«Es fehlt der Mut zum Risiko»

Der Rückstand zum Silicon Valley

CW: Besteht dabei aber nicht die Gefahr, dass so viel Know-how ins Ausland abfliesst und schliesslich hierzulande fehlt?
Selz: Man muss halt einfach anerkennen, dass die grossen internationalen Champions der ICT-Branche nicht in der Schweiz zu Hause sind. Start-ups haben hier deshalb den Nachteil, dass für sie wenige bis gar keine Exit-Szenarien vorhanden sind. Mit Squirro betreiben wir ein internationales Geschäft. Irgendwann werden meine Distributionskosten so exorbitant hoch sein, dass es kapitalmässig schlauer ist, wenn ich meine Firma in ein grösseres Ganzes einbringe. Das muss nicht zwingend schlecht sein. Andere Beispiele haben das gezeigt. Adobe hat etwa die Basler Day Software aufgekauft, die Schweizer Lösung wurde schliesslich Teil von Adobes Web Experience. Die Firma heisst heute zwar anders, entwickelt aber nach wie vor in Basel. Faceshift – ein Spin-off der ETH Lausanne – wurde von Apple akquiriert und ist heute ein wichtiger Bestandteil von Apples Technologie zur Gesichtserkennung. Man hat also den Kern des Geschäfts in ein grösseres Ganzes eingebracht und auf globaler Basis für Action gesorgt.
CW: Dann kann die Schweiz momentan also nicht mit dem Silicon Valley mithalten?
Selz: Solange wir die Thematiken mit der Distribution und dem Risikokapital aus der Schweiz heraus nicht grund­legend angehen, haben wir keine Chance, in diese Liga aufzusteigen. Deshalb sind all diese Förderprogramme, die aus der Schweiz ein Silicon Valley machen wollen, schlussendlich ein Witz. Keines dieser Programme adressiert wirklich die Probleme mit der Distribution, der Finanzierung und den Exit-Szenarien. Dann muss man sich zudem bewusst sein, dass dies kein Prozess ist, der von heute auf morgen geschieht. Das Silicon Valley fusst auf einer gut fünzig­- jäh­rigen Geschichte. Gleich verhält es sich schliesslich mit unserer Uhrenindustrie. Der Arc Jurassien zwischen Genf und Schaffhausen ist in der Herstellung mechanischer Uhren heute deshalb weltweit unschlagbar, weil es dort eine zweihundert Jahre alte Feinmechaniktradition gibt.
Im Sommer schloss Selz mit Squirro eine Finanzierungsrunde über rund 10 Millionen US-Dollar ab, investiert hat unter anderem Salesforce Ventures
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Sie haben als Unternehmer bereits zwei ihrer «Babys» verlassen. Schmerzt das nicht, wenn man irgendwann die Verantwortung in den Firmen abgibt, die man aufgebaut hat?
Selz: Wenn ich gemerkt habe, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann habe ich mich aus den Firmen jeweils komplett zurückgezogen – das war bei Namics und local.ch so, irgendwann wird dieser Moment auch bei Squirro kommen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn der alte Gründer-CEO noch als Geist umherschwirrt. Dem neuen Team würgt das komplett die Luft ab. Aber natürlich schmerzt das Loslassen – insbesondere, wenn das spätere Management Wachstumsopportunitäten verpasst.
CW: Würden Sie Jungunternehmern also als Tipp mit auf den Weg geben, lernen loszulassen?
Selz: Definitiv. Kommt hinzu, dass die Gründer ab einer gewissen Wachstumsstufe meist nicht die Richtigen sind, das Unternehmen weiter zu führen. Bei Squirro haben wir diesen Sommer gerade ein Assessment durchgeführt. Dabei habe ich entschieden, eine COO-Position zu schaffen und dafür mehr Aussenminister des Unternehmens zu werden. Weil ich so den internen Teil nicht mehr komplett abdecken kann, musste ich entsprechend handeln und konsequent sein. Wenn die Firma in den nächsten Jahren eine gewisse Grösse erreichen wird, dann stellt sich mir tatsächlich die Frage, ob ich dann noch die richtige Person bin, um dieses Unternehmen in die nächste Wachstumsphase zu führen.
“Erfolg ist keine gerade Strecke. Wenn es mal gut läuft, gehts am nächsten Tag schlecht„
Dorian Selz
CW: Sie können schon jetzt auf eine erfolgreiche Kar­riere zurückblicken. Haben Sie während Ihrer Zeit als Unternehmer auch mal schlecht geschlafen?
Selz: Ja, sehr oft sogar. Erfolg ist keine gerade Strecke. Wenn es mal gut läuft, gehts am nächsten Tag schlecht. Das Onlinenotizbuch Memonic wollten wir einführen, als Evernote noch nicht existierte, das war aber ein totaler Reinfall. Auch bei Namics, local.ch und Squirro gab es Nahtoderfahrungen, wo wir nicht wussten, wie wir Ende Monat die Saläre bezahlen sollten. Aber das gehört beim Entrepreneurship einfach dazu. Da darf man sich auch keine Illusionen machen.



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