Neue Zugpferde für die Schweizer ICT-Branche

Wo bitte gehts nach New Work?

Laut Abacus Software ist der Trend hin zu Web-basierten Lösungen ungebrochen: Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete man beim Ostschweizer Software-Hersteller in diesem Segment ein Plus von über 30 Prozent. Und bei Aspectra gibt es mehr Anfragen zu Cloud- und Home-Office-Lösungen. Anwender und Software-Hersteller seien bemüht, papierlose Lösungen schneller zu lancieren, stellt Geschäftsführer Kaspar Geiser fest. Ihm zufolge ist den Anwenderunternehmen nun bewusst geworden, dass ein Teil der Arbeit aus standardisierten Abläufen bestehe. Diese müsse man nicht im Büro erledigen, das Home Office eigne sich gut dafür. Ähnlich sieht man das bei Adesso Schweiz: «Unsere Kunden, Partner und wir selbst haben realisiert, wie gut die Zusammenarbeit auch remote funktioniert», sagt Dominik Langer, Chief Digital and Innovation Officer.
“Wir haben realisiert, wie gut die Zusammenarbeit auch remote funktioniert„
Dominik Langer, Adesso Schweiz
Jede Organisation werde ihren eigenen Mix aus Home Office, Büro und Coworking-Spaces finden, ergänzt Niema Nazemi, Head of Collaboration von Cisco, und er prophezeit: «Die verteilte Teamarbeit wird bleiben.» Entsprechend gefragt seien denn auch Produkte für die dezentrale Zusammenarbeit. Gemäss Cisco Schweiz schnellten die Zugriffe auf die kostenlose Version der Collaboration-Lösung WebEx in den ersten Corona-Wochen um den Faktor 7 in die Höhe. Im April hätten eine halbe Milliarde Sitzungsteilnehmer rund 25 Milliarden Sitzungsprotokolle generiert – mehr als das Dreifache des Durchschnitts. Das trieb den Netzwerk-Traffic nach oben, wobei der verstärkte private Konsum seinen Teil dazu beitrug. Swisscom lässt verlauten, dass die Kunden während des Lockdowns mehr tele­foniert und mehr TV geschaut haben. Beim Telko selbst waren während der ausserordentlichen Lage rund 90 Prozent der Mitarbeitenden im Home Office.
«Die Anwender sind bereit für das Home Office», sagt Marcel Schmid, Leiter Kommunikation bei CKW. Aber wird es sich auch etablieren? Laut verschiedenen Erhebungen wollen zwischen 30 und über 50 Prozent der Arbeitnehmenden auch nach dem Lockdown wenigstens teilweise im Home Office arbeiten, weiss man bei Abacus. Ein Grossteil der Mitarbeitenden schätze die Flexibilität, von zu Hause aus arbeiten zu können, sagt InfoGuard-CEO Thomas Meier. Viele Arbeitgeber hätten realisiert, dass Home Office besser funktioniere als gedacht. Es bringe zudem Einsparpoten­ziale mit sich, bringt es Adessos Langer auf den Punkt. Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass es nicht zu einem Paradigmenwechsel komme. Vielmehr dürften die Arbeitsmodelle komplementär eingesetzt werden. «Home Office wird uns sicher erhalten bleiben, jedoch nicht als Alternative zum Büro, sondern als Ergänzung», erklärt Nazemi.
Gemäss Geiser von Aspectra eignet sich das Arbeiten zu Hause für Administration, Ausbildung, Codieren und das Abarbeiten von Tickets. Er plädiert für ein 50:50-Modell: Die Hälfte der Arbeit soll frei von Bürozeiten und Standort erledigt werden, Sitzungen und Workshops aber im Büro stattfinden. Dieses Modell verfolgte im Lockdown auch Post­Finance. Im Rochade-Modus arbeiteten 50 Prozent der Mitarbeitenden zu Hause und 50 Prozent im Büro. Gregor Kübler geht ebenfalls davon aus, dass sich eine Mischform etablieren wird. «Damit dies funktionieren kann, braucht es ganzheitliche Konzepte mit Handlungsanleitungen für Kommunikationswege, Anforderungen an die IT sowie Collaboration-Tools und Cyber Security», sagt der Head of Sales and Business Development von DataStore. Laut Digicomps Kupper haben Arbeitsplatzkonzepte, die flexible Arbeitszeiten und virtuelle Zusammenarbeit ermöglichen, in der Corona-Krise ihre Zukunftsfähigkeit bewiesen. Mitarbeiter müssten aber noch lernen, digitale Tools für die Zusammenarbeit effizienter zu nutzen.

Kinder, Kaffee, Kontrolle?

Quelle: Computerworld
Für Ales Kupsky, Head of Application Services und stellvertretender CEO bei Avectris, ist das Home Office auch eine Kulturfrage. Es fordere neue Wege der Kollaboration und des Austausches und für die Mitarbeiterführung «auf Distanz» brauche es klar vereinbarte Ziele. Philipp Kronenberg rät Firmen, neue Teamrituale einzuführen. Der CEO von bbv Software Services meint damit unter anderem virtuelle Teamapéros, Remote-Stand-ups oder auch Staff Meetings. Bei IT-Problemen müsse man die Mitarbeitenden aktiv unterstützen. Die zwischenmenschlichen Dialoge zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sollten geplant und forciert werden, führt Kronenberg weiter aus. Roman Hugelshofer, Managing Director Application Security und Mitglied der Geschäftsleitung von Ergon, stellt gar fest, dass abteilungs- und teamübergreifende Aktivitäten ohne spezifische Massnahmen kaum noch stattfinden würden.
Adessos Langer warnt davor, die Wichtigkeit des Austauschs zwischen Mitarbeitenden, wie er zum Beispiel in Kaffeepausen oder über Mittag stattfindet, zu unterschätzen. Für Home Office brauche es alternative Gefässe, um diesen Austausch zu ermöglichen. Vorgesetzte sollten zudem die individuellen Unterschiede zwischen den Mit­arbeitenden berücksichtigen. Der introvertierte Mitarbeiter wähne sich vielleicht im Paradies, vernachlässige aber den Informationsaustausch mit seinen Kollegen. Extrovertierte Mitarbeiter könnten hingegen unter dem fehlenden Kontakt mit ihren Kolleginnen leiden.
Geiser von aspectra konstatiert einen Nachholbedarf beim Umgang mit der Arbeitszeit, der Arbeitsmethodik und dem Reporting. In diesen Punkten müssten HR-Spezialisten die Anwender schulen, da sonst rasch Unklarheiten zu Arbeitszeit, Kaffeepause und Kinderbetreuung aufkämen. Auch die Integration und die Weitergabe des Know-hows erfahrener Mitarbeiter sei im Home Office eine Herausforderung. Geiser warnt zudem davor, dass manche im Home Office zu viel arbeiten, dies aber niemandem mitteilen. Eine «soziale Kontrolle» unter Kollegen sei ohne physische Präsenz eben schwierig, gibt er zu bedenken.



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