20.09.2006, 10:15 Uhr

Vernetzungsfähigkeit als Schlüsselfaktor

Die Akteure des Gesundheitswesens müssen ihre Effektivität und Effizienz steigern. Die Vernetzungsfähigkeit ist ein Schlüsselfaktor für deren Erfolg.
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Peter Rohner ist Projektleiter am CC HNE und Robert Winter ist Direktor des Instituts für Wirtschaftinformatik der Universität St. Gallen.
Das Schweizer Gesundheitswesen steht wegen der sich wandelnden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor grossen Herausforderungen. Der Druck auf die Politik, den kontinuierlichen Anstieg der Kosten in den Griff zu bekommen, wird zunehmen. Die Akteure des Gesundheitswesens werden dazu veranlasst werden, ihre Effektivität und Effizienz zu steigern. Die Mittel dafür sind Arbeitsteilung und Vernetzung. Erste Anzeichen für eine Bewegung unter den Akteuren sind Spezialisierungs-, Kooperations- und Konzentrationsprozesse. Die Vernetzungsfähigkeit ist ein Schlüsselfaktor für deren Erfolg. Der St. Galler Business-Engineering-Ansatz liefert den Rahmen und die Inhalte für die ganzheitliche Gestaltung dieser Transformation. Das Kompetenzzentrum Health Network Engineering (CC HNE) am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen (IWI-HSG) hat die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Praxis die Vernetzung des Gesundheitswesens voranzutreiben. Leistungserbringer, Verbände, Versicherungen und Anbieter sind eingeladen, sich am CC HNE zu beteiligen.

Grosse Umwälzungen

Öffentliche und private Spitäler und Kliniken, Arztpraxen, Apotheken, Pharmahersteller und -distributoren, Versicherungen, Lieferanten unterstützender Produkte und Dienstleistungen sowie Logistikanbieter bilden die Leistungsnetzwerke des Schweizer Gesundheitswesens. Sie dienen den Patienten und werden von politischen und administrativen Restriktionen beeinflusst. Die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - wie Individualisierung, Anspruchshaltung, Mobilität, Alterung, Ethik -, neue medizinische Behandlungsansätze, beispielsweise durch die Telemedizin, und Neuerungen insbesondere im Bereich der Informations- und Kom-munikationstechnologie ziehen erhebliche strukturelle Veränderungen nach sich und führen häufig zu Leistungserweiterungen. Diese werden neue Möglichkeiten entstehen lassen, aber auch wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringen. Die fortschreitende Erweiterung der Leistungen wird nicht durch Wettbewerbsintensität geregelt, sondern zu Druck auf der Kostenseite führen. Dem kann durch die Verbesserung von Effektivität und Effizienz begegnet werden. Andere Branchen wie die Maschinenindustrie oder Finanzdienstleister haben dies durch eine hohe Arbeitsteilung unter den Akteuren und durch deren Vernetzung schon heute erreicht. Eine zentrale Rolle für die Arbeitsteilung und Vernetzung spielt der Einsatz von IKT-Mitteln, für den sich im Gesundheitswesen der Begriff E-Health herausgebildet hat.
Erste Anzeichen für einen solchen Spezialisierungs- und Konzentrationsprozess sind auch im Schweizer Gesundheitswesen erkennbar: Öffentliche Spitäler und Kliniken werden, teilweise mit privatrechtlicher Rechtsform, neu gruppiert und deren Führung neu geordnet. Gleichzeitig ist bei den Versicherern eine Konsolidierung in Gang gekommen. Diese Transformation bringt schwierige und in ihren Auswirkungen weitreichende Aufgaben wie etwa die Fusion von Unternehmen, die Neugestaltung von Prozessen, die Anpassung von Führungs- und damit Machtverhältnissen sowie die Weiterbildung und -entwicklung von Mitarbeitenden mit sich. Die IKT ist dabei gleichzeitig Auslöser von Veränderungen und Mittel für deren Um- und Durchsetzung.

Die Transformation beherrschen

Der ganzheitlichen und systematischen Transformation von Unternehmen und der Leistungsnetzwerke, denen sie angehören, dient das St. Galler Business Engineering. Es beinhaltet Instrumente für Transformationsprozesse in ihrer ganzen Vielfalt: von der Veränderung von Unternehmens-strukturen, Beziehungen zwischen Unternehmen, Unternehmenskulturen und Machtstrukturen über die Neugestaltung organisatorischer Prozesse bis hin zur Erkennung von IKT-Innovationen und der Entwicklung, Veränderung, Integration und Einführung von Applikationen.
Die Transformation erfolgt durch die systematische Bearbeitung der Ebenen Strategie (Was?), Organisation (Wie?) und System (Womit?), für die jeweils eine geeignete Auswahl an Modellen und Methoden bereitsteht. Die menschlichen Faktoren wie Führung, Verhalten oder Macht werden auf allen Ebenen konsequent berücksichtigt. Für die Anwendung im Gesundheitswesen wurde das Framework unter anderem um den Aspekt der regulatorischen Rahmenbedingungen ergänzt:
auf Strategieebene:
Gesetzgebung auf der Stufe des Bundes, die Aspekte der kantonalen Hoheit, Vorgaben zur interkantonalen Zusammenarbeit etc.,
auf Organisationsebene:
Tarmed, Swiss DRG usw.,
auf Systemebene:
Format- und Klassifikationsstandards wie beispielsweise HL7, CDA/EHCR, DICOM, ICD.
Die Reihenfolge der Bearbeitung der Ebenen folgt dem jeweiligen Zweck: Top-Down von Strategie- über Organisations- bis allenfalls zur Softwareebene für strategische Neuausrichtungen, Bottom-Up von Software- zu Organisations- und allenfalls Strategieebene für Technologie-getriebene Innovationen, horizontal auf den Ebenen für das Business-IT-Alignment.

Vernetzungsfähigkeit

Im Business Engineering wurde zur Bewertung und systematischen Weiterentwicklung der Arbeitsteilung unter den Akteuren des Gesundheitswesens das Konzept der Vernetzungsfähigkeit entwickelt. Dieses betrachtet auf allen oben gezeigten Ebenen die Vernetzungen zwischen den Akteuren. Es geht dabei auf der Ebene der Strategie um die Suche und Umsetzung von Kooperationen, auf der Ebene der Organisation um die Definition und Führung kollaborativer Prozesse, auf der Systemebene um die Kopplung von Applikationen und die Spezifikation von Schnittstellen sowie auf allen Ebenen um die Schaffung und Aufrechterhaltung einer Kooperationskultur.
Die Vernetzungsfähigkeit eines Leistungserbringers hat dann einen guten Stand erreicht, wenn Kooperationen mit anderen Leistungserbringern, etwa zur Regionalisierung oder Spezialisierung, rasch und mit geringen Initialkosten aufgebaut werden können. Die Einflussfaktoren der Vernetzungsfähigkeit werden als Gestaltungsobjekte bezeichnet. So stellen auf der Organisationsebene die Prozesse - beziehungsweise deren Eigenschaften - einen Ein-flussfaktor für die Vernetzung dar: Sind die Prozesse definiert, beschrieben, geführt, messbar, transparent und einem Optimierungsprozess unterworfen, kann der Anschluss an Prozesse von potenziellen Partnern dadurch vereinfacht und wesentlich beschleunigt werden.
Das CC HNE arbeitet unter anderem daran, diese Gestaltungsobjekte für die Akteure des Gesundheitswesens in Referenz-architekturen zu spezifizieren.

Frühzeitige Positionierung

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die einzelnen Akteure des Schweizer Gesundheitswesens ist die frühzeitige Positionierung, die durch eine ganzheitliche und umfassende Vorbereitung auf alle anstehenden Veränderungsprozesse sowie die ziel-orientierte Ausrichtung innerhalb des Leistungsnetzwerks ermöglicht wird.
Das CC HNE arbeitet mit seinen Partner-unternehmen aktuell an strategischen Optionen zur Steigerung der Vernetzungsfähigkeit. Dies beinhaltet unter anderem die Suche nach Kooperationsszenarien, Partnern und Vereinbarungen.
Weitere Betätigungsfelder sind die Modellierung kooperativer Prozesse für Leistungserbringer und IKT-Architekturen für die optimale Unterstützung kooperativer Prozesse sowie Spezifikation einer E-Health-Plattform - für alle Ebenen des Business-Engineering-Frameworks.
Peter Rohner, Robert Winter



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