, indem sie diese Prinzipien übernehmen und ihnen helfen, den Mindset und die Kultur innerhalb ihrer Organisationen zu ändern. Dies ist ein wichtiger Teil der Rolle des modernen CIOs, der für sein Unternehmen einen echten Mehrwert schaffen und einen positiven Einfluss im Unternehmen ausüben möchte.
Von den CIOs von heute wird erwartet, dass sie aus dem Backoffice herauskommen, die traditionelle Rolle der IT als Support-Einheit verändern und aktiv die agile Transformation des gesamten Unternehmens vorantreiben.
Zur Serie
Die künftige Rolle des CIO
Im Interview äussert Patrick Naef prägnant seine Meinung über aktuelle und künftige Herausforderungen der IT. Für Computerworld skizziert er die künftige Rolle des CIO. Die Beiträge zu Themen wie Digital Leadership, den Mehrwert von IT, Open Innovation und die Virtualisierung des Geschäfts sind in regelmässigen Abständen auf www.computerworld.ch zu lesen.
Bisherige Artikel:
Patrick Naef: «Agilität ist kein IT-Thema – alles wird agil» (dieser Beitrag)




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