BARRIEREFREIES WWW 31.10.2005, 08:00 Uhr

Für viele ein gutes Stück Unabhängigkeit

Der Nutzen des Internet für Menschen mit Behinderungen ist weitaus grösser als für Benutzer ohne Einschränkungen. Für sie bedeutet das Internet mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
Das Internet ist wie kein anderes Medium in der Lage, die Schranken der mangelnden Integration abzubauen. Tim Berners Lee, der Erfinder des WWW, prägte schon früh das Zitat: «Die Macht des Web liegt in seiner Universalität. Der Zugang für alle, ungeachtet einer Behinderung, ist daher ein essentieller Aspekt.»
Eine Studie von Harris Interactive zeigt auf, dass bereits im Jahr 2000 für 48 Prozent aller Menschen mit Behinderungen das Internet eine markant bessere Lebensqualität bedeutet, dagegen finden dies nur 27 Prozent aller Personen, die nicht durch eine Behinderung beeinträchtigt sind. Die Bedeutung des Internet für Menschen mit Behinderungen nimmt auch heute noch stetig zu.
Einige Beispiele sollen aufzeigen, wie vielfältig der Nutzen des Internet für Behinderte ist. Während früher ein blinder Mensch auf die Hilfe einer sehenden Person angewiesen war, um seine Zahlungen zu tätigen, kann er heute alles selbstständig über das Internet ausführen. Neben der Selbstständigkeit bedeutet dies für ihn unter anderem mehr Privatsphäre. Ein motorisch behinderter Mensch kann durch das Internet teilweise seine beschränkte Mobilität kompensieren. Online-Shopping bedeutet für ihn nicht nur mehr Bequemlichkeit, sondern mehr Selbstbestimmung durch Unabhängigkeit. Für hörbehinderte Menschen, oft ausgeschlossen von zwischenmenschlicher Kommunikation, ist das Internet nicht nur ein zusätzlicher Kommunikationskanal, sondern eine Möglichkeit zur stärkeren Integration in das gesellschaftliche und soziale Umfeld. Die Möglichkeit der nutzerorientierten Präsentation von Information auf dem Internet hilft auch kognitiv behinderten Menschen Zugang zu Lerninhalten zu erhalten, die vorher durch verschiedene Schranken verborgen blieben. Für sie bedeutet das Internet auch ein Recht auf Bildung.
Überall Barrieren
Die meisten Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass weit mehr Personen von einer Behinderung betroffen sind als man denkt. Weltweit gibt es gemäss der WHO (World Health Organization) über 750 Millionen Menschen mit einer Behinderung und drei von 10 Familien sind durch eine Behinderung betroffen. Weltweit ist jede zehnte Person stark behindert.
Leider ist es heute so, dass die Chancen des Internet für Behinderte nicht oder nur teilweise genützt werden können. Das Internet stellt eine Vielzahl von Hürden und unbezwingbaren Schranken für Menschen mit Behinderungen dar. Die Gründe hierfür liegen nicht in der Schnittstelle zwischen Mensch und Internet. So übersetzt heute eine synthetische Sprache digitale in akustische Information, oder es kann ein Sehbehinderter den Bildschirminhalt mittels einer speziellen Software fast beliebig vergrössern. Unzählige spezielle Eingabegeräte ermöglichen es motorisch behinderten Menschen, mit dem Computer zu interagieren. So kann beispielsweise ein Tetraplegiker einen PC vollständig nur mit den Augen bedienen. Die Ursache, weshalb heute so viele Internetangebote noch immer nicht zugänglich sind, liegt darin, dass viele Entwickler und Auftraggeber die Anforderungen behinderter Menschen an das Internet nicht kennen oder dass sie zu wenig wissen, wie eine Website barrierefrei - ohne Einschränkungen an Design und Usability - gestaltet werden kann.

Usability und Accessibility

Usability beschreibt die Nutzungsqualität einer Website für den User. Accessibility hingegen beschreibt die Zugänglichkeit einer Website für den User, unabhängig von technischen Voraussetzungen oder Einschränkungen. Eine verbesserte Usability führt somit nicht automatisch zu einer verbesserten Accessibility. Im Gegenteil, die klassische Usability berücksichtigt nur User ohne Einschränkungen.
Um eine Website für alle Menschen benutzbar und zugänglich zu gestalten, reicht es nicht aus, allein Usability oder Accessibility zu optimieren. Usability und Accessibility können nicht mehr länger isoliert betrachtet werden.
Manchmal braucht es nicht viel um eine Internetseite auch für behinderte Menschen zugänglich zu machen. Ab und zu reicht es schon aus, alle Bilder und grafischen Links sinnvoll zu beschriften. Meist lohnt es sich aber bei einem Redesign oder einer Neuentwicklung, Accessibility als zentralen Bestandteil des Konzepts «Design for All» zu implementieren, wie das die Schweizer Initiative Design4all.ch anhand von Musterbeispielen dokumentiert. Accessibility heisst nämlich nicht nur Bilder beschriften - Accessibility ist Teil des Design-Konzepts und besteht aus mehreren Grundprinzipien. Entscheidend ist die Trennung zwischen dem Layout und dem strukturierten Inhalt. Damit kann der Inhalt durch verschiedene Sichtweisen, zum Beispiel durch CSS optimiert auf die unterschiedlichen Fähigkeiten und technischen Voraussetzungen des Users präsentiert werden.

Neue Richtlinien des Bundes

Seit dem 23. Mai 2005 sind die neuen Richtlinien des Bundes zur Gestaltung barrierefreier Websites in Kraft. Dieser Standard schreibt vor, dass alle Websites der zentralen Bereiche der Bundesverwaltung, die neu erstellt werden, die Konformitätsstufe AA der WCAG 1.0 erreichen müssen. Bestehende Websites müssen bis zum 31.12.2006 ebenfalls diese Konformität erreichen. Das seit 1. Januar 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) schreibt aber auch vor, dass alle weiteren Organisationen der öffentlichen Hand, wie Kantone und Gemeinden, ihre Internetangebote zugänglich für alle gestalten müssen.
Auswirkungen und Hintergründe der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Internetrichtlinien im Bereich Accessibility in der Schweiz werden in einer im November 2005 erscheinenden Broschüre des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung der Menschen mit Behinderung (EBGB) dokumentiert (Online unter www.design4all.ch/behig/).

Zusätzlich soll im Rahmen der Standardisierungsorganisation E-CH Mitte Oktober dieses Jahres die E-CH-Fachgruppe Accessibility gegründet werden. Die Fachgruppe setzt sich aus Vertretern des Bundes, der Kantone, der Gemeinden, von Behindertenorganisationen und führenden Unternehmen der Informationstechnologie zusammen. Ihr Ziel besteht darin, die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes umzusetzen und zu begleiten. Dabei sollen die in dieser obigen Dokumentation beschriebenen Richtlinien des Bundes zur Gestaltung barrierefreier Websites als richtungweisendes Vorbild dienen.
Zum Autor: Markus Riesch ist technischer Leiter der Stiftung "Zugang für alle".
Markus Riesch



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