29.05.2006, 19:45 Uhr

Routenplaner für die Stimme

Bei der Planung einer Voip-Einführung ist höchste Präzision gefordert - gleichzeitig ist das empirische Verhalten der Sprachübertragung schwierig vorauszusagen.
Martin Klapdor ist Senior Applications Engineer bei Opnet Technologies.
Jeder, der schon einmal einen kostenlosen Internet-Telefonie-Dienst ausprobiert hat, kennt das: Der Gesprächspartner hört sich an, als habe er eine Rasierklinge verschluckt, oder beide Gesprächspartner fallen sich abwechselnd ins Wort und schweigen sich an. Die Ursachen dafür heissen Verzögerung, Laufzeitschwankung und Paketverlust, sprich: die Sprach-Datenpakete brauchen zu lange von A nach B, sie treffen unregelmässig ein, oder es gehen einzelne Pakete verloren. Bis zu einem gewissen Grad sind diese Phänomene nicht zu vermeiden, allerdings ist bei der Sprachübertragung die Toleranz wesentlich geringer als bei klassischen datenbasierenden Applikationen. Soll - wie von den meisten Analysten vorausgesagt - das Telefonieren auf mittlere Sicht in die IP-Netze wandern (Voice over IP, Voip), stehen Service Provider ebenso wie die Anwender in den nächsten Jahren vor drei grossen Herausforderungen: o Eine gleichmässig hohe Qualität eines Dienstes garantieren, der extrem empfindlich gegenüber Verzögerung, Laufzeitschwankung und Paketverlust ist. o Gleichzeitig verhindern, dass andere Anwendungen, die über dasselbe IP-Netz kommunizieren, durch den Voip-Verkehr beeinträchtigt werden. o Zu hohe Kosten durch Überdimensionierung vermeiden, sprich: die bestehende Infrastruktur optimal ausnutzen. Bei der Planung einer Voip-Einführung ist also höchste Präzision gefordert, gleichzeitig ist es schwierig vorauszusagen, wie sich die Sprachübertragung durch ein Netz von hunderten von Routern und Switches und in Verbindung mit dem Datenverkehr von hunderten von anderen Applikationen verhalten wird.
Voip simulieren
Eine Lösung für diese Herausforderung verspricht die Simulation in einer virtuellen Netzwerkumgebung. In dieser kann der Anwender ein Modell einer vorhandenen oder geplanten IT-Infrastruktur importieren beziehungsweise generieren, das in der Lage ist, das Verhalten eines realen Netzes wirklichkeitsgetreu nachzustellen. Hinterlegte Algorithmen berechnen das Verhalten von Protokollen, Leitungen, Routern, Switches sowie Servern und Clients. Dabei werden auch die Interdependenzen zwischen Netzkomponenten, Netzen und Anwendungen berücksichtigt, sodass der Administrator eine ganzheitliche und quasi-empirische Analyse seiner abgebildeten IT-Infrastruktur erhält. Anwender-Organisationen können mittels einer Was-wäre-wenn-Analyse prüfen, ob im vorhandenen Netzwerk mit Voip eine ausreichende Sprachqualität erzielt werden kann und inwieweit die Performance anderer Anwendungen durch den neuen Datenverkehr beeinflusst wird. Dazu gibt der Administrator zum Beispiel geplante Standorte sowie Anzahl der Telefonate ein. Im Anschluss berechnet die Software, wie die Sprachpakete durch das Netz laufen würden. Die Simulation trifft zum einen eine generelle Aussage darüber, ob das vorhandene Netzwerk bereit ist für den Einsatz von Voip und welche durchschnittliche Sprachqualität erzielt werden könnte. Es stehen ausserdem Informationen über Verzögerungsraten und Laufzeitschwankungen der aus den Telefonaten generierten Datenströme zur Verfügung. Der Administrator erkennt, welche Verbindungen oder Router und Switches hauptsächlich für etwaige Probleme verantwortlich sind und kann gezielt an der Beseitigung von Flaschenhälsen arbeiten. Mittels Optimierungs-Analysen lässt sich zudem berechnen, wie das Netzwerk konfiguriert sein müsste, um eine optimale Unterstützung für die Sprachübertragung zu bieten. Hierbei werden sowohl Bandbreiten berücksichtigt, um Engpässe auf den Leitungen zu vermeiden, als auch Queing Parameter für Quality of Service (QoS) zur Beseitigung von Laufzeitschwankungen. Läuft die Voip-Verbindung über das Netz eines Service Providers, besteht eine alternative Lösungsstrategie darin, die mangelhafte interne Performance durch höhere Leistungsgarantien des Dienstleisters auszugleichen. Kosten und Nutzen der verschiedenen Lösungsvarianten lassen sich ebenfalls im virtuellen Netzwerk analysieren.
Verkehrsplanung
Für Service Provider stellt sich dagegen ein ganz anderes Problem. Durch den Einsatz von MPLS (Multiprotocol Label Switching)sind sie grundsätzlich in der Lage, dem Voice-Datenverkehr die entsprechenden Netzwerkkapazitäten zuzuteilen. Die Mittel dazu sind einerseits die Steuerung des Datenverkehrs auf Leitungen, wo entsprechende Bandbreiten für den Voice-Verkehr reserviert sind, andererseits die Priorisierung des Voice-Verkehrs auf den Switches gegenüber weniger sensiblem Datenverkehr (QoS). Allerdings stellt sich hier die schwierige Aufgabe, Pfade durch ein Netz von hunderten von Switches zu implementieren, die Ende-zu-Ende die erforderlichen Werte bei Verzögerung, Laufzeitschwankung und Paketverlust einhalten. Hierfür lässt sich im virtuellen Netzwerk ein so genanntes Traffic Engineering auf der Basis von MPLS durchführen. Vergleichbar einem Routenplaner kalkuliert die Software Wege durch das Netz, so genannte Label Switched Paths (LSP), die bestimmte Ende-zu-Ende-Qualitätsparameter erfüllen, und zwar - um im Bild zu bleiben - sowohl unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Verkehrsdichte als auch der Gefahr kurzfristig auftretender Staus. Dies ist auch für Voip-Verkehr möglich.
Zurück in die Realität
Der Planer gibt dazu die Anfangs- und Endpunkte sowie die Qualitätsparameter der Voice-Verbindung ein. Auf dieser Basis berechnet die Software mehrere alternative LSP, aus welchen eine Primär- und eine Backuproute ausgewählt werden. Um Servicequalität auch bei Ausfällen einzelner Komponenten oder Verbindungen zu garantieren, stellt die Software eine Reihe von Mechanismen, um die Unabhängigkeit von Alternativrouten sicherzustellen. So kann der Planer die Bedingung vorgeben, dass die Routen keine gemeinsamen Komponenten und Verbindungen oder gemeinsame Elemente einer Risiko-Gruppe haben dürfen. Zu einer Risiko-Gruppe gehören dabei Elemente, die alle gleichermassen von Leistungsschwankungen eines anderen Elements - zum Beispiel eines Glasfaserkabels des Transportnetzwerks - abhängig sind. Bei der Berechnung der Routen generiert die Software auch Teile der Konfigurationen der einzelnen Switche. Mithilfe von Konfigurations-Management-Werkzeugen lassen sich diese abschliessend in die realen Switche zurückschreiben - damit sind die virtuell kalkulierten LSP in der Produktionsumgebung implementiert. Danach empfiehlt es sich, die Topologie- und Auslastungsdaten regelmässig in das Netzwerk-Modell zu importieren, sodass der Administrator stets ein aktuelles Bild der Produktionsumgebung vor sich hat. Bei Veränderungen des Netzwerks kann er neue Routen berechnen und testen, ohne den laufenden Betrieb zu stören.
Martin Klapdor



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