03.07.2012, 15:26 Uhr

Unternehmen müssen IT-Lehrstellen schaffen

Der Schweiz braucht im Jahr 2020 rund 72'000 IT-Fachkräfte und keiner weiss, woher nehmen. Die berufliche ICT-Grundausbildung ist dabei Ausgangspunkt für die höhere Berufsbildung oder die Fachhochschule und somit die Voraussetzung für die Rekrutierung der in der Schweiz dringend benötigten, qualifizierten Fachkräfte.
«Nur 240 Master pro Jahr, das ist ein Witz!», Andreas Kaelin, Präsident ICT-Berufsbildung Schweiz
Der gesamtschweizerische Rekrutierungsbedarf an ICT-Fachkräften wird laut einer Schätzung des Berufsverbands ICT-Berufsbildung Schweiz bis zum Jahr 2020 bei 72'500 Personen liegen. Zwischen 25'000 und 30'000 Informatiker werden vermutlich fehlen, wie Computerworld heute morgen berichtete. Das ist das Ergebnis einer zum zweiten Mal durch den Verband in Zusammenarbeit mit Econlab durchgeführten Studie. Im Vergleich zu 2009 hat die Anzahl der Beschäftigten in der helvetischen Informations- und Kommunikationstechnologie um 3,5 Prozent auf 176'600 zugenommen. Zwar hat sich also der Fachkräftemangel momentan leicht abgeschwächt, doch mittel- und langfristig betrachtet liefert das Ergebnis keinen Grund zum Jubeln. Mit 107'300 (61 Prozent) Softwareentwicklern und -analytikern stellt diese Gruppe die stärkste im ICT-Berufsfeld dar und gleichzeitig auch jene Gruppe, wo auch künftig am meisten Bedarf sowie Mangel vorhanden sein wird. Mit 27,3 Milliarden Franken Wertschöpfung ist die ICT-Wirtschaft produktiver als die Maschinenindustrie oder die Chemiebranche und auf Augenhöhe mit dem Baugewerbe. Rund 4 Prozent der Beschäftigen erwirtschaften 5,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Schweiz. Durch Outsourcing und die Verlagerung von Gesellschaften ins Ausland, um beispielsweise gewisse Restriktionen zu umgehen, geht der Schweizer Wirtschaft aber viel dieser Wertschöpfung verloren. Trotzdem wird die ICT noch immer stiefmütterlich behandelt: Die Politik setzte sich bis dato zu wenig für die Branche ein, noch viel zu wenige Unternehmen bilden Lehrlinge in diesem Bereich aus und auch in der Schule hat es die Informatik noch immer nicht zum Pflichtfach geschafft. Lesen Sie auf der nächsten Seite: «IT Firmen top, Banken und Handel flop»

IT-Firmen top, Banken und Handel flop

Vor allem Anwenderunternehmen, die ICT einsetzen, müssen daher deutlich mehr Informatik-Lehrstellen schaffen. Als Negativbeispiele sind hier vor allem Banken und Versicherungen, der Gross- und Detailhandel, sowie Beratungsunternehmen zu nennen. Unternehmen in diesen Bereichen haben einen enorm hohen Bedarf an IT-Fachkräften, bilden aber selbst unterdurchschnittlich wenig Lehrlinge aus. Hier setzt auch die ICT-Berufsbildung Schweiz an, wie Andreas Kaelin, Präsident des Verbandes, erklärt: «Die Priorität unserer Arbeit liegt bei der Schaffung von Lehrstellen.» Konkret müssten mindestens 10'000 neue IT-Lehrstellen her, so Kaelin. Momentan sind es knapp 7000. Erst wenn auf dieser Ebene das Ziel erreicht sei, liesse sich auf allen anderen Ebenen die Versorgung mit IT-Leuten gewährleisten, ergänzt Jörg Aebischer, Geschäftsführer ICT-Berufsbildung Schweiz. Die berufliche IT-Grundausbildung ist also Ausgangspunkt für die höhere Berufsbildung oder die Fachhochschule und somit die Voraussetzung für die Rekrutierung der in der Schweiz dringend benötigten, qualifizierten Fachkräfte.

«Wir müssen Türklingen putzen»

Für eine möglichst frühe IT-Ausbildung setzt sich auch Barbara Jasch, Geschäftsführerin des Zürcher Lehrbetriebsverbands ZLI, ein. Mit Projekten wie der Roadshow «Achtung Technik los», bei der Kindern die Bedeutung von Technik und IT nähergebracht werden soll oder mit Auftritten auf Berufsmessen versuchen die Verbände das noch immer eher negative Image des IT-Berufs zurechtzurücken. Auch bei den Lehrern, die selten IT-affin sind, muss angesetzt werden. Mit dem Pilotprojekt Informatik ist spannend (PDF) schult der Verband ICT-Berufsbildung in Zusammenarbeit mit der Initiative eZrich Kinder und Lehrer gleichermassen auf diesem Gebiet.
«In der Vergangenheit haben wir auch Fehler dahingehend gemacht, wie wir unseren Berufsstand verkauft haben», gibt Kaelin zu. Wenn man aber aufzeige, dass IT auch Kommunikation und Kreativität bedeute, könne diese Berufsrichtung auch für Mädchen wesentlich attraktiver werden. Mit einem Anteil von 13 Prozent Frauen im ICT-Sektor liegt die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern mit zum Teil 30 Prozent Frauenanteil noch weit hinten.

Jasch und ihre Mitstreiter besuchen jährlich rund 160 bis 180 neue Unternehmen, die noch keine Lehrlinge ausbilden. «Wir müssen Türklinken putzen», sagt sie «wer sich jedoch erst einmal entschieden hat, IT-Lehrlinge auszubilden, nimmt das dann auch sehr ernst.» IT sei ein Berufsfeld, so Jörg Aebischer, was noch keine Ausbildungstradition habe. «Unsere Aufgabe als Verband ist es aufzuzeigen, dass der Schritt, IT-Leute auszubilden, gar nicht so gross ist und dem Unternehmen am Ende auch Mehrwert bringt.» Die Informatik Schweiz sei ein Exportschlager, dass müsse man den Leuten klar machen, ergänzt Kaelin. Immerhin hat die Anzahl der neu abgeschlossenen ICT-Lehrverträge von 2010 auf 2011 um 10 Prozent zugelegt. Es ist also durchaus ein Fortschritt auszumachen. Allerdings wollen bisher ganz wenige eine eidgenössische Berufsprüfung absolvieren, wie es in traditionellen Branchen seit Jahrzehnten Gang und Gäbe ist. Lesen Sie auf der nächsten Seite: «Neue Verordnung bis 2014 angestrebt

Neue Verordnung bis 2014

Neben der Politik und den Unternehmen haben aber auch die hiesigen Hochschulen und Universitäten versagt: «Es kann ja nicht angehen, dass wir in der Schweiz nur 240 Master pro Jahr produzieren. Das ist ein Witz!», wettert Kaelin. Auch hier gibt es also noch einiges an Schulaufgaben zu erledigen.

Mit dem Projekt «Revision der Bildungsvereinbarung für Informatiker und Informatikerinnen EFZ» setzt sich der Berufsverband mit Bund, Kantonen und der OdA (Organisation der Arbeitswelt) für die Zukunft des ICT-Standortes Schweiz ein. In der Arbeitsgruppe für Qualifikationsprofile, der 40 Experten aus Politik und Wirtschaft angehören, wurde seit Ende 2011 am Inhalt einer künftigen IT-Lehre, also am Qualifikationsprofil, gearbeitet. Diese Phase des Projektes, in der auch die Ziele des ausbildenden Lehrbetriebes definiert sind, ist weitestgehend abgeschlossen. In einer nächsten Phase soll die Schule als Partner ins Boot geholt werden und ein Papier zum Bildungsplan erarbeitet werden, was dann in die öffentliche Vernehmlassung gehen soll. Ziel ist es, dass per 1.1.2014 eine neue Verordnung bezüglich Informatikausbildung in Kraft tritt. Man darf gespannt sein.



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