Drogenkrieg 09.02.2015, 18:05 Uhr

Die Tricks der Cybergangster

Dem Gründer der Drogenbörse Silk Road droht lebenslange Haft. Dabei ist die Beweiskette bei näherem Hinsehen voller Lücken. Mit diesen Tricks erledigen Cybergangster ihre Geschäfte.
Wie ein typischer Cyberkrimineller wirkt er nicht. Gut möglich, dass alles als Spielerei begann. Aber aus dem Spiel wurde schnell ernst. Jetzt sieht Ross Ulbricht, der Gründer der Drogen-Plattform Silk Road, einer wohlmöglich lebenslangen Haftstrafe entgegen. Die Jury des zuständigen Bezirksgerichtes in Manhattan befand ihn letzte Woche in allen Anklagepunkten für schuldig, darunter Drogenhandel, Geldwäsche, Verschwörung und Hacking. Ulbrichts Story liest sich wie ein Drehbuch zu einem dieser Hollywood-Kassenschlager, die auch in Schweizer Cinemas regelmässig Verkaufsrekorde einspielen. Im Januar 2011 ging der studierte Physiker mit Silk Road online, einem "Ebay für Drogen", auf der nachweislich mit  Kokain, Heroin und Exstasy gehandelt wurde. In den zweieinhalb Jahren danach setzte Silk Road 1,2 Milliarden Dollar um, so die Anklage. Der Betreiber des Marktplatzes verdiente an jedem Deal kräftig mit. Er kassierte Provisionsgebühren zwischen acht und 15 Prozent. Ulbricht gab dagegen an, von dem Geld nie etwas gesehen zu haben. Seine Version: Er habe zwar die Plattform anfangs entwickelt und programmiert. Danach sei ihm der Marktplatz jedoch ausser Kontrolle geraten. Die Sicherheitsmechanismen, die Ulbricht imlementiert hat, würden jedoch jeder Schweizer Privatbank zur Ehre gereichen. Zunächst ist Silk Road Teil des sogenannten Dark oder Deep Web, was allein noch nicht viel heisst und nichts Mysteriöses an sich hat. Auch ganz seriöse Fachdatenbanken für Experten, von denen es im Web Tausende gibt, sind für Suchmaschinen wie Google nicht auffindbar. Sie laufen praktisch unter deren Radar. User müssen die exakte Adresse kennen, um die Dienste nutzen zu können

PGP - praktisch unknackbar

Was schwerer wiegt: Der Drogenumschlagplatz war nur per Spezialsoftware über das Anonymisierungsnetzwerk Tor überhaupt erreichbar. Die Identität, also die IP-Adressen, von Drogenkäufern und -verkäufern blieben dadurch im Dunkeln. Zudem benutzten die Cyberkriminellen eine starke PGP-Verschlüsselung (Pretty Good Privacy). Sicherheitsexperten halten PGP für praktisch unknackbar. PGP ist eine harte Nuss. Selbst Supercomputer bräuchten Jahre, um die versendeten Nachrichten zu entschlüsseln und in Klartext zu verwandeln. Cyberkriminelle organisieren heute ihre Geschäfte genauso professionell und akribisch wie andere Unternehmer auch. Von einem Treuhandsystem, das die korrekte Abwicklung der Drogendeals garantieren sollte, ist man bei Silk Road jedoch aus Sicherheitsgründen wieder abgerückt. Käufer und Verkäufer wären zu leicht identifizierbar geworden. Auch die Auktionsplattform eBay nutzt ein Treuhändersystem und sieht sogar ein Rückgaberecht für qualitativ minderwertige oder beschädigte Waren vor. Man stelle sich vor: Kleinkriminelle könnten Kokain oder Heroin zurückgeben, falls die Ware von Grossversender zu stark verschnitten wurde und die Qualität nicht ihren Vorstellungen entspricht.

Auf frischer Tat ertappt

Wozu der ganze Aufwand für eine Spielerei, könnte man sich fragen, und das fragten sich auch die US-Behörden. Die polizeilichen Ermittlungen und die Beweisführung vor Gericht erwiesen sich jedoch als schwierig. Unter anderem deshalb, weil sich (nicht nur) die Tekkies gerne Fantasienamen geben. Der Administrator von Silk Road, der über Deals, Provisionen und Accounts/Zulassungen entscheidet, hiess "Dread Pirate Roberts". Das allein heisst noch nicht viel. Der Angeklagte Ross Ulbricht wurde erst überführt, als er von einem Undercover-Agenten des FBI auf frischer Tat ertappt wurde. Ulbricht war unter dem Pseudonym Dread Pirate Roberts (DPR) online im Live-Chat. DPR soll sogar an einem versuchten Auftragsmord beteiligt gewesen sein. Ein Cyberkrimineller, der unter dem Pseudonym "FriendlyChemist" unterwegs war, hatte angeblich die Kundendaten von 12 Silk-Road-Händlern und Tausenden von Käufern erbeutet und versuchte mit diesem Datenschatz nun, DPR zu erpressen. Das Lösegeld belief sich zuletzt auf 1670 Bitcoins, dem gebräuchlichen Zahlungsmittel auf Silk Road (damals etwa 150.000 Dollar).

Wanted: 150.000 USD Kopfgeld

"Ich würde gerne ein Kopfgeld auf ihn aussetzen", schrieb damals DPR auf das integrierte Message Board der Plattform. Nach dem online gemeldeten angeblichen Vollzug gab DPR weitere Morde in Auftrag. Die Leichen der mit Klarnamen benannten Opfer wurden jedoch trotz intensiver polizeilicher Nachforschungen nie gefunden. Möglicherweise, so mutmassen Beobachter, war der gesamte Mailverkehr nur vorgetäuscht. Denn das Pseidonym DPR hatte nicht nur der Angeklagte Ross Ulbricht in Gebrauch. Auch andere Administratoren von Silk Road, also wohlmöglich die versuchten Auftragsmörder, haben es verwendet und wollten möglicherweise dem "Firmengründer" schaden. Bei einem derart raffiniert aufgezogenen Verbrechernetzwerk betritt die Justiz Neuland. Pseudonyme, Anonymisierungsnetze und virtuelle Zahlungsmittel wie Bitcoins erschweren die Ermittlungen. So muss dem Betreiber von Silk Roads, nennen wir ihn der Einfachheit halber bei seinem Decknamen Dread Pirate Roberts, aktive Mittäterschaft nachgewiesen werden. DPR muss also aktiv und persönlich in die Deals involviert gewesen sein. Ansonsten wäre jeder Ebay-Admin dafür verantwortlich, wenn auf der sonst seriösen Auktionsplattform mal ein illegales Geschäft abläuft.

Gericht: Argumente aus der Küchenspüle

Die Verteidigung von Ulbricht argumentierte daher mit juristischen Klauseln wie "Im Zweifel für den Angeklagten" (US: rule of lenity) oder mit Löchern in der Beweiskette (US: void-for-vagueness doctrine), um die drohende lebenslängliche Haftstrafe von ihrem Klienten abzuwenden. Das US-Gericht nannte das jedoch allgemein "Argumente aus der Küchenspüle" (kitchen sink arguments). Will heissen: Die Verteidigung schmeisst erst einmal alles in den Ausguss, bis der verstopft ist und die Jury den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Den Anklagepunkt Geldwäsche etwa versuchten die Verteidiger durch Verweis auf die virtuelle Währung Bitcoins zu entkräften. Damit wurde auf Silk Road bezahlt. Bitcoins seien gar keine reale Währung. Folglich hätten auch keine wirklichen finanziellen Transaktionen stattgefunden, die den Tatbestand der Geldwäsche erfüllten. Das Argument ist nicht aus der Luft gegriffen: Im März 2014 hatten die US-Steuerbehörde (Internal Revenue Service) und die US-Ermittlungsbehörde (Financial Crimes Enforcement Network) bekannt gegeben, das Bitcoins zwar eine Währung seien, aber im Sinne der Gerichtsbarkeit kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellten. Das Bezirksgericht in Manhatten wollte dieser Argumentationskette der Verteidigung nicht folgen. Sie befand den Angeklagten in allen Punkten für schuldig. Das Urteil über den Silk-Road-Gründer Ross Ulbricht soll am 15. Mai verkündet werden.

Silk Road Reloaded

Die Original-Silk-Road hat das FBI natürlich abgeschaltet und vom Netz genommen. Mittlerweile ist aber, ganz ohne Ross Ulbricht, eine neue Version Silk Road Reloaded online. Gut möglich, dass der Administrator und Betreiber des Drogenumschlagplatzes wieder "Dread Pirate Roberts" (Reloaded) heisst.



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