30.06.2005, 09:28 Uhr

Ins Herz geschlossen

Die Zürcher Kantonalbank tauscht ihre Kern­banken-anwendung aus. Eine «Festungs­architektur» soll mehr Flexibilität bringen und die Produkt­entwicklung beschleunigen. Die ­Migration dauert bis 2006.
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Direktionsmitglied Paul Boschberg begleitet die Ablösung der Kernbankenapplikation bei der Zürcher Kantonalbank (Bild: Remote.ch/Sabina Bobst)
Die Kontenverwaltung ist das Herz jeder Banken-IT: Schalteranwendun-gen, Wertpapier- und Zahlungsverkehrssysteme setzen hier täglich Millionen von Buchungen ab und werden permanent mit aktuellen Kontoinformationen versorgt. Die Leistungsfähigkeit dieser Systeme kann sich somit auf den Geschäftsrhythmus einer ganzen Bank auswirken.
Das musste auch die Zürcher Kantonalbank (ZKB) erfahren. Sie nutzte für die Kontenverwaltung bisher zwei eigenentwickelte Grossrechnerlösungen. Diese arbeiteten zwar seit Jahren zuverlässig, aber es war extrem aufwändig, die bestehende Infrastruktur zu warten und zu mutieren. Ein neues Konto in der IT-Infrastruktur abzubilden, konnte bis zu zwölf Monate dauern. «Diese Situation war angesichts heutiger Marktanforderungen nicht mehr haltbar», bilanziert Paul Borschberg, interner Auftraggeber des Migrationsprojekts und Mitglied der Direktion der ZKB. «Die Kontoführung diktierte unser Geschäft.»

Standardisiert statt individuell

Mitte der 1990-er Jahre hatte die ZKB bereits einen Anlauf genommen, das Problem mit Hilfe einer neuen Individualsoftware zu lösen. Es zeigte sich aber, dass dies zu teuer geworden wäre und intern zu viele Ressourcen gebunden hätte. Als Anfang 2000 erstmals Standardlösungen auf den Markt kamen, die für eine Bank von der Grösse der ZKB angemessen waren, entschied sich das Management für einen Strategiewechsel.

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Mit einer Standardlösung konnte man den internen Entwicklungsaufwand reduzieren und die Wartung an den Hersteller delegieren. Die wichtigsten Ziele dabei waren, schnell auf Marktanforderungen reagieren zu können und die Betriebskosten um mindestens zehn Prozent zu senken. Klar waren sich die Verantwortlichen aber auch über die Risiken eines solchen Projekts. Es galt sicherzustellen, dass die komplexe Interaktion zwischen Kontenverwaltung und den mehr als hundert Zuliefer- und Empfängersystemen nie beeinträchtigt wird.

UBS und Postbank als Vorbilder

Zur selben Zeit, als die ZKB die Weichen auf Standardsoftware stell-te, hatten UBS und deutsche Postbank zusammen mit SAP das Modul «Account Management» (FS-AM) entwickelt und implementiert: Die erste Kernbankenanwendung der Walldorfer, die sich auch für Grossbanken eignet. Die Entscheidung der ZKB wurde massgeblich von den beiden Referenzprojekten beeinflusst. «Wir standen in engem Kontakt zu den Verantwortlichen bei UBS und Postbank und konnten uns dabei von der Funktionalität und Leistungsfähigkeit der Lösung überzeugen», sagt Borschberg.
Unter Integrationsgesichtspunkten war zudem vorteilhaft, dass die ZKB bereits diverse SAP-ERP-Module einsetzte, etwa die Finanzbuchhaltung und die Planungs- und Controllingkomponente SEM Banking, die eng mit der Kontenverwaltung verknüpft sind. Im Herbst 2002 unterzeichnete man den Lizenzvertrag für FS-AM.

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Gleichzeitig fiel der Entscheid, während der gesamten Einführung eng mit Beratern von SAP Schweiz zusammen zu arbeiten. Entscheidend war die Überlegung, dass man den Hersteller über den Verkauf hinaus in die Verantwortung für das Gelingen des Projekts einbinden konnte. «Wir wollten eine andere Art der Zusammenarbeit als allgemein üblich. Nicht nur Kauf, Lieferung und zwanzig Jahre Wartungsgebühren, sondern eine echte Partnerschaft.» Sogar in den Projektsteuerungsausschuss der ZKB wurden deshalb SAP-Vertreter berufen. SAP stellte im Sommer und Herbst 2002 ein internationales Beratungsteam zusammen, das die ZKB bezüglich fachlicher Analyse, Konzepte, Customizing und Projektleitung unterstützt.
Um die Ziele zu erreichen, musste das Team parallel zur Einführung der neuen Software auch ein grundlegendes Architekturproblem lösen: die extrem komplexe und starre Verflechtung der Kontenverwaltung mit der Systemumgebung. Diese kommunizierten ausschliesslich über «hart kodierte» Schnittstellen, Datenhaltungen und Geschäftslogik waren reihenweise redundant angelegt. Die Folge: Änderte die Bank nur ein winziges Parameter eines Kontos, musste sie über hundert vor- und nachgelagerte Systeme anpassen.

Kontenverwaltung als «Festung»

Das Projektteam beschloss, die IT-Architektur grundlegend zu reformieren. Die Lösung: Alle Systeme, die zur Kontenverwaltung gehören, sollten gekapselt und die Kommunikation mit den umliegenden Softwarelösungen über definierte Schnittstellen kanalisiert werden. Dieses Architekturkonzept ist unter dem Namen «Software Fortress» bekannt, weil gleichsam eine Mauer um eine Anwendung gezogen wird, die nur noch über kontrollierte «Zugbrücken» zugänglich ist. Für den internen Gebrauch wählte die ZKB den Namen «Geldbox».

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«Was innerhalb der Geldbox passiert, betrifft die umliegenden Systeme nicht», erläutert Borschberg dieses Blackbox-Prinzip, «sie wissen nur, dass sie über eine bestimmte Schnittstelle bestimmte Dienste aufrufen können, nicht aber, wie und von welchem System dieser Dienst bereitgestellt wird.» Das bedeutet, dass die Bank innerhalb der Box eine Kontierungslogik ändern oder die komplette Kontenverwaltung austauschen kann, ohne dass die Systemumgebung davon etwas merkt. Das war zum einen eine ideale Migrationsumgebung für den Umstieg auf SAP FS-AM, zum anderen schuf man gleichzeitig die Voraussetzung für mehr Flexibilität der ZKB-Geschäfte. Denn die Fortress-Philosophie impliziert, dass bei Mutationen dies- oder jenseits der Festungsmauern die Schnittstellen nicht angepasst werden müssen.

Know-how aufgebaut

Wegen der Komplexität der Migration teilte die Leitung sie in drei Etappen ein. Ende November 2004 erfolgte planmässig Schritt eins: Das Projektteam nahm SAP FS-AM in Betrieb und migrierte anschliessend die Vostro-Konten - die Konten ausländischer Banken zur Abwicklung ihres Zahlungsverkehrs in der Schweiz - von der Altanwendung. Bei den Vostro-Konten handelt es sich um das mengenmässig kleinste Kontingent. Deshalb eigneten sie sich, um intern das Know-how im Umgang mit der neuen Software aufzubauen. Dieses braucht man später für die weit umfangreichere Migration der 1,25 Millionen Spar- und Kontokorrentkonten. Bis auf kleine Anpassungen konnte die ZKB den SAP-Standard unverändert einführen. «Wir legen grössten Wert darauf, im Standard zu bleiben, weil wir dann problemlos neue Releases einspielen können», betont Borschberg. «Mutationen machen wir nur über Parametereinstellungen, die bei Updates erhalten bleiben.»

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Die ersten Erfahrungen der ZKB mit der Kontenverwaltung zeigen, dass diese im Vergleich zu den Vorgängersystemen im Wesentlichen zwei Vorteile bringt: radikale Vereinfachung der Produktentwicklung und Automatisierung der Geschäftsprozesse. Musste die Bank bisher neue Konten und Mutationen stets im Quellcode programmieren, geht sie mit der neuen Lösung den Schritt zum Produktdesign in grafischen Benutzeroberflächen. Dabei stehen vorkonfigurierte Standards zur Verfügung, etwa Konditionengruppen, die man lediglich einem Konto zuordnen muss. Möglich ist auch, ein bestehendes Konto zu kopieren und anzupassen.
Wird ein Konto in Betrieb genommen, überwacht die Software automatisch die zuvor abgebildete Geschäftslogik. «Diese konnten wir bisher nicht maschinell steuern», so Borschberg, «FS-AM dagegen erkennt regelwidrige Transaktionen und löst entsprechende Aktionen aus.» Ist beispielsweise bei einem Sparkonto der Zahlungsverkehr nicht erlaubt, schickt die Software eine Zahlungstransaktion an das Zuliefersystem zurück oder an einen definierten Sachbearbeiter, der den Betrag auf ein anderes Konto lenken kann.

Technik als Business-Tool

Im zweiten Projektschritt führt die ZKB gleichzeitig mit der Migration der Sparkonten auch die Geldboxarchitektur ein. Nach Abschluss dieser Phase Ende April 2006 wird die Implementierung eines neuen Kontos grundsätzlich folgenden Ablauf haben: Der Produktmanager bildet zusammen mit einem IT-Experten das Konto in der Kernbankenlösung ab.
Die neuen Stammdaten werden in einem Stammdatenserver hinter-legt, der über einen Verteilmechanismus die Umsysteme automatisch mit den aktuellen Informa-tionen versorgt. Eine Anpassung der Schnittstellen ist nicht mehr erforderlich. «Im Idealfall nimmt die reine Implementierung eines neuen Kontos nur noch 24 Stunden in Anspruch», sagt Borschberg. Mit der neuen Lösung wird die Technik zu einem Werkzeug, mit dem das Management neue Geschäftschancen zeitnah erschliessen kann. Ein Beispiel dafür ist das Insourcing. Mittelfristig kann die ZKB als IT-Dienstleisterin für andere Banken auftreten. Borschberg: «Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, um für andere Institute die Kontoführung und die Kartenverwaltung zu übernehmen. Das wäre für uns der Neueinstieg in ein strategisches Geschäftsfeld.»
Patrîk Edlund



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