IT-Projekte der öffentlichen Hand 25.05.2022, 06:25 Uhr

Die Verwaltung macht vorwärts

Digitalisierungsprojekte auf allen Ebenen sollen den öffentlichen Sektor effizienter, transparenter und sicherer machen. Die Behörden stellen rechtliche Weichen, stärken die Cybersicherheit und rüsten bei der Software auf.
Die Bundesverwaltung hat in Sachen E-Government einiges aufzuholen
(Quelle: Shutterstock/FunF.Studio)
Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil, schrieb einst die Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach. Ob das auch für das Klischee der trägen öffentlichen Verwaltung gilt? Unbestreitbar ist, dass es in Sachen Digitalisierung der öffentlichen Dienste durchaus hindernde Faktoren gibt. Die Unternehmens­berater von KPMG und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften nennen in einer gemeinsamen Studie etwa den Föderalismus oder die Organisationsstrukturen der Verwaltung. Ebenfalls kommt der Monitoringbericht 2021 von E-Government Schweiz (mittlerweile DVS, vgl. nächster Abschnitt) zum Schluss, dass die Online-Dienste der Privatwirtschaft die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer besser erkennen und bedienen als jene der Verwaltung. Dass die Schweizer Behörden auch gegenüber jenen anderer Länder Aufholbedarf ­haben, geht aus dem E-Government-Benchmark-Bericht der EU hervor: Im vergangenen Jahr landete die Schweiz unter 36 untersuchten Ländern auf Platz 30 und rutschte damit gegenüber dem Vorjahr sogar einen Rang nach hinten (Computerworld berichtete).

Vermehrte Koordination und SAP-Migration

Die Baustellen werden jedoch breit angegangen. Die digitale Verwaltung sei nicht primär eine Frage der Technologie, sondern der Organisation, wie das aktuelle nationale E-Government-Strategiepapier feststellt. Darum arbeiten Bund, Kantone und Gemeinden seit 2008 daran, Aktivitäten zu koordinieren und Ressourcen zu bündeln. Ein neues Instrument dazu ist die seit Januar aktive Organisation Digitale Verwaltung Schweiz (DVS), welche die Vorgängerorganisation E-Government Schweiz sowie die Schweizerische Informatikkonferenz ablöst und in sich vereint. Sie will in den nächsten Jahren digitale Interaktions- und Partizipationsangebote national ausbauen, Basisdienste für den elektronischen Behördenverkehr bereitstellen und die Zusammenarbeit bei der digitalen Transformation verbindlich regeln. Zudem soll die Bevölkerung über die Digitalisierung der Verwaltung informiert und das Vertrauen in diese gestärkt werden. Für 2022 steht ein Budget von rund 12 Millionen Franken bereit. An der ersten Delegiertenversammlung der DVS am 30. März bestimmten die Delegierten des Bundes und der Kantone ihre Vertretungen im operativen Führungsgremium. Auf Bundesebene sind das unter anderem Daniel Markwalder, seit diesem Jahr Delegierter des Bundesrats für den ­Bereich «Digitale Transformation und IKT-Lenkung» (DTI), sowie Florian Schütz, Delegierter für Cybersicherheit.
Einen besonderen Fokus legt der Bund auf künstliche Intelligenz (KI). Entsprechende Technologien dürften in der öffentlichen Verwaltung grosses Potenzial haben – Stichworte sind hier etwa Texterkennung, Betrugserkennung oder Plausibilitätsprüfung. Im August 2021 entschied der Bundesrat, das Kompetenzzentrum Künstliche Intelligenz (KNW KI) aufzubauen. Auch hier geht es um Koordination – und darum, Expertenwissen zu sammeln, zu systematisieren und zu vernetzen. Noch in diesem Frühjahr soll das Netzwerk operativ sein.
Auch die Kantone nehmen umfassende Koordinierungsprojekte in Angriff – zum Beispiel der Kanton Bern. Dessen Amt für Informatik und Organisation (Kaio) liess es sich über 70 Millionen Franken kosten, für verschiedene Digitalisierungsprojekte externe IT-Projektleiter hinzu­zuziehen. Die Themen sind unter anderem das elektronisches Baugesuchverfahren, die digitale Führerzulassung und die Optimierung der Steuerplattform.
Bekanntlich birgt die Digitalisierung nicht nur Chancen, sondern auch erhebliche Risiken. So verzeichnet das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) wöchentlich durchschnittlich 300 Meldungen zu erfolgreichen oder versuchten Cyberattacken. Der Bund sieht eine «ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit und Wirtschaft der Schweiz». In seiner im April 2021 veröffentlichten jüngsten Cyberstrategie definiert das Verteidigungsdepartement (VBS) Ziele wie Früherkennung und Prävention. Hierfür dürfte es zentral sein, möglichst umfassende Informationen zur Bedrohungslage zu sammeln. Die erwähnten Meldungen zu Cyberangriffen durch Firmen, Behörden und Privatpersonen etwa geschehen jedoch bisher freiwillig. Zumindest für die Betreiber von kritischen Infrastrukturen – dazu gehören neben Behörden zum Beispiel Akteure aus dem Energie-, Gesundheits- und Transportsektor – plant der Bundesrat deshalb eine Meldepflicht. Die Vorlage sieht aber nicht nur für diese Betreiber, sondern auch für den Bund Pflichten vor: Das NCSC soll nach Eingang von Meldungen etwa die technische Situation analysieren und beim weiteren Vorgehen beraten. Weil Cyberrisiken oft auch fehlendem Wissen geschuldet sind, wird das Zentrum zudem damit beauftragt, die Bevölkerung zu warnen und zu sensibilisieren.  
Zudem rüstet das VBS auch in Sachen Software auf. Im letzten Jahr wurde ein Rahmenvertrag über zehn Jahre und 100 Millionen Franken mit fünf Unternehmen abgeschlossen, darunter der Schweizer Ableger des deutschen IT-Dienstleisters msg. Die Zusammenarbeit betrifft ganz verschiedene Bereiche, von Technologie über Qualitätsmanagement bis hin zur Sicherheit.
Neue Software ist auch bundesweit Thema, insbesondere die ERP-Migration auf SAP S/4Hana. Das 2020 gestartete und 485 Millionen Franken schwere Programm «Superb» hat jüngst weitere Früchte getragen – obwohl die wichtigsten Systeme erst in gut zwei Jahren umgestellt werden sollen. Zum Beispiel läuft im neuen Rechenzentrum «Campus» in Frauenfeld bereits eine entsprechende Infrastruktur. So wurden etwa mehrere Planungsanwendungen für die Budgetierung schon auf die neue Software migriert und auch die neue Stammdatenverwaltung kann von der Eidgenössischen Zollverwaltung verwendet werden. «Wir sind auf Kurs», sagt Programmleiter Patrik Riesen in Bezug auf das anspruchsvolle Ziel, dass alle neuen SAP-Systeme für die gesamte Bundesverwaltung bis 2025 bereitstehen sollen. Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat im letzten Jahr einen grossen Schritt in Richtung S/4Hana gemacht. Für rund 40 Millionen Franken sollen alle Prozesse der Arbeits­losenversicherung sowie der Regionalen Arbeitsvermittlungen auf den neuen Standard gebracht werden. Unter den zwölf berücksichtigten Anbietern sind unter anderem Accenture, Deloitte und Swisscom.


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