22.03.2006, 23:48 Uhr

Wenn E-Mail-Dienste an Grenzen stossen

Ihre enorme Popularität macht E-Mail für Unternehmen zum Pro­blem: Weil sie mit ­Dateianhängen überladen wird, verstopft sie Netzleitungen und Posteingänge. Abhilfe tut Not.
E-Mails werden immer umfangreicher, und ein Ende des «Mail-Grössenwahns» ist nicht abzusehen. Hat heute eine typische Mail rund 20 KByte, werden Videoapplikationen sie in den kommenden Jahren auf 50 bis 200 MByte aufplustern. Überforderte Mail-Server, verzögerter Datentransfer und verstopfte Posteingänge sind die Folge, des weiteren Back-ups und Transaktionsabwicklung im Schneckentempo.
«Beim Verwalten von E-Mail-Systemen gehen 50 bis 75 Prozent der Kosten für drauf», sagt Michael Osterman von der gleichnamigen, auf Messaging spezialisierten Beratungsfirma. Diese Routinejobs dürften die knappe Zeit der IT-Abteilung zunehmend belasten, wenn ein Unternehmen keinen Weg findet, um die ausufernden Mails unter Kontrolle zu bekommen. Verschiedene Produkte bieten sich dafür an, so zum Beispiel Archivierungssoftware und Caching-Appliances, auf die sich grosse Attachments und Datei-Downloads auslagern lassen.

E-Mail kannibalisiert sich selbst

Ursprünglich war E-Mail gedacht für knappe Nachrichten, die kurzzeitig aufbewahrt werden. Doch heute sammeln viele Unternehmensmitarbeiter wichtige Geschäftsinformationen in ihrem Posteingang. Powerpoint-, PDF- und Videodateien beanspruchen Unmengen Platz. Und weil PC, Digicams und Handys immer multimedialer werden, wird die Datenflut weiter wachsen, prognostiziert Analyst David Via von Ferris Research: «Das Mail-Problem wird sich also nicht von selbst lösen, sondern die IT muss strategische Lösungen finden.» Die weltweit operierende Marketingfirma Millward Brown berichtet, dass jeder ihrer Mitarbeiter ohne weiteres ein GByte Daten in ihre E-Postkörbe abgelegt habe - manche «sogar drei», weiss CTO Kean Millward. «Und dann beklagen sie sich, dass das Mail-System langsam läuft.» Die Folge: Regelmässig stieg Millward Browns Exchange-Server aus und liess sich aufgrund der Mailbox-Umfänge auch nur mühsam neu starten. Aber mit Grössenlimiten für Mailboxen und angehängte Dateien sei das Problem nicht zu lösen, merkte Kean Millward. Denn wenn die Mitarbeiter deshalb viel Zeit mit Sortieren, Verschieben und Löschen der Mail aufwenden müssen, sinke ihre Produktivität.
So ging auch der Versuch, wenigstens die europäischen User des Marketingunternehmens auf maximal 10 MByte grosse Attachments einzuschiessen, daneben. Denn manchmal mussten eben doch grössere Dateien an einen Kunden verschickt werden. In anderen Fällen wichen Mitarbeiter auf die Download-Seiten Dritter aus - dabei blieb jedoch die Security auf der Strecke. Andere baten ihre Kunden um eine FTP-Adresse. Und die Mitarbeiter in den übrigen Länderniederlassungen pflasterten ihre europäischen Kollegen trotzdem mit riesigen Attachments zu.

Wenn E-Mail-Dienste an Grenzen stossen

Millward löste das Problem mit dedizierter Hardware. Ein FTP-Server ist eine Möglichkeit, hat aber den Nachteil, dass die User Mail explizit dorthin leiten müssen. «Ausserdem ist FTP mühsam zu managen», weiss Osterman. «FTP ist wie eine Schublade voller Krimskrams. Besser, man arbeitet mit einem Archivsystem. Dort gibt es Regeln, wie lange welche Mails und Dateien aufbewahrt werden. Alles andere löscht das System automatisch.»

Compliance dank Archiv

E-Mail-Archivierung löst nicht nur Speicherfragen, sondern auch Such- und Compliance-Probleme vieler Unternehmen. Manchmal verpflichtet der Gesetzgeber Firmen dazu, bestimmte Mails über Jahre zu archivieren. Mit Back-up-Bändern lässt sich das nicht umsetzen, sagt Osterman, denn das Wiederauffinden käme extrem teuer. Ein Beispiel für eine solche Archivierungsplattform ist Enterprise Vault der Symantec-Tochter Veritas. Sie lagert nicht nur Mails vom Mail-Server aufs Archivsystem um, sondern bietet auch Suchfunktionen, die bei juristischen Anfragen genügen. Das Preismodell hängt von der Anzahl der Nutzer und den gewünschten Modulen ab. Für 500 User plus Basisdienste ist mit umgerechnet mindestens 20000 Franken zu rechnen.
Wer Archivierungssoftware evaluiert, sollte darauf achten, dass deswegen die Anwender ihr übliches Mail-Verhalten nicht ändern müssen, raten Experten - dass sie zum Beispiel nicht mit speziellen Ordnern oder Kategorien zu arbeiten gezwungen sind. Zu überlegen ist ferner, welche Suchfunktionen genau benötigt werden. So lassen sich nur bei Volltextindexierung Thema der Mail, Header, die Nachricht selbst sowie die Dateianhänge durchforsten. Archivierte Mails jedoch, die zwar kurzzeitig den Exchange-Server entlasten, können später zur Belastung werden, wenn sie sich nicht zielsicher wiederfinden lassen. Die Anbieterin Ziplip hat sich auf Mail-Archivierungssoftware und Attachment-Verwaltung spezialisiert. Sie bietet mit ihrer «Archival Suite» zusätzlich zu textbasiertem Suchen auch die Option, in Zeitperioden zu suchen. Ziplips Tools sind ausserdem Mime-konform (Multipurpose Internet Mail Extensions) - und dies ist ein weiterer Faktor für die Evaluierung: Denn wer sich für eine Archivlösung mit proprietären Formaten entscheidet, bindet sich auf Gedeih und Verderb an deren Hersteller. Industriestandards so wie Mime hingegen gewähren Flexibilität. Sie sind auch dann nützlich, wenn das eigene Unternehmen eines Tages in eine Übernahme involviert werden sollte und sich die Aufgabe stellt, verschiedene Systeme zusammenzuführen. Eine Basiskonfiguration von Ziplip, ebenfalls für 500 Nutzer ausgelegt, beginnt bei Preisen ab knapp 60000 Franken.

Alternative: Appliances

Auch Caching-Appliances, wie sie Accellion oder Intradyn anbieten, können dem Attachment-Gigantismus zu Leibe rücken. Solche Systeme werden normalerweise in der demilitarisierten Zone eines Netzwerks eingebunden. Die Konfiguration ist meist rasch erledigt, die Wartung beschränkt sich auf ein Minimum. Die Appliances dienen dann als eine Art Zwischenlager für grosse Dateianhänge und löschen sie automatisch nach einer vorgegebenen Zeitspanne. Dazu wird das Attachment von der Mail getrennt. Der Empfänger erhält die Originalnachricht, doch statt der angehängten Datei findet er einen Link, über den er sie herunterladen kann. Ein weiterer Vorteil: Steigt der Mail-Server aus, muss weniger geflickt werden, weil die angehängten Dateien sowieso anderswo gespeichert waren.
Wann ist man mit einer solchen Plug-and-Play-tauglichen Caching-Appliance gut beraten? Wenn man oft grosse Attachments empfängt, diese jedoch nicht über lange Zeit behalten muss. Typischerweise ist das etwa in Architektur- oder Grafikbüros der Fall. Für solche Caching-Systeme, etwa die «Courier File Transfer»-Appliances von Accellion, sind rund 7000 Franken und mehr zu budgetieren - abhängig von der Konfiguration und den benötigten Modulen. Wer E-Mails organisiert aufbewahren muss, fährt mit einer Kombination aus Appliance plus Archivsoftware gut.

Downloads über Dritte

Von Dritten angebotene Download-Services - auch «Virtual Staging Server» genannt - sind eine weitere Alternative für angehängte Dateien. Die Nutzer registrieren sich bei diesen virtuellen Sammelstellen und hinterlegen dann dort die Dateien, die sie normalerweise an eine Mail anhängen würden. Der Empfänger wird benachrichtigt und greift via Link zu. Download.com bietet diese Services an, und das sogar kostenlos. Die Dateien - sie dürfen bis 100 MByte gross ein - werden nach einer Woche gelöscht. Allerdings gibt es bei dieser Lösung weder Historie noch Archiv, die gesetzlichen Auflagen gerecht werden würden. Für kleinere Firmen kann Virtual Staging dennoch eine gute Lösung sein, und für grössere zumindest eine Zwischenlösung.
Auch Sendthisfile.com bietet Gratis-Accounts an - mit gewissen Einschränkungen. So blendet sie Werbung ein, und eine Mail ist nur drei Tage abrufbar. Für Geschäftsanwender gibt es eine komfortablere Variante. Diese Profiservices sind dann allerdings nicht mehr gratis zu haben, sie kosten zwischen rund 4 und 65 Franken pro Monat. Dieses Konzept könnte zu Firmen passen, bei denen nur in ein oder zwei Abteilungen E-Mail-Grössenlimiten ein Thema sind.
Catharina Bujnoch



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