Florian Christen, Christenguss 14.06.2021, 06:00 Uhr

«Innovation sichert den Bestand unseres Betriebes»

Eine traditionelle Giesserei hat nur wenig Zukunft im Hochlohnland Schweiz. Christenguss setzt auf Innovation, um den langfristigen Bestand des Betriebes zu sichern, sagt CEO Florian Christen.
Florian Christen hat 2012 von seinem Vater die Giesserei Christenguss übernommen
(Quelle: Samuel Trümpy)
Seit fast 100 Jahren führt die Familie Christen einen Giessereibetrieb. Das Handwerk ist selbst über 5000 Jahre alt. Aber es gibt viel Raum für Innovation, auch digitale. Christenguss hat sich mit einem 3D-Sanddrucker für die Zukunft aufgestellt. CEO Florian Christen erklärt im Interview, welche Hürden sein Unternehmen nehmen musste, und gibt Tipps, wie Schweizer KMU die Digitalisierung angehen können – auch ohne gleich Hunderttausende Franken zu investieren.
Computerworld: Sie haben von Ihrem Vater die Giesserei Christenguss übernommen. Gab es den Gedanken, die Firma nicht zu übernehmen?
Florian Christen: Die Giesserei existiert mittlerweile in der vierten Generation. Meine Eltern hatten allerdings gar nicht geplant oder damit gerechnet, den Betrieb einem der Kinder zu übergeben. Und meine Interessen lagen eher im Finanzwesen, sodass ich in Kreuzlingen in einem Treuhandbüro in der Wirtschaftsprüfung tätig war. Der Job war mir aber schon nach einem Jahr so richtig verleidet, denn das Graben in der Vergangenheit – insbesondere bei der Wirtschaftsprüfung – lag mir gar nicht. Ausserdem entdeckte ich bei dem ganzen Papierkram meine Freude daran, am Ende eines Arbeitstages ein physisches Produkt in der Hand halten zu können.
Im väterlichen Betrieb gab es damals gerade Fluktuation, unter anderem im Büro. Ich hatte mein Interesse an einem Einstieg in die Giesserei signalisiert, wurde aber von meiner Mutter ausgebremst. Sie hatte schlechte Erfahrungen gemacht bei der Betriebsübernahme durch meinen Vater – und wollte böses Blut zwischen uns beiden verhindern. So definierte sie die Regeln für die Übergabe und bot sich als Schlichterin an. Eine ihrer Massgaben war, dass jedes Problem am Ende des Tages gelöst sein musste. Es stellte sich heraus, dass dies eine sehr gute Vorgabe war. Also habe ich 2012 die Geschäftsleitung übernommen.
CW: Gab es Diskussionen, als Sie 2016 den 3D-Sanddrucker kaufen wollten?
Christen: Ja, denn es war eine gewaltige Investition. Meine Überzeugung war, dass wir die Maschine unbedingt anschaffen mussten, da sonst eine Giesserei im Hochlohnland Schweiz auf lange Sicht nicht erfolgreich sein kann. Das war meinem Vater durchaus bewusst. Auch kannte er die Sanddruck-Technologie seit Jahrzehnten. Aber er war skeptisch, ob die Technologie wirklich in dem Rahmen einsetzbar sein wird, den ich mir erhoffte. Wir führten damals viele Diskussionen über den Reifegrad der Technologie, die notwendige Rechenleistung für den produktiven Einsatz und letztendlich über den Business Case.

Business Case beim 3D-Sanddrucker

CW: Wie rechnet sich der 3D-Sanddrucker?
Christen: Über die Komplexität, die Qualität, die Prozessstabilität und die Losgrösse. Im Giesserei-Business steht die Qualität über allem. Die Endprodukte müssen diverse Normen und Vorschriften erfüllen. Hier geht es zum Teil um tausendstel Millimeter. Wenn dann die konventionelle Gussform bei jedem Gussvorgang leidet, sinkt die Prozessstabilität. Das manuelle Nachjustieren oder aufwendige Korrekturarbeiten werden erforderlich, was natürlich Geld und Zeit kostet. Bei einem Sanddrucker ist der erste Guss qualitativ identisch mit dem hundertsten. Hier spielt die Technologie ihre Vorteile aus. Schliesslich zählt auch die Losgrösse. Mit einem Drucker lassen sich sowohl Einzelteile als auch Serienteile produzieren. Der Aufwand ist nahezu identisch. Aber die Ini­tialisierungskosten sinken, speziell, da kein Werkzeug hergestellt werden muss.
Florian Christen von Christenguss musste erst lernen, die technischen Möglichkeiten des 3D-Druckers auszunutzen
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Können Sie bitte kurz erklären, wie die Sanddruck-Technologie funktioniert?
Christen: Gerne. Der Drucker trägt eine Sandschicht auf eine definierte Fläche auf. Danach fährt ein Druckkopf über diese Fläche und sprüht punktuell ein Bindemittel auf. So wird Schicht für Schicht die Gussform aufgebaut. Ist sie fertig, wird sie aus der Druckbox entpackt und gereinigt. Danach zusammengebaut und mit Metall gefüllt wie eine herkömmliche Gussform. Die Vorteile sind der viel kosteneffizientere Aufbau der Form, die kürzere Bauzeit und die Möglichkeit, Teile giessen zu können, die mit normalen Gussformen nicht herstellbar sind.
CW: Wer liefert die Vorlagen?
Christen: Die Vorlagen erstellen wir selbst am CAD-Arbeitsplatz. Hier spielen wir die Vorteile des 3D-Druckers aus und können dem Kunden Werkstücke anbieten, die er sonst nur sehr schwierig herstellen lassen kann. Diese «CAD-Fertigung» ist unser Kerngeschäft.
CW: Fertigen Sie nur Einzelteile oder auch Grossserien?
Christen: Die durchschnittliche Losgrösse beträgt un­gefähr 30 Stück. Ungefähr 10 Prozent der Produkte sind Einzel­anfertigungen. Die grosse Mehrzahl der Aufträge lautet auf zwei bis fünf Stück. Dann gibt es eben noch die Serien mit 20 bis 200 Teilen pro Fertigungslos. Insgesamt haben wir rund 1200 Aufträge pro Jahr.
CW: Was fasziniert Sie persönlich an der Giesserei?
Christen: Zunächst einmal bin ich mit der Giesserei auf­gewachsen. Mich fasziniert, wie in der Giesserei physische Dinge entstehen, die hochgradig komplex und trotzdem sehr präzise sind. In den Prozess spielen so viele Bedingungen hinein, die das Produkt am Ende perfekt werden lassen. Gleichzeitig kann ein einziger kleiner Fehler dafür sorgen, dass das Endprodukt eben nicht mehr perfekt ist – oder gar Ausschuss. Das Tüpfelchen auf dem i ist, dass das Gies­sen auch noch spektakulär aussieht.
CW: Haben Sie Giesser gelernt?
Christen: Nein. Ich habe aber zum Beispiel vor der Übernahme der Geschäftsführung mit in der Schicht gearbeitet und so alle Bereiche kennenlernen können. Mittlerweile ist das Prozessverständnis so sehr gewachsen, dass ich überall zumindest aushelfen könnte, wenn Not am Mann ist. Aber das ist selbst bei einem Betrieb unserer Grösse – mit rund 20 Angestellten – nur sehr selten erforderlich.
Meine Haupttätigkeit sind die Finanzen, der Vertrieb und die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens. Dabei geht es um die Analyse neuer Entwicklungen auf dem Markt und auch um die Umsetzung von Innovation. So nehme ich auch die Kollegen mit in die Zukunft.
Zur Person
Florian Christen
ist seit 2006 bei Christen­guss beschäftigt und führt seit 2012 als Inhaber die Geschäfte der Giesserei Christenguss in Berg­dietikon. Das Unter­neh­men wurde 1923 von Christens Urgrossvater gegründet. Parallel ist Christen seit 2019 als Director of Business Consulting bei Christen Coaching & Consulting in Baar tätig. Weiter engagiert er sich in der Arbeitsgruppe «Digital­strategie» der Initiative «Industrie 2025» des Verbandes Swissmem.



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