Florian Christen, Christenguss 14.06.2021, 06:00 Uhr

«Innovation sichert den Bestand unseres Betriebes»

Eine traditionelle Giesserei hat nur wenig Zukunft im Hochlohnland Schweiz. Christenguss setzt auf Innovation, um den langfristigen Bestand des Betriebes zu sichern, sagt CEO Florian Christen.
Florian Christen hat 2012 von seinem Vater die Giesserei Christenguss übernommen
(Quelle: Samuel Trümpy)
Seit fast 100 Jahren führt die Familie Christen einen Giessereibetrieb. Das Handwerk ist selbst über 5000 Jahre alt. Aber es gibt viel Raum für Innovation, auch digitale. Christenguss hat sich mit einem 3D-Sanddrucker für die Zukunft aufgestellt. CEO Florian Christen erklärt im Interview, welche Hürden sein Unternehmen nehmen musste, und gibt Tipps, wie Schweizer KMU die Digitalisierung angehen können – auch ohne gleich Hunderttausende Franken zu investieren.
Computerworld: Sie haben von Ihrem Vater die Giesserei Christenguss übernommen. Gab es den Gedanken, die Firma nicht zu übernehmen?
Florian Christen: Die Giesserei existiert mittlerweile in der vierten Generation. Meine Eltern hatten allerdings gar nicht geplant oder damit gerechnet, den Betrieb einem der Kinder zu übergeben. Und meine Interessen lagen eher im Finanzwesen, sodass ich in Kreuzlingen in einem Treuhandbüro in der Wirtschaftsprüfung tätig war. Der Job war mir aber schon nach einem Jahr so richtig verleidet, denn das Graben in der Vergangenheit – insbesondere bei der Wirtschaftsprüfung – lag mir gar nicht. Ausserdem entdeckte ich bei dem ganzen Papierkram meine Freude daran, am Ende eines Arbeitstages ein physisches Produkt in der Hand halten zu können.
Im väterlichen Betrieb gab es damals gerade Fluktuation, unter anderem im Büro. Ich hatte mein Interesse an einem Einstieg in die Giesserei signalisiert, wurde aber von meiner Mutter ausgebremst. Sie hatte schlechte Erfahrungen gemacht bei der Betriebsübernahme durch meinen Vater – und wollte böses Blut zwischen uns beiden verhindern. So definierte sie die Regeln für die Übergabe und bot sich als Schlichterin an. Eine ihrer Massgaben war, dass jedes Problem am Ende des Tages gelöst sein musste. Es stellte sich heraus, dass dies eine sehr gute Vorgabe war. Also habe ich 2012 die Geschäftsleitung übernommen.
CW: Gab es Diskussionen, als Sie 2016 den 3D-Sanddrucker kaufen wollten?
Christen: Ja, denn es war eine gewaltige Investition. Meine Überzeugung war, dass wir die Maschine unbedingt anschaffen mussten, da sonst eine Giesserei im Hochlohnland Schweiz auf lange Sicht nicht erfolgreich sein kann. Das war meinem Vater durchaus bewusst. Auch kannte er die Sanddruck-Technologie seit Jahrzehnten. Aber er war skeptisch, ob die Technologie wirklich in dem Rahmen einsetzbar sein wird, den ich mir erhoffte. Wir führten damals viele Diskussionen über den Reifegrad der Technologie, die notwendige Rechenleistung für den produktiven Einsatz und letztendlich über den Business Case.

Business Case beim 3D-Sanddrucker

CW: Wie rechnet sich der 3D-Sanddrucker?
Christen: Über die Komplexität, die Qualität, die Prozessstabilität und die Losgrösse. Im Giesserei-Business steht die Qualität über allem. Die Endprodukte müssen diverse Normen und Vorschriften erfüllen. Hier geht es zum Teil um tausendstel Millimeter. Wenn dann die konventionelle Gussform bei jedem Gussvorgang leidet, sinkt die Prozessstabilität. Das manuelle Nachjustieren oder aufwendige Korrekturarbeiten werden erforderlich, was natürlich Geld und Zeit kostet. Bei einem Sanddrucker ist der erste Guss qualitativ identisch mit dem hundertsten. Hier spielt die Technologie ihre Vorteile aus. Schliesslich zählt auch die Losgrösse. Mit einem Drucker lassen sich sowohl Einzelteile als auch Serienteile produzieren. Der Aufwand ist nahezu identisch. Aber die Ini­tialisierungskosten sinken, speziell, da kein Werkzeug hergestellt werden muss.
Florian Christen von Christenguss musste erst lernen, die technischen Möglichkeiten des 3D-Druckers auszunutzen
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Können Sie bitte kurz erklären, wie die Sanddruck-Technologie funktioniert?
Christen: Gerne. Der Drucker trägt eine Sandschicht auf eine definierte Fläche auf. Danach fährt ein Druckkopf über diese Fläche und sprüht punktuell ein Bindemittel auf. So wird Schicht für Schicht die Gussform aufgebaut. Ist sie fertig, wird sie aus der Druckbox entpackt und gereinigt. Danach zusammengebaut und mit Metall gefüllt wie eine herkömmliche Gussform. Die Vorteile sind der viel kosteneffizientere Aufbau der Form, die kürzere Bauzeit und die Möglichkeit, Teile giessen zu können, die mit normalen Gussformen nicht herstellbar sind.
CW: Wer liefert die Vorlagen?
Christen: Die Vorlagen erstellen wir selbst am CAD-Arbeitsplatz. Hier spielen wir die Vorteile des 3D-Druckers aus und können dem Kunden Werkstücke anbieten, die er sonst nur sehr schwierig herstellen lassen kann. Diese «CAD-Fertigung» ist unser Kerngeschäft.
CW: Fertigen Sie nur Einzelteile oder auch Grossserien?
Christen: Die durchschnittliche Losgrösse beträgt un­gefähr 30 Stück. Ungefähr 10 Prozent der Produkte sind Einzel­anfertigungen. Die grosse Mehrzahl der Aufträge lautet auf zwei bis fünf Stück. Dann gibt es eben noch die Serien mit 20 bis 200 Teilen pro Fertigungslos. Insgesamt haben wir rund 1200 Aufträge pro Jahr.
CW: Was fasziniert Sie persönlich an der Giesserei?
Christen: Zunächst einmal bin ich mit der Giesserei auf­gewachsen. Mich fasziniert, wie in der Giesserei physische Dinge entstehen, die hochgradig komplex und trotzdem sehr präzise sind. In den Prozess spielen so viele Bedingungen hinein, die das Produkt am Ende perfekt werden lassen. Gleichzeitig kann ein einziger kleiner Fehler dafür sorgen, dass das Endprodukt eben nicht mehr perfekt ist – oder gar Ausschuss. Das Tüpfelchen auf dem i ist, dass das Gies­sen auch noch spektakulär aussieht.
CW: Haben Sie Giesser gelernt?
Christen: Nein. Ich habe aber zum Beispiel vor der Übernahme der Geschäftsführung mit in der Schicht gearbeitet und so alle Bereiche kennenlernen können. Mittlerweile ist das Prozessverständnis so sehr gewachsen, dass ich überall zumindest aushelfen könnte, wenn Not am Mann ist. Aber das ist selbst bei einem Betrieb unserer Grösse – mit rund 20 Angestellten – nur sehr selten erforderlich.
Meine Haupttätigkeit sind die Finanzen, der Vertrieb und die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens. Dabei geht es um die Analyse neuer Entwicklungen auf dem Markt und auch um die Umsetzung von Innovation. So nehme ich auch die Kollegen mit in die Zukunft.
Zur Person
Florian Christen
ist seit 2006 bei Christen­guss beschäftigt und führt seit 2012 als Inhaber die Geschäfte der Giesserei Christenguss in Berg­dietikon. Das Unter­neh­men wurde 1923 von Christens Urgrossvater gegründet. Parallel ist Christen seit 2019 als Director of Business Consulting bei Christen Coaching & Consulting in Baar tätig. Weiter engagiert er sich in der Arbeitsgruppe «Digital­strategie» der Initiative «Industrie 2025» des Verbandes Swissmem.

Innovation bei einem KMU

CW: Wie setzen Sie Innovation im Betrieb um?
Christen: Hier kommt unser Verwaltungsratspräsident Paul Hafner ins Spiel, der das Hauptaugenmerk auf der strategischen Weiterentwicklung von Christenguss hat. Wir gehen einmal jährlich in eine Klausur, aus der wir Herausforderungen, Geschäfts-Chancen und Umsetzungspläne mitbringen. Aktuell sind das: Vertrieb, Produktion und Digitalisierung. Diese Themenbereiche arbeiten wir mit den Bereichsleitern durch und definieren die Umsetzung in den jeweiligen Abteilungen. In den wöchentlichen Betriebs­sitzungen werden die Fortschritte dokumentiert – teilweise «nur» mit einem Foto der veränderten Installation.
CW: Sie kooperieren mit Hochschulen für neue Vor­haben. Welche Hilfe sind Forschung und Wissenschaft?
Christen: Für uns als KMU – mit einem beschränkten Budget – sind Hochschulen eine grosse Hilfe bei Vorhaben aller Art. Die Studenten mögen noch keine ausgewiesenen Experten in ihrem Fach sein. Aber sie sind sehr engagiert und extrem lernwillig. Auch gehen sie ohne Scheuklappen an ein Thema heran, was meistens sehr hilfreich ist. Zum Beispiel haben wir mit Studenten der Fachhochschule Nordwestschweiz eine Analyse vorgenommen, ob sich für uns Magnesiumguss lohnen würde. Sie haben für die Semesterarbeit mit Maschinenbauern über die Werkstücke aus Magnesium gesprochen, Behörden zu den zusätzlich erforderlichen Arbeitssicherheitsmassnahmen befragt und die Wettbewerbssituation dokumentiert. Am Ende entstand ein Bericht, den wir uns ohne die Hilfe der Studenten mit ziemlicher Sicherheit nicht geleistet hätten. Sie haben gelernt, mit welchen Herausforderungen die Betriebe in der Schweiz konfrontiert und welche Schritte für die Diversifizierung des Geschäfts notwendig sind. Nebenbei: Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass sich für uns der Magnesiumguss nicht lohnt.
CW: Wer ist der grösste Konkurrent von Christenguss?
Christen: Unsere grössten Wettbewerber sitzen in Europa. In der Schweiz konkurrieren wir beim Aluminiumguss mit zwei bis drei Firmen, beim Kupferguss haben wir im Inland ein Alleinstellungsmerkmal. Hier sind ähnlich grosse Betriebe in Deutschland und Frankreich die Mitbewerber.
CW: Wie weit ist der Wettbewerb beim 3D-Druck?
Christen: In der Schweiz gibt es mittlerweile drei Unternehmen mit einem 3D-Drucker. Der Vorreiter war Benninger Guss in Uzwil. Die Firma ist allerdings keine direkte Konkurrenz, da sie im Grau- und Eisenguss unterwegs ist. Sie hat drei Jahre vor uns einen 3D-Drucker installiert. 2016 haben wir unseren Drucker in Betrieb genommen, vor einem halben Jahr hat die Eisengiesserei Mezger aus Kallnach einen Printer gekauft. Aber auch sie ist keine Konkurrenz, denn dort wird ausschliesslich Eisen gegossen. Die Aluminiumgiessereien in der Schweiz scheinen sich dieser Technologie noch nicht sicher zu sein.
CW: War Benninger Guss ein Vorbild für Christenguss?
Christen: Absolut! Wir haben vor unserem Kaufentscheid die Anlage mehrmals besichtigt und haben auch gedruckte Formen von Benninger geliefert bekommen, die wir hier im Haus selbst testen konnten. Dabei haben wir allerdings sehr schnell erkannt, dass ein solcher Technologiewechsel nur dann funktionieren kann, wenn der Drucker hier vor Ort steht. Jeder Interessierte muss die Möglichkeit bekommen, den Drucker auszuprobieren und seine Grenzen zu testen.
Aluminium-Abguss einer maschinell hergestellten Gussform bei Christenguss
Quelle: Samuel Trümpy

Die neue betriebliche Realität

CW: Gab es Widerstände in der Belegschaft wegen des neuen Druckverfahrens? Oder gar Entlassungen?
Christen: Nein, im Gegenteil. Wir haben Jobs geschaffen. Für die Kollegen war der Drucker zwar eine grosse Neuerung. Aber sie waren und sind Neuerungen im Betrieb und in der Fertigung seit Jahren gewöhnt. Denn wir erneuern kontinuierlich. In einem KMU wie unserem ist häufig jeder Mitarbeiter von den Veränderungen betroffen. Aber das macht die Arbeit auch jeden Tag wieder spannend. Ausserdem: Wenn wir mit den Neuerungen den lang­fristigen Bestand unseres Unternehmens sicherstellen können, ist das sowohl in unserem Interesse als auch im Interesse unserer Mitarbeiter.
CW: Konnten Sie dank des Druckers ganz neue oder viel mehr Aufträge gewinnen?
Christen: Nein. Betriebswirtschaftlich hat sich der Drucker in den ersten Jahren nicht gerechnet. Der einfache Grund war, dass wir zunächst lernen mussten, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen. Allerdings hat der Drucker uns viel Aufmerksamkeit gebracht. Einerseits konnten wir unsere Firma präsentieren – an Fachtagungen, in den Medien und an Kundenveranstaltungen. Ein schönes Beispiel war unsere Kooperation mit einem holländischen Ingenieurbüro. Dort war ich zu einer Präsentation eingeladen. Als mich der CEO seinen Vertriebsingenieuren vorstellte, ging ein Raunen durch den Raum nach dem Motto: «Oje, jetzt sollen wir die teuren Giess­waren aus der Schweiz vertreiben. Das klappt doch nie!» Als ich dann trotzdem unsere Technologie vorgestellt hatte, waren die meisten Vertriebler überzeugt, dass der Preis bei den Güssen nicht die Hauptrolle spielen wird. Mich hat es in der Meinung bestärkt, mit der Investition in den Drucker die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Denn wenn wir Produkte liefern können, die so sonst niemand fertigen kann, sind die Kosten nicht mehr das Hauptargument.
CW: Wie sah Ihr ursprünglicher Businessplan aus?
Christen: Wir hätten viel früher den Break Even erreichen sollen. Problem war einerseits das erwähnte Trial and Error hier im Haus. Andererseits konnten wir die Kunden auch erst langsam von den Vorteilen des Sanddruckers begeistern. Die Überzeugungsarbeit hat viel Aufwand und Zeit gekostet. Hinzu kommt, dass die Bauteile natürlich seit Jahrzehnten für die herkömmliche Fertigung entwickelt wurden und nicht für den 3D-Druck. Die Entscheidungsträger bei den Kunden sind traditionell ausgebildet, wo hingegen die junge Generation, welche die neuen Möglichkeiten kennt, noch an den Universitäten studiert oder gerade in den Beruf eingestiegen ist. So mussten wir die Kunden quasi fortbilden und ihnen aufzeigen, was mittlerweile möglich ist.
CW: Das tönt nach einem langwierigen Prozess. Tat die Verzögerung wirtschaftlich sehr weh?
Christen: Ja allerdings. Wobei unvorhersehbare Ereignisse die Situation noch verschlimmert haben. Denn nach der Millioneninvestition in den Drucker 2015 kämpften wir noch immer mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses. Auch wenn unsere Kunden zu 85 Prozent in der Schweiz und nur zu 15 Prozent in Deutschland, Frankreich sowie Polen beheimatet sind, beliefern doch die meisten Kunden wieder Unternehmen im europäischen Wirtschaftsraum. Sie hatten dann generell grosse Probleme mit den Preisen aus Schweizer Fertigung.

Digitalisierungs-Tipps für Schweizer KMU

CW: Wenn Sie heute nochmals starten könnten – was würden Sie anders anpacken als damals?
Christen: Grundsätzlich würde ich noch einmal genau gleich vorgehen wie damals. Allerdings sähen meine Vorbereitungen anders aus. Denn der 3D-Drucker war damals eine Insel im Betrieb. Ich würde zunächst eine strategische Ebene einziehen und eine Digitalstrategie analog zur Unternehmensstrategie aufgleisen. Bei uns ging es anfänglich hauptsächlich um die Prozessoptimierung: Mit dem Drucker werden wir schneller, kosteneffizienter und steigern den Automatisierungsgrad. So war das Versprechen, das wir uns gemacht hatten. Dabei hatten wir nicht berücksichtigt, dass sich nicht alle bisherigen Prozesse einfach so digitalisieren lassen. Und ausserdem, dass es wie in jedem KMU Schattenprozesse gibt, die nebenbei mitlaufen, weil irgendwer diese Aufgaben erledigt, ohne gross darüber zu sprechen.
CW: Was wäre Ihr Ausgangspunkt gewesen?
Christen: Der erste Schritt hätte sein sollen, Daten zu den betrieblichen Abläufen zu sammeln. Anhand dessen lies­sen sich Defizite und Lücken identifizieren. Dann zeigt sich, wie eine bestehende Geschäftsstrategie zu einer Digitalstrategie passt und der entsprechende Mehrwert erzielt werden kann. Da wir diesen Schritt nicht zuerst gegangen sind, mussten wir zum Beispiel die Datensammlung quasi im laufenden Betrieb nebenbei mit erledigen. Ohne wirklich präzise zu wissen, welche Kosten für die Herstellung eines herkömmlichen Gussteils entstehen, konnten wir nicht kalkulieren, ob sich der 3D-Druck für das eine oder das andere Bauteil lohnt. Die Nebenbei-Dokumentation hat viel Unruhe in den Betrieb gebracht, zusätzliche Kosten verursacht und Zeit gekostet, was alles hätte vermieden werden können.
CW: Würden Sie einem Betrieb, der noch am Anfang steht, raten, die Prozessdokumentation selber zu erstellen? Oder sollte ein Unternehmensberater helfen?
Christen: Ein Betrieb unserer Dimension weiss selbst am besten, wie seine Prozesse funktionieren. Für die Dokumentation kann externe Hilfe sicher nützlich sein und den Prozess beschleunigen, wenn sie bezahlbar ist. Bei der Umsetzung rate ich allerdings klar davon ab, sie von Externen allein machen zu lassen. Denn der Betrieb muss die Transformation so gestalten, dass das Prozessverständnis auch weiterhin im Unternehmen vorhanden ist und sogar gestärkt wird. Am Ende muss es auch digital funktionieren wie zuvor, was von innen heraus kommen muss. Das kann niemand übernehmen, auch wenn die Software- und IT-Hersteller noch so tolle Versprechen machen.

Die Grenzen der Digitalisierung

CW: Wenn wir schon dabei sind – was bedeutet Digitalisierung für Christenguss?
Christen: Für Christenguss war und ist Digitalisierung die riesige Chance, unser Geschäft für die Zukunft aufzustellen. Nebenbei schafft Digitalisierung grosse Transparenz, die viel Stabilität in den Betrieb bringt. Ich denke hier nicht nur an die Ist-Situation, sondern im Bereich der Produktion auch an Themen wie Predictive Maintenance. Im Finanzbereich lässt sich zum Beispiel anhand von Marktdaten die Planung verbessern. Allerdings ist Digitalisierung auch mehr als das digitale Abbild eines bestehenden Prozesses. Ansonsten wäre das Ganze alter Wein in neuen Schläuchen. Es müssen auf der Grundlage einer Dokumentation und Analyse die Prozesse zumindest neu gedacht werden. Wenn sich dann herausstellt, dass es nichts zu verbessern gibt, kann natürlich so weitergearbeitet werden. Allerdings ist das tatsächlich eher selten der Fall, so meine Erfahrung.
Teilweise gehen Digitalisierungsvorhaben aber auch zu weit – zumindest für uns als KMU. Ein Beispiel wäre ein CRM (Customer Relationship Management) wie Salesforce. Wir haben tatsächlich überlegt, ein solches System einzuführen. Während der Evaluation der verschiedenen Lösungen stellte sich dann heraus, dass die CRM-Funktionalität in unserem ERP – GussInfo – derzeit noch vollkommen ausreichend ist. Ein eigenes CRM wäre natürlich schön, aber es muss auch genutzt werden. Das ist bei einem Betrieb unserer Grösse einfach nicht realistisch.
Florian Christen hat für Christenguss die Grenzen der Digitalisierung erkannt
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Wo Sie das ERP ansprechen – wie ist die IT von Christenguss aufgestellt?
Christen: Wir haben früh den lokalen Server abgelöst und sind in die Cloud gewechselt. Die Kosten für die Hard- und Software waren der eine Grund, die erforderliche Wartung der zweite und der bessere Schutz vor Cybergefahren ein dritter. An der Cloud gefällt mir die Skalierbarkeit, wenn Mitarbeiter aus dem Betrieb ausscheiden oder wir neue Kollegen gewinnen. Dann genügt eine E-Mail an unseren Provider und die erforderlichen Änderungen sind innerhalb von Minuten erledigt.
CW: Sprechen Sie von einem globalen Provider oder einem lokalen Anbieter?
Christen: Es ist ein Schweizer Dienstleister mit Rechenzentren im Inland. Den Entscheid haben uns bestimmte Kunden abgenommen, die bei Geschäften eine Datenhaltung in der Schweiz explizit vorschreiben. Somit liegen sämt­liche Produktionsdaten in der Schweiz, die Aufträge, E-Mails und Rechnungen ebenfalls.
CW: Waren für den Betrieb des 3D-Druckers Änderungen an der Informatik notwendig?
Christen: Nein. Die IT-Infrastruktur für den Drucker ist vollkommen isoliert. Natürlich gibt es Verbindungen zum CAD-Arbeitsplatz, dabei handelt es sich aber um Standardschnittstellen, sprich das Netzwerk.

«Wir sollten den Betrieb schliessen»

CW: Haben Sie überlegt, die Giesserei durch einen 3D-Metalldrucker zu ersetzen?
Christen: Ja. Wir sind wie jedes Jahr für ein Wochenende in eine Klausur gegangen und haben uns intensiv mit der Metalldrucktechnologie auseinandergesetzt. Zu Beginn wurde uns ein Werbevideo gezeigt, nach dem wir eingestehen mussten, dass wir eigentlich den Betrieb schliessen sollten. Denn was dort gezeigt wurde, war extrem beeindruckend und wir sahen uns in diesem Moment als komplett substituiert. Im Anschluss hatten wir zwei Referenten aus der Praxis eingeladen, die uns dann auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben.
Der Metalldruck hat sehr viel Potenzial. Die Technologie hat aber mehrere Probleme, die wir in der Giesserei nicht haben. Ein Nachteil ist sicherlich noch der Preis, ein anderer die geringe Bauteilgrösse. Der Guss erlaubt viel grössere Produkte als der Druck. Ausserdem ist die Materialzusammensetzung der Bauteile noch lange nicht vergleichbar mit dem, was wir in der Giesserei herstellen können. Und am Ende zählt meist der Preis, bei dem der Guss unschlagbar ist. Das wird sich in den nächsten zehn Jahren auch nicht ändern. Aber ich beobachte die Technologie weiterhin.
Konventionelle Herstellung einer Gussform aus mit Kunstharz gebundenem Sand bei Christenguss
Quelle: Samuel Trümpy
CW: In einem früheren Interview haben Sie sich als Fan von Elon Musk geoutet. Welche Eigenschaft des Tesla-Gründers fasziniert Sie?
Christen: Musk hatte schon vor Jahren seine Vision, wie beispielsweise die Mobilität in Zukunft aussehen wird. Auf diese Vision arbeitet er hin, ausgehend vom heutigen Stand der Technik. Mit Tesla geht er nun Schritt für Schritt den Weg in die Zukunft – unbeeindruckt von aller Kritik und allen Neidern. Anfangs waren die Elektro-Autos von Tesla nur ein Nischenprodukt für die Oberschicht. Mittlerweile gibt es das Model 3, das auch für normale Konsumenten erschwinglich ist. Und die gesamte Industrie, die Musk als Spinner tituliert hat, obwohl sie selbst seit Jahrzehnten an der Elektromobilität arbeitet, will Tesla nun plötzlich den Markt nicht mehr allein überlassen.
Die Visionskraft und das unbeirrte Hinarbeiten auf das Ziel sind die Eigenschaften Musks, die mich sehr faszinieren. Ob er immer die richtigen Mittel wählt, um das Ziel zu erreichen, ist eine andere Frage. Hier gehe ich auch nicht immer mit ihm konform. Aber dass er seine Vision verfolgt, macht ihn zum Vorbild für mich. Wir als Schweizer KMU können von Musk lernen, eine Vision von unserem Geschäft in der Zukunft zu entwickeln. Es muss vielleicht nicht fünfzig Jahre sein, aber die nächsten zehn bis zwanzig Jahre doch sicher. Auf diese Vision können wir dann hinarbeiten.
CW: Wie weit plant Christenguss in die Zukunft?
Christen: Unsere Geschäftsstrategie ist für die nächsten drei bis vier Jahre ausgelegt, was aus heutiger Perspektive schon ein ultralanger Zeitraum ist. Aber wir als Familienbetrieb haben glücklicherweise die Freiheit, auch bei der Planung etwas opportunistisch sein zu können, wenn unvorhersehbare Dinge geschehen wie beispielsweise eine globale Pandemie.
Zur Firma
Christenguss
wurde 1923 durch Fritz Christen in Küsnacht ZH gegründet. 1956 zügelte der Betrieb an den heu­tigen Standort in Berg­dietikon. Das Familien­unternehmen wird seit 2012 in der vierten Generation von Florian Christen geführt. Christen­guss ist auf Aluminium- sowie Kupferguss spezialisiert und beschäftigt rund 20 Mitarbeiter.



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