ERP-Migration 21.05.2019, 15:57 Uhr

Schweizer SAP-Kunden verunsichert

Unter den Schweizer SAP-Kunden herrscht eine Verunsicherung. Unter anderem die notwendige Migration der ERP-Systeme bis 2025 wirft viele Fragen auf, ergab eine Umfrage der IG SAP.
Peter Hartmann von der IG SAP begrüsste rund 100 Gäste am Meeting in Zürich
(Quelle: computerworld.ch)
Die Schweizer SAP-Community ist verunsichert. Bis 2025 müssen die Unternehmen ihre bewährten ERP-Systeme auf die neue S/4Hana-Plattform migriert haben, sonst drohen zusätzliche Kosten für den Weiterbetrieb einer veralteten Software. Und für Sicherheits-Updates. Allein im Mai hat SAP 13 Lücken gestopft. Für jeden einzelnen Patch müssen die Firmen dann voraussichtlich bezahlen. Eine Wahl haben sie nicht, denn die ERP-Software ist bei ausnahmslos allen Firmen geschäftskritisch. Steht das SAP, steht auch das Geschäft.
Bis anhin zeigt sich SAP unnachgiebig beim Support-Ende: Alle R/3-Systeme müssen bis 2025 auf S/4Hana migriert sein. Aus den Firmen ist dabei immer wieder zu hören, dass die Migration nicht so reibungslos funktioniert, wie es die Hochglanz-Präsentationen von SAP versprechen. In der Schweiz haben sich rund 100 Firmen in der «Interessengemeinschaft SAP Schweiz» (IG SAP CH) zusammengeschlossen, um mit einer gemeinsamen Stimme sprechen zu können. Die IG SAP hat ihrerseits die Stimmen der Mitglieder gesammelt: In einer Umfrage zeichnet sie ein Meinungsbild der Schweizer SAP-Landschaft.

Bewährtes, aber kostspieliges ERP

Einige Ergebnisse der Umfrage präsentierte IG-SAP-Sprecher Peter Hartmann an einem Meeting der Interessengemeinschaft Mitte Mai in Zürich. Demnach betreiben heute 90 Prozent noch die «alte» Version ECC 6.0. Knapp die Hälfte (49 Prozent) will bis 2025 auf S/4Hana migrieren. Weitere 29 Prozent sind noch unentschieden. Für die übrigen 22 Prozent steht schon jetzt fest: Sie wechseln bis zum Support-Ende nicht und setzen weiterhin auf die bewährte ERP-Software – möglichst zu tieferen Kosten als heute.
Rund 74 Prozent bewerten Preis/Leistung für Wartung «gerade noch als OK»
Quelle: IG SAP CH
Die Kosten für den Betrieb und die Wartung der heutigen Systeme sind nach Meinung der Mehrheit der Schweizer Unternehmen schon heute nur «knapp okay» (74 Prozent). Für 24 Prozent sind sie zu teuer. Nur gerade 1 Unternehmen (2 Prozent) bewertet die Kosten mit «gut, ausgewogen». Mit den Konditionen von SAP respektive den SAP-Partnern sind lediglich 16 Prozent der IG-SAP-Mitglieder zufrieden. Die Mehrheit (84 Prozent) ist unzufrieden oder beurteilt die Konditionen als «gerade noch okay». So ist es wenig verwunderlich, dass 49 Prozent Alternativen prüfen – vom Wechsel des SAP-Partners über eine Verlagerung der Verträge ins Ausland, dem Beauftragen eines Drittwartungsanbieters bis hin zur kompletten ERP-Wechsel.

«Das ERP S/4Hana läuft einwandfrei»

Laut der IG-SAP-Umfrage sind rund 7 Prozent der Schweizer Anwenderunternehmen bereits produktiv auf der neuen S/4Hana-Plattform. Bei 77 Studienteilnehmern sind das fünf Firmen. Zwei davon berichteten an dem Meeting von ihren Erfahrungen mit der neuen ERP-Software.
Rund 7 Prozent sind schon umgestellt, immerhin 43 Prozent planen die ERP-Migration bis 2025
Quelle: IG SAP CH
Der erste Referent betreut neben dem S/4Hana circa 30 Umsysteme. Die Lagerverwaltungs-Software ist zum Beispiel via Schnittstellen an das ERP angebunden. In dem Referat wurde die Wichtigkeit eines qualifizierten SAP-Team für die Migration betont. Die Angestellten müssen vor der Umstellung für das neue System geschult werden. Nur so sei es zu schaffen, im Projekt dann auch die notwendige Fahrt aufzunehmen. Den rund 100 Gästen wurde davon abgeraten, auf die allerneuste S/4Hana-Version zu setzen. Vielmehr sei es sinnvoll, bei Anwendern den funktionsfähigen Release zu erfragen und die Veröffentlichung eines FPS-Updates (Feature Pack Stacks) abzuwarten.

«Das ERP läuft einwandfrei»

Der zweite Referent war voll des Lobes für das neue System: «Das ERP S/4Hana läuft einwandfrei.» Allerdings seien die Schnittstellen und die Umsysteme eine «Wundertüte». Während des Migrationsprojekts stellte sich heraus, dass ein Detail in der «Simplifizierungsliste» von SAP (kurz gesagt eine Liste der R/3-Funktionen, die in S/4 nicht mehr unterstützt werden) enormen Mehraufwand bedeutete: die Schnittstellen zur Produktentwicklungs-Software. Daher sei eine Analyse der Schnittstellen vor dem Projektstart wichtig, um Überraschungen bei der Migration und Verzögerungen im Projekt zu vermeiden.
Im Rahmen mit der Migration ebenfalls nicht geplant war ein neuer Web-Shop. Der bisherige Online-Shop funktionierte mit R/3, aber nicht mit S/4. Deshalb wurde parallel noch auf Hybris gewechselt. Weiter fehlt im Standard-Setup von S/4 der Support für die Rechnungslegungen in den verschiedenen Ländern. Für das Neu-Anbinden veranschlagten die SAP-Spezialisten hohe Franken-Beträge. Laut dem Referenten existieren allerdings günstige Alternativlösungen aus der Cloud, die sich kostenneutral nutzen lassen.
Schliesslich warnte der Referent seine Mitstreiter von der IG SAP davor, die Migration lange aufzuschieben. «Besser, Ihr startet jetzt. Dann habt Ihr es bald hinter Euch», waren seine Worte – über die viele Anwesende schmunzelten. Wenig zu lachen gab es über den Tipp, das Projekt nicht auf Jahre anzulegen. Eine Migration zum Beispiel von On-Premises in die Cloud erfordere teilweise den Parallelbetrieb dreier ERPs: das Altsystem, ein Migrationssystem und die Cloud. Für alle drei müssen während der Migration die Lizenzgebühren bezahlt werden. «Ein jahrelanges Migrationsprojekt könnt Ihr Euch nur schon wegen der doppelten Lizenzkosten nicht leisten», sagte der Referent. Sein Tipp: Gute Konditionen für die Parallellaufzeiten aushandeln.
Wegen der Kosten für Lizenzen und Wartung sowie der Migrationsthematik will sich die IG SAP weiterhin für ihre Mitgliedsfirmen einsetzen, kündigte Hartmann an dem Anlass an. SAP Schweiz sei offen für Gespräche – auch zu den anderen Themen aus der Mitgliederumfrage.



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