Ohne Netz keine Cloud

Die grösste Datenbank der Welt 

Der Netzwerkzugriff in den eigenen vier Wänden funktionierte 1990 hauptsächlich via Akustikkoppler oder Modem. Eine Übertragungsrate von 2400 Baud war das Maximum, ein entsprechendes Modem hatte Weltmarktführer Hayes im März an der Computermesse CeBIT vorgestellt. Damit war der private Netzwerkzugang noch ein teures Vergnügen, insbesondere weil vielenorts lokale Einwahlknoten fehlten und teure Fernverbindungen genutzt werden mussten. 
Der US-Dienst CompuServe gewann 1990 in Europa jede Woche 150 neue Kunden
Quelle: Computerworld
Die Attraktivität des Online-Zugangs steigern wollte das Portal CompuServe, das sich Anfang 1990 nach Europa hin öffnete. Für 22 US-Dollar pro Stunde (Einwahlgebühren inklusive) bekamen auch die Schweizer Konsumenten einen Zugriff auf die «grösste Datenbank der Welt für Pfarrer, Informatiker und Hausfrauen», wie Computerworld titelte. CompuServe bediene sich hauptsächlich einer in Europa «noch beinahe unbekannten» Kommunikationsform: der «elektronischen Konferenz». Gemeint waren Foren, in denen sich eben Pfarrer, Informatiker und Hausfrauen öffentlich austauschten. Der grösste Vorteil von CompuServe sei die «stark vereinfachte und dem menschlichen Denken angepasste Benutzerschnittstelle». Andere Online-Datenbanken seien oft nur Leuten zugänglich, die gelernt hätten, wie Informatiker zu denken. Das Schweizer Videotex sei ein abschreckendes Beispiel dafür, lästerte Computerworld. 
Ende 1990 konnte die Zeitung berichten, dass sich CompuServe auch in Europa grosser Beliebtheit erfreue. Der Dienst gewinne 150 neue Kunden pro Woche. Die Anzahl der Benutzer sei von 1200 auf über 7000 empor­geschnellt. Die Tatsache, dass der Dienst entgegen der ursprünglichen Planung nur auf Englisch angeboten wurde, tat dem Erfolg keinen Abbruch. Die Implementierung von deutschen, französischen, italienischen und spanischen Foren mussten die CompuServe-Macher verschieben, weil sie Probleme bei der Datenübertragung von den unterschiedlichen Zeichensätzen nicht lösen konnten. Emoticons funktionierten aber (vgl. Kasten).
Zeichencodes
Der geheime psychologische E-Mail-Befindlichkeits-Code
Computerworld-Redaktor Paul Batt wies 1990 fürsorglich darauf hin, dass mit der Umstellung der Korrespondenz auf elektronische Post auch neue Zeichencodes lanciert werden. Es seien nicht etwa Übermittlungsfehler, sondern kleine Nettigkeiten (oder manchmal auch Nicht-so-Nettigkeiten), mit denen der Korrespondenzpartner etwas Menschlichkeit in die elektronische Welt der E-Mail bringen wolle. Wie Batt schrieb, gebe es verschiedene verschlüsselte E-Mail-Zeichen-Codes. Einer davon signalisiere die Befindlichkeit des Absenders. Er beruhe auf der Zeichenkombination: 
:-)
Er riet, die Zeitung um 90 Grad nach rechts zu drehen, um die Bedeutung der übermit­telten Botschaft zu erkennen. Vor dem Computer-Bildschirm sei der Kopf auf die linke Schulter zu legen. 
Die obige Botschaft bedeute ohne jeden Zweifel, «Ich bin aufgestellt» oder «Es geht mir gut», während folgende ASCII-Kombination das Gegenteil ausdrückt:
:-( 
Selbstverständlich lässt sich die Sache ausbauen und verfeinern, was gewiefte E-Mailer natürlich auch tun:
:-/
kann dahingehend interpretiert werden, dass der Absender eine schiefmäulige, eher verschlossene und/oder sogar übellaunige Persönlichkeit ist,
:-o
dass er vor Staunen den Mund nicht mehr zukriegt und
:-X
dass er über etwas nicht sprechen darf oder will. 
Es gibt hie und da auch Hinweise auf das persönliche Erscheinungsbild eines E-Mail-Teilnehmers, so zeigen 
8-)   :-{)   8:-) 
von links nach rechts einen fröhlichen Sonnenbrillenträger, einen Mann mit Schnauz und ein Mädchen mit einer Schleife im Haar, während
@:-(
den Absender ohne jeden Zweifel als übel­launigen Inder mitsamt Turban ausweist. 
Einige Zeichenfolgen sind allerdings nur von Leuten entzifferbar, die über tiefergehendes Verständnis für höhere Formen besonders absurden Blödsinns verfügen: So bedeutet 
:-F
einen transsilvanischen Vampir, der einen Zahn verloren hat.



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