19.01.2006, 17:33 Uhr

Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk

Seit März 2005 amtet Niels Christian Furu als Ciscos Geschäftsführer Schweiz und Österreich. Computerworld sprach im Vorfeld von Ciscos Hausmesse in Interlaken mit ihm.
Computerworld: Herr Furu, welches ist aus Ihrer Sicht die derzeit dringlichste Frage im Networking?
Niels Christian Furu: Die wichtigste Frage ist die nach der Relevanz des Netzwerks. Die Frage steht schon seit einiger Zeit im Mittelpunkt und wird auch in den kommenden Jahren nichts von ihrer Aktualität verlieren. Netzwerke werden für die gesamte IT-Branche immer wichtiger. Warum? Früher stand der Begriff Netzwerk für physische Verbindungen zwischen A und B, die den Transport von Daten respektive Sprache garantieren sollten. Heute haben Netzwerke eine viel weitreichendere Relevanz für Unternehmen, für die öffentliche Hand, für jeden einzelnen User. Diese Sicht teilen die Analysten von Gartner und IDC genauso wie die grossen IT-Player wie SAP, Accenture, Capgemini und IBM.
Hinter all den Konzepten serviceorientierter Netzwerke und serviceorientierter Applikationen, die die CIO momentan stark beschäftigen, steht die Frage, wie die IT relevanter für das Business werden kann. Dabei geht es um viel mehr als das Abarbeiten administrativer Aufgaben, wie zum Beispiel das Verschicken von Rechnungen oder die Abwicklung des Mail-Verkehrs. Viel wichtiger ist die Frage, wie die IT die Geschäftsaktivitäten oder auch eine öffentliche Institution effizient unterstützen kann. Damit wird die IT vom Enabler zum integralen Bestandteil der Unternehmensaktivität.
Computerworld: Was meinen Sie damit konkret?
Niels Christian Furu: «IT» steht im Grunde synonym für «Anwendungen». Die Ausrüstung, also Geräte wie Switches, Router, Server, Mainframe, PC und Speicherboxen sind nicht wichtig. Zentral sind die Applikationen. Die Herausforderung für CIO ist die Tatsache, dass deren Anzahl rasend schnell wächst. Die Datenberge wachsen immens. Anstatt hunderte von Usern müssen heute Tausende oder sogar Millionen Datenzugriff haben. Das macht das Ganze einerseits ungeheuer komplex. Andererseits müssen die CIO in der Führungsetage nachweisen, dass ihre IT nicht nur verwaltet, sondern tatsächlich einen wichtigen Beitrag zum Geschäftsergebnis liefert.
Dabei übernimmt das Netzwerk eine Schlüsselrolle, denn ohne das Netz geht gar nichts. In einem Sitzungszimmer haben Sie etwa ein IP-Telefon, Notebooks, Webkameras, Videobildschirm, Wireless-Router - all das funktioniert nur im Verbund, genauso wie die Server, Mainframes und Speicher-Stacks dahinter. Der einzige gemeinsame Nenner all dieser unterschiedlichen Geräte ist das Netzwerk. Und um ihren Einsatz zu optimieren, muss die IT-Branche Netzwerke schlauer machen. Wir nennen das «Intelligent Information Network».

Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk

Computerworld: Sie sagen, Applikationen sind wichtig, Geräte unwichtig. Cisco verkauft Geräte. Wie geht das zusammen?
Niels Christian Furu: Auch Cisco kann einige Applikationen vorweisen, etwa IP-Telefonie oder Call-Center-Lösungen. Aber in erster Linie bedeutet das tatsächlich, dass wir Partnerschaften mit Applikationsanbietern wie SAP, Oracle und IBM eingehen müssen. Cisco selbst wird, jedenfalls bis auf weiteres, keine eigenen Applikationen schreiben.
Computerworld: Cisco hat im Lauf der Jahre gut achzig Firmen übernommen, in jüngster Zeit viele aus dem Consumerbereich, die nicht zum «klassischen» Betätigungsfeld einer Cisco gehören. Eröffnen diese ihnen zusätzliche Absatzmärkte?
Niels Christian Furu: Sie denken an Kiss, Linksys oder Scientific Atlanta... Wobei für letzteren Kauf noch das behördliche Ok fehlt.
Stimmt, Ciscos Rolle wandelt sich. Wir bieten nicht mehr nur Networking für Unternehmen und Serviceprovider, sondern verkaufen auch an Verbraucher und Home-Anwender via Fachhändler um die Ecke sowie an Wireless-Provider. Scientific Atlanta würde uns Serviceprovider erschliessen, die Video ins Wohnzimmer schicken.
Computerworld: Die Margen im Consumerbereich sind minim. Was also macht das Segment für Cisco interessant?
Niels Christian Furu: Das Wachstumspotenzial des Massenmarkts. Heute bringen Herr und Frau Müller das IT-Wissen, das sie an ihrem Arbeitsplatz erworben haben, nach Hause. Zusammen mit ihren Kindern, die selbstverständlich mit Computern aufgewachsen sind, entsteht hier ein ansehnliches digitales Know-how. Auch Privatnutzer wollen heute bessere, schnellere Verbindungen, wollen Video on Demand. Die Fussballweltmeisterschaft im Sommer wird dieses Bedürfnis erst recht steigern, sie dürfte den Durchbruch für High-Definition-TV bringen. Dabei hilft, dass entsprechende Geräte und Dienste nicht mehr viel teurer sein werden als konventionelles Fernsehen. Auch hier kommt das Element Service ins Spiel: Anstatt selbst teure Hardware zu kaufen, werden die Leute Dienstleistungen abonnieren, die ihnen ins Haus geliefert werden. Die Investitionen fallen dann vor allem beim Provider an.
Computerworld: Ist der Markt für die klassischen Cisco-Produkte Switches und Router gesättigt?
Niels Christian Furu: Nein, auch in unseren traditionellen Segmenten legen wir weiter zu. Die Nachfrage in Regionen wie Asien, Osteuropa, Südamerika oder Afrika ist gewaltig. Dort haben wir zweistellige Wachstumsraten.

Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk

Computerworld: Als Schweizer Geschäftsführer nutzt Ihnen das wenig...
Niels Christian Furu: Hierzulande werden wir für das laufende Geschäftsjahr ein Umsatz- und Stückzahlenplus von über zehn Prozent vorweisen. In der Schweiz haben wir die spezielle Situation, dass die IT-Installationen weit ausgereift sind, was jedoch nicht dasselbe ist wie gesättigt. Zum Beispiel hat eine Schweizer Firma ein redundant ausgelegtes Netzwerk auf dem aktuellen Stand der Technik. Nun, dann fügt sie mit IP-Telefonie einen weiteren Service hinzu und erreicht dabei hohe Qualität - etwas, das hierzulande sehr geschätzt wird.
Computerworld: Im vergangenen Geschäftsjahr hat Cisco Schweiz rund 446 Millionen Franken umgesetzt, so die interne Schätzung von Computerworld. Ihr Chef John Chambers wiederum hat Wallstreet ein Wachstum von 10 bis 15 Prozent fürs laufende Geschäftsjahr versprochen. Kommen Sie mit beiden Angaben zurande?
Niels Christian Furu: Im Vergleich zum umliegenden Europa, das etwas unter Chambers Ziffern liegt, und den erwähnten Wachstumsmärkten in Asien und anderswo wird die Schweiz im «Mainstream» zu liegen kommen. Schweizer Unternehmen investieren sehr professionell in IT. Sie wollen den Wert einer Investition sehen. Dann sind sie definitiv bereit, Geld auszugeben.
Computerworld: Wo liegen die Unterschiede zwischen dem Netzwerk eines Konzerns und dem eines KMU?
Niels Christian Furu: Gerade mittelgrosse Unternehmen in der Schweiz sind in technischer Hinsicht oft sehr anspruchsvoll, etwa wenn sie in den Sektoren Chemie, Pharma oder Maschinenbau tätig sind. Für sie ist das Netzwerk so wichtig wie für einen Konzern, wenn nicht wichtiger. Denn manche Grossunternehmen sind in ihrem Netzwerk quasi autark, haben eigene Leitungen und redundante Infrastrukturen. Die Kleinen dagegen sind völlig abhängig vom ungestörten Datenfluss zwischen ihnen, ihren Lieferanten und Kunden. Aus diesem Grund liefern wir auch immer mehr Produkte, die speziell für KMU zugeschnitten sind. Dazu gehört, dass sie einfach zu installieren und zu warten sind, kombinierte Daten- und Sprachfunktionen und integrierte Firewalls bieten.

Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk

Computerworld: Was tut sich momentan im Wireless-Bereich?
Niels Christian Furu:: Wireless gehört in Unternehmen heute genauso dazu wie verkabelte Netze, die zugehörigen Techniken sind weit ausgereift. Quasi jedes Notebook, das Sie heute kaufen, wird standardmässig mit Wireless-Anschluss geliefert. Aber auch ausserhalb von Gebäuden passiert derzeit Interessantes, etwa in Bezug auf öffentliche Hotspots, so wie momentan in Paris: Dort wird der Zugang flächendeckend angeboten. Dazu werden in den Métro-Stationen Antennen eingerichtet, so dass die ganze Metropole in einem einzigen, riesigen Hotspot vernetzt ist. Der Wireless-Bereich ist noch lange nicht ausgereizt.
Computerworld: IP-Telefonie ist ebenfalls etabliert. Was ist der nächste Trend in der konvergenten Kommunikation?
Niels Christian Furu: Als nächstes kommt die Kombination aus Daten- und Telekommunikation sowie Video im Home-Bereich - und all das muss mobil funktionieren. Wir nennen das «Quadruple Play»: Alle Dienste müssen nicht nur im Wohnzimmer funktionieren, sondern auch in der Küche, im Arbeitszimmer, überall.
Computerworld: Einst sollte Videoconferencing die Manager von lästigem Reisen entbinden, doch das ist nie eingetroffen. Warum sollte Video im Unternehmen jetzt Anklang finden?
Niels Christian Furu: In erster Linie wegen des viel tieferen Preises. Webcam plus digitales Video ist für ein Zehntel oder Zwanzigstel dessen zu haben, was Videoconferencing kostet. Zudem sind konventionelle Videoconferencing-Systeme proprietär, man musste sich also für das gesamte System an einen einzigen Hersteller binden. Und heutige Videolösungen sind völlig unkompliziert ab jedem Desktop zu nutzen.

Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk

Computerworld: Die vermeintlich geplante Nokia-Übernahme durch Cisco entpuppte sich als Zeitungsente des Sommers 2005. Trotzdem - Sinn hätte sie gemacht, nicht wahr?
Niels Christian Furu: In der Vergangenheit hat Cisco immer kleine Nischenfirmen mit speziellem Know-how eingekauft, um dieses in eigene Produkte einfliessen zu lassen. Insofern wäre Nokia eine ungewöhnliche Wahl gewesen. Jedoch gebe ich zu: Scientific Atlanta mit ihren 7000 Mitarbeitern wird nun die erste Ausnahme von der Regel sein, falls der Deal klappt.
Computerworld: Auf der Top-20-Liste des Sans Institute der gefährlichsten Security-Lücken der vergangenen zwölf Monate figuriert Cisco weit vorne. Wie gehen Sie damit um?
Niels Christian Furu: Ein solcher Listenplatz ist ganz natürlich, weil unsere Produkte allgegenwärtig sind. Wenn Sie eine Mail irgendwo hin auf diesem Planeten schicken, wird sie mit 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit mindestens einen Cisco-Router durchlaufen. Abgesehen davon investieren wir sehr viel in die Sicherheit unserer Produkte, speziell mit dem Ziel der End-to-End-Security.
Computerworld: Sind Produktfälschungen «made in China» ein markantes Problem für Cisco?
Niels Christian Furu: In Asien ist das tatsächlich ein Phänomen zunehmender Bedeutung. Unser Vorteil ist, dass Kunden, die sich auf so etwas einlassen, mit keinerlei Support rechnen können. Da unsere Produkte aber viel komplizierter sind als etwa ein Radio oder ein Fernseher, schreckt das viele ab. Als Chef der Schweizer Niederlassung beschäftigt mich das Thema jedoch nicht.
Catharina Bujnoch



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