«Agilität ist kein IT-Thema – alles wird agil»

Die Realität und die Bremsen

CW: Wie sieht die Realität aus?
Naef: Meine persönliche Erfahrung, die ich als CIO bei einer agilen Transformation gemacht habe, hat mich gelehrt, dass das gesamte Unternehmen agil werden muss, um die wahren Vorteile agiler Methoden nutzen zu können – und das erfordert weit mehr als nur die Transformation der IT. Es reicht nicht aus, Methoden wie SAFe oder Scrum in der IT zu implementieren, ein paar Projekte nach dem agilen Ansatz durchzuführen und zu glauben, dass das Unternehmen dadurch schneller am Markt ist.
CW: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Naef: Nachdem wir jahrelang schon Rapid-Prototyping-Methoden eingesetzt und unsere IT-Teams mit den Fachbereichen physisch zusammengelegt hatten (co-location), begannen wir 2013 mit der Einführung agiler Methoden. Wir haben sehr schnell Vorteile erzielen können; indem wir in der Lage waren, kleinere Teile gebrauchsfertiger Software viel schneller zu liefern als bei der Anwendung des traditionellen Wasserfallmodells.
Als wir jedoch den Code in Produktion setzen wollten, blieben wir bei unseren eigenen IT-internen, ITIL-basierten Prozessen stecken. Unsere IT-Operations-Kollegen, die zu Recht den Auftrag haben, den «heiligen Gral» des sicheren und stabilen Betriebs zu bewachen, erlaubten nur zu vordefinierten Zeitpunkten, dass Software-Code auf der Grundlage strenger Abnahmekriterien und Prozesse in die Produktion freigegeben wurde. Zum Beispiel, wenn die monatlichen oder manchmal auch vierteljährlichen Release-Zyklen fällig waren. Uns war klar, dass wir diesen Engpass nur überwinden können, wenn wir die Mitarbeiter des IT-Betriebs in die agilen Teams (Squads) integrieren und sie und ihre Prozesse zum Teil der agilen Transformation machen. Dies war der Beginn von DevOps in der Organisation.
Viele Unternehmen stoppen ihre agile Transformation in diesem Stadium, weil sie agil als eine IT-Methode betrachten. Wir wollten aber weitergehen. Denn wir stellten fest, dass uns einige andere Bereiche des Unternehmens immer noch ausbremsten und daran hinderten, die wahren Vorteile der agilen Methoden voll zum Nutzen des Unternehmens umzusetzen.
CW: Was waren das für Bremsen?
Naef: Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen unabhängig von meinen früheren Arbeitgebern. Natürlich ist jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen oder Organisationen rein zufällig:
  • Die Marketingabteilung weigert sich, dass die neuen Funktionalitäten der mobilen App ausgerollt werden, weil eine Marketingkampagne zur Bewerbung einer Reihe neuer App-Funktionen erst in ein paar Monaten stattfinden soll.
  • Die Finanzabteilung weigert sich, weitere Mittel freizugeben, weil das Budget für das Jahr bereits aufgebraucht ist. Und sie bestehen darauf, dass alle Projekte auf Eis gelegt werden, bis im Rahmen des regulären jährlichen Budgetierungsprozesses neue Mittel genehmigt würden.
  • Die Personalabteilung weigert sich, dem Team nach einem wichtigen, erfolgreichen Sprint eine Auszeichnung für die hervorragende Arbeit zukommen zu lassen. Dies, weil der reguläre jährliche Nominierungsprozess für den «Chairman's Award» des Unternehmens erst vor zwei Monaten abgeschlossen wurde und das Team daher für den Zyklus des nächsten Jahres nominiert werden sollte.
Ich könnte wahrscheinlich mit solchen Beispielen von Einheiten und Funktionen innerhalb der traditionellen hierarchischen Silos weitermachen, aber ich denke, Sie haben den Punkt verstanden: Sie können Agile nicht auf die IT beschränken, wenn Sie tatsächlich von der erhöhten Geschwindigkeit profitieren wollen, die agile Arbeitsweisen bieten. Stattdessen müssen Sie die Transformation durch das gesamte Unternehmen vorantreiben.



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