Zeitmanagement 29.10.2008, 14:59 Uhr

Lernen Sie Nein zu sagen

Wer mit seiner Arbeit zurechtkommen will, darf nicht alle Wünsche erfüllen. Konzentrieren Sie sich lieber auf die wirklich wichtigen Dinge.
Yves Vogl hat sein Kerngeschäft verändert. Vor zwei Jahren lebte der 26-jährige Freiberufler mit seiner Ein-Mann-GmbH Dock 42 vor allem vom Shared Hosting. Die Betreuung technisch wenig versierter Privatkunden erwies sich jedoch als zu zeitaufwendig und führte zu quälendem Termindruck. Heute sorgen Vogls Preise dafür, dass sich fast nur noch Geschäftskunden für seine Dienste interessieren. Im Wesentlichen ist Dock 42 auf Server Management umgestiegen: Von seinem Home Office aus administriert Vogl die Anwendungen, die auf dem Server eines vom Kunden gewählten Providers laufen. Das «Nein» zum durchaus gefragten Shared Hosting hat sich gelohnt: Vogl nimmt mehr ein und hat trotzdem mehr Zeit zum Programmieren.
Der Zeit- und Arbeitsdruck, unter dem IT-Experten stehen, ist in den letzten Jahren kräftig gewachsen. Das zieht sich durch alle beruflichen Situationen und Karrierestufen. «Die Entwicklungszyklen werden immer kürzer und der Projektdruck damit immer stärker», klagt etwa der Software-Entwickler und Trainer eines bekannten Elektronikherstellers, der lieber ungenannt bleiben möchte. Er lässt sich jetzt manchmal von höherer Stelle bestätigen, dass er einen Zusatzauftrag «auf Kosten einer anderen geplanten Aufgabe erledigen» wird. Die konfusen Terminbemühungen seiner Vorgesetzten kann er «nicht mehr ernst nehmen».
Alexander Trautmann, Geschäftsführer des DKV Euro Service, dessen DKV Card es Speditionen ermöglicht, ihre Fahrer ohne Bargeld auf die Reise zu schicken, erlebt es ähnlich: «Der Zeitdruck hat auch durch Kunden und Partner zugenommen. Man trifft auf immer mehr Leute mit immer weniger Zeit. Lange Gespräche sind nicht gewollt, schnelle Entscheidungen aber gefordert.» Belastender als die Menge der
Arbeit ist aber ihre Zerstückelung. IT-Experten klagen über ständige Unterbrechungen durch ausufernde Nebenaufgaben, die es ihnen erschweren, sich auf das zu konzentrieren, für was sie zuständig sind. DKV-Chef Trautmann würde sich gerne weniger um Operatives kümmern und mehr um Strategie und Führung.

Allgemeingültige Tipps gibts nicht

All das schafft Bedarf an Zeitmanagement. Zu den Grundeinsichten vieler Ratgeberbücher zählt die Unterscheidung zwischen linkshirnigen und rechtshirnigen Menschen. Erstere sind gewissenhaft, sachorientiert und mögen klare Reihenfolgen. Sie werden als termintreu geschätzt und als Erbsenzähler belächelt. Rechtshirner dagegen sind kreativ, an Menschen orientiert und arbeiten gerne an mehreren Aufgaben gleichzeitig. Sie gelten als einfühlsam, aber auch als ineffizient. In Grenzen können beide Typen ihre Schwächen nach dem Vorbild des anderen reduzieren. Qualitätsfördernder ist es aber, die Arbeit so aufzuteilen, dass jeder seine Stärken ausspielen kann.
Tipps, die etwa darauf abzielen, Aufgaben nach Wichtigkeit zu sortieren und dann mit jeweils angemessenem Zeitaufwand abzuarbeiten, nützen daher vor allem Linkshirnern: Sie sollen das noch besser machen, was sie schon recht gut können. Gerade deshalb glauben sie aber oft, diese Hilfe nicht zu brauchen. Der gewissenhafte Software-Entwickler steckte nach einem Arbeitstechniken-Kurs so viel Zeit in die Planung, dass er das Gefühl bekam, «dass sie mehr Zeit nimmt als gibt». Freiberufler Yves Vogl probierte die Methode «Getting things done» aus. Es sei aber, so meint er, «schwierig, sich daran zu halten, denn der Aufwand kollidiert mit den eigentlichen Terminen». So stieg Vogl planungstechnisch auf «gesunden Menschenverstand» um.

Zeitfresser delegieren

Fast jedes Zeitmanagement-Buch enthält ein Kapitel über das Neinsagen. Dem Leser wird gesagt, wie er, nicht nur im Beruf, «Zeitdiebe» und «Zeitfressser» ausfindig machen und sich vom Hals schaffen kann. Damit ist jedoch das strukturelle Problem jedes Zeitmanagements angesprochen: Wer eine Arbeit loswerden will, wird in der Regel auf den Widerstand eines Kollegen, Vorgesetzten oder Geschäftspartners treffen, der seine Zeit ebenfalls gut einteilen möchte und deshalb keine Zusatzbelastung wünscht. Zeit sparen lässt sich nur mit anderen oder auch gegen sie. Dazu braucht es Mut und Verhandlungsgeschick.

Im Netz der Abhängigkeiten

Für DKV-Geschäftsführer Trautmann bedeutet Neinsagen zurückzugeben, was ihm zur Entscheidung vorgelegt wird, obwohl es noch gar nicht entscheidungsfähig ist: «Nach oben delegiert man nicht.» Trautmann verlangt von seinen Managern, dass sie bis zu einer gewissen Ebene ohne ihn auskommen. Erzwingen kann er das nicht: «Als Sachbearbeiter konnte ich meine Arbeit zu 99 Prozent selbst einteilen. Als Geschäftsführer hänge ich viel mehr von der Arbeit anderer ab.»
Eine Sachbearbeiterin, die ihre Aufgaben in der Tat ungestörter erfüllen kann als ein guter Manager, ist Elke Hagg. Für das Software-Unternehmen Comet, das sich auf technische Dokumentation und entsprechende Schulungen spezialisiert hat, arbeitet sie bei einem internationalen Technikhersteller. Dort verwaltet und korrigiert sie Installationsanleitungen und verschickt sie per Mail an Techniker im Aussendienst. Unterbrechungen durch lästige Anrufe sind selten. «Zeitdruck entsteht manchmal, wenn Ingenieure zu viel von heute auf morgen wollen. Grundsätzlich sagen wir schon Nein, wenn das nicht geht.»
Das Unternehmen Comet ist schon oft für seine Familienfreundlichkeit ausgezeichnet worden. Von ihr profitiert Hagg durch eine 15-Stunden-Woche, die zu den Betreuungszeiten ihrer Kinder in Schule und Kindergarten passt. Teil dieses Lebenszeit-Managements ist ein bewusster Karriereverzicht: «Mein Betriebswirtschaftsstudium brauche ich für diesen Job nicht.»

Wir müssen reden

Zeitmanagement hat aber immer auch mit Kommunikation zu tun. Manchen leidenschaftlichen Informatiker verwirrt das: Um in Ruhe programmieren zu können, muss er doch wieder reden. Yves Vogl hat dazu seine Arbeitstechnik umgestellt: Er entwickelt jetzt nach der Methode Ruby on Rails, die eine rasche Umsetzung von neuen Anforderungen möglich macht.Ausserdem sagt er Nein zu überzogenen Terminwünschen. Der Kunde erhält aber früher Zwischenergebnisse und kann so früher eingreifen. Der frühere Einzelkämpfer Vogl ist sogar eine berufliche Partnerschaft mit einem Grafikdesigner eingegangen.

Keine Angst vorm Chef

So manches konstruktive Nein bleibt aus Angst vor dem Chef, dem Kollegen oder dem Kunden ungesagt. Allerdings kann das kontraproduktiv sein, warnt Cordula Nussbaum, Verfasserin eines Zeitmanagement-Buchs: Menschen, die eine Zusatzaufgabe unwillig übernommen haben, erledigen sie oft halbherzig und schlecht, «im schlimmsten Fall ernten sie genau das, was sie vermeiden wollten: Ärger.»

Zeit für die wichtigen Dinge

Wie so viele Kämpfe haben aber auch die um ein besseres Zeitmanagement etwas Kleinliches. Schöner sind im Beruf die Stunden, in denen man unbehelligt zu dem kommt, was man so gut und gerne tut, dass man gar nicht aufhören will. Manche Freiberufler reden so über das Programmieren. Yves Vogl etwa bekennt sich zu einer gewissen «Besessenheit». Wenn er durch einen Lottogewinn ausgesorgt hätte, würde er auf jeden Fall weiterarbeiten. Die Atmosphäre in vielen Unternehmen ist einer solchen Freude an der eigenen Kreativität weniger förderlich. Der Software-Entwickler beim Elektronikhersteller würde im Reichtumsfall zwar ebenfalls weiterarbeiten, aber «vielleicht nicht mehr in einem abhängigen Arbeitsverhältnis». Könnte er sich beruflich etwas wünschen, wäre es «das Gefühl, ernst genommen zu werden».
Zum Autor: Dr. Miachael Schweizer ists Journalist bei unserer Schwesterzeitschrift Computerwoche. Dort wurde der Beitrag veröffentlicht.



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