CIO von Roche im Interview 31.12.2020, 06:25 Uhr

Alan Hippe über IT-Innovation, die Pandemic Squad und die Life-Sciences-Zukunft

Innovation entsteht am besten durch den persönlichen Austausch. Was also tun, wenn alle ins Home Office müssen? Roches Alan Hippe erklärt, wie das Unternehmen durch die Corona-Krise steuert und weshalb die Pandemie neue Wege in der personalisierten Medizin ebnen könnte.
Alan Hippe, CFO und CIO, Roche
(Quelle: Lucia Hunziker/Roche)
Ein IT-Campus in Kaiseraugst, die Bürotürme Bau 1 und Bau 2 im Herzen von Basel: Das Life-Sciences-Unternehmen Roche hat in den vergangenen Jahren Milliarden Franken in die Infrastruktur investiert – mit dem Ziel, Mitarbeitende zusammenzuführen, um die Innovation zu fördern. Dann kam der Corona-bedingte Lockdown im Frühling und Tausende Mitarbeitende mussten ins Home Office. Eine mehrfache Belastung fürs Unternehmen. Die IT-Infrastruktur wurde, wie in vielen Unternehmen, einem ultimativen Stresstest unterzogen.
Auch Forschung, Entwicklung und Produktion mussten soweit wie möglich remote weitergehen. Denn die Kundinnen und Kunden, Menschen mit schweren Krankheiten wie etwa Krebs, können nicht warten. Sie sind darauf angewiesen, dass die Arbeit weitergeht. Im Interview erklärt Alan Hippe, Chief Financial and Information Officer, wie Roche durch die Krise steuert, wie man in über die Welt verteilten Teams Neues schafft und wie die Digitalisierung die personalisierte Medizin voranbringen wird.
Computerworld: Seit dem Lockdown im März dieses Jahres organisieren sich Unternehmen über Remote Work. Als forschendes Pharmaunternehmen lebt Roche von Neuerungen. Was bedeutet Remote Work für die Innovationsentwicklung?
Alan Hippe: Innovation entsteht an Schnittstellen. Es ist nicht ganz einfach, in einer rein virtuellen Umwelt gemeinsam innovativ zu sein. Working from Home hat seine Berechtigung, Roche hat das immer hochgehalten. Auf der anderen Seite vermisse ich meine Kolleginnen und Kollegen. Es ist schön, wenn man in Kaiseraugst über den Campus läuft und auf dem Weg ins Meeting bereits vier Dinge erledigt hat, weil man so viele Leute traf, die einen auch an etwas erinnerten oder mit denen man rasch und unkompliziert etwas besprechen konnte. Wir werden in Zukunft einen Mix erleben aus Home Office und dem Austausch vor Ort im Unternehmen.
CW: Was bedeutet das für die Forschung und Produktentwicklung? Wie haben Sie die Zusammenarbeit an den Schnittstellen angepasst?
Hippe: Wir müssen kontinuierlich Medikamente und Diagnostika entwickeln. Wenn wir heute die Idee für ein Medikament haben, dauert es durchschnittlich zwischen sieben und zehn Jahren, bis es auf den Markt gelangt. Entsprechend hängt unser Erfolg davon ab, dass die Entwicklung weitergeht. Das war in der Tat unsere grosse Sorge. Auf der anderen Seite hat unsere Diagnostiksparte gezeigt, wie gut wir uns an unvorhergesehene Situationen anpassen.
“In so einer Phase muss man als Führungskraft genau im Blick behalten, wie es dem Team geht„
Alan Hippe, Roche
CW: Können Sie ein Beispiel nennen?
Hippe: Von den Produkten, die wir heute im Bereich Covid-19 auf dem Markt haben, wie etwa unseren Schnelltest, wussten wir zu Jahresbeginn noch nicht, dass es sie geben würde. Man hat also sehr schnell auf die Situation reagiert und Lösungen realisiert. Das zeigt, dass man auch unter den gegebenen Umständen enorm innovativ und durchaus auch agil und schnell sein kann.
CW: Das sind dramatische Veränderungen. Was bedeutet das für den Geschäftsgang, inwieweit verändert sich dadurch Ihr Business?
Hippe: Die Entwicklung im Diagnostikgeschäft verdeutlicht vielleicht am besten unsere Situation. Viele meinen, Roche sei eine Gewinnerin der Corona-Krise aufgrund von Produkten für die Covid-19-Diagnostik. Bei denen verzeichnen wir tatsächlich eine hohe Nachfrage. Als Folge werden aber in den Laboren von Spitälern und Ärzten weniger Routinetests durchgeführt. Hier bewegen wir uns bei ca. 95 Prozent gegenüber dem Niveau vor der Krise. Die Zahl steht symbolisch dafür, dass sich Patientinnen und Patienten davor fürchten, ins Spital zu gehen, um sich diagnostizieren zu lassen, da sie Angst davor haben, dort auf Covid-19-Patienten zu treffen und sich womöglich anzustecken.
“Von den Produkten, die wir heute im Bereich Covid-19 auf dem Markt haben, wie etwa unseren Schnelltest, wussten wir zu Jahresbeginn noch nicht, dass es sie geben würde„
Alan Hippe, Roche
CW: Und im Pharmabereich, wie sieht es dort aus?
Hippe: Hier beobachten wir leider eine ähnliche Tendenz. Patienten gehen später ins Spital und verzögern ihre Behandlungen. Das ist bei Krankheiten wie Krebs mindestens problematisch, wenn nicht am Ende fatal. Covid-19 ist auf der einen Seite eine Chance, aber auch etwas, worüber wir uns sehr ernsthafte Sorgen machen.
CW: Inwieweit können Sie die Covid-19-bedingten Ausfälle für das laufende Geschäftsjahr beziffern oder zumindest abschätzen?
Hippe: Es ist im Moment noch schwer abzuschätzen, welche Folgen das alles mit sich bringen wird. Die Pandemie ist auch noch in vollem Gange. Wir stellen einen nicht unerheblichen Impact fest im Bereich Pharma. Demgegenüber steht ein Aufschwung auf der Diagnostika-Seite. Die Entwicklungen gleichen sich einigermassen aus, sodass der Einfluss auf unser Geschäft insgesamt leicht negativ ausfallen könnte. Aber was uns derzeit am allermeisten umtreibt, ist die Frage, was mit den Patienten geschieht.
CW: Welche Gedanken beschäftigen Sie?
Hippe: Ich denke, wir müssen alles dafür tun, dass die Gesundheitssysteme wieder auf ihren normalen Stand kommen und bestehende Probleme lösen. Ein Beispiel: In China waren die Top-Spitäler voll von Patienten, wodurch man das Social Distancing nicht einhalten konnte. Im weiteren Verlauf der Krise wollte man das natürlich einhalten. Dadurch reduzierte sich aber die Kapazität dieser Krankenhäuser. In der Folge mussten Patienten auf andere Spitäler ausweichen, die vielleicht von ihren Kapazitäten und Fähigkeiten her noch nicht auf dem Spitzenniveau sind. Solche Herausforderungen müssen wir jetzt angehen.
CW: Wie betrachten Sie die Entwicklung im Schweizer Gesundheitssystem?
Hippe: Die Schweiz hat im Verlauf des Lockdowns im Frühling gezeigt, wie gut sie mit der Corona-Krise umgehen kann. Wir waren alle voller Sorge, dass nicht genügend Betten auf den Intensivstationen zur Verfügung stehen würden. Das wurde und wird derzeit hervorragend angegangen mit unterschiedlichsten Massnahmen. Auch die politischen Verantwortlichen sind hierzulande sehr vernünftig vorgegangen und haben versucht, einen Mittelweg zu finden, der auf der einen Seite wirtschaftliche Aktivität ermöglicht und auf der anderen Seite gesundheitliche Risiken minimiert. Sich auf Covid-19 zu fokussieren, ist gut, aber man muss eben auch andere Aspekte wie etwa wirtschaftliche oder auch kulturelle Aktivitäten miteinbeziehen.
Zur Person
Alan Hippe
verantwortet als CFO und CIO die Finanzen und die IT des Pharmaunternehmens Roche. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler bringt umfassende Führungserfahrungen aus unterschiedlichen Branchen international mit. Stationen seiner Karriere umfassen Fraport, Continental und Thyssen-Krupp. 2011 kam er zu Roche in die Schweiz, wo er die Position des Chief Financial and Information Officer übernahm. Der 53-jährige Hippe ist verheiratet und Familienvater. Als Ausgleich zur Arbeit treibt er gerne Sport (Schwimmen, Krafttraining) und verbringt Zeit mit seiner Familie.



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