Schweizer IG SAP 30.07.2018, 15:35 Uhr

Wenn der SAP-Migration der Business Case fehlt

Der Software-Hersteller SAP trommelt für sein neues ERP-System S/4Hana. Bei einigen Schweizer Kunden findet er Gehör. Vielen anderen fehlt der Business Case, sagt die IG SAP CH.
Peter Hartmann von der IG SAP fordert eine Verlängerung des Supports für ECC 6.0
(Quelle: computerworld.ch)
Wie ein Damoklesschwert schwebt das Support-Ende für bestehende ECC-6.0-Installationen des SAP-ERP über den Schweizer Anwenderfirmen. Bis spätestens 2025 will der deutsche Software-Hersteller die alten Systeme noch unterstützen. Dann ist Schluss. Die Anwender müssen bis dahin auf das neue S/4Hana migriert haben. Diese Situation sorgt für Unmut unter den fast 100 Mitgliedern der «Interessengemeinschaft SAP Schweiz» (IG SAP CH).
Die Anwendergruppe versteht sich als Sprachrohr der Schweizer Firmen in der globalen SAP-Community. «Während die DSAG mehr mit SAP kooperieren muss, können wir den Finger voll in die Wunde legen. Wir sind dann halt die Bösen», sagt IG-Sprecher Peter Hartmann. Insbesondere bei den Wartungsmodellen und Kosten für einheimische Firmen hat sich die IG SAP in Vergangenheit profiliert. Das mit tatkräftiger Unterstützung der deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) als Vertreterin aller Firmen im DACH-Raum und dem Preisüberwacher sowie der Wettbewerbskommission Weko. «Wir stimmen uns bei allen Themen mit der DSAG ab und bekommen auch viel Unterstützung», sagt Hartmann.
Der Support könnte notwendig sein. Denn die Verlängerung des Wartungszyklus für ECC 6.0 bis mindestens 2030 ist ein Anliegen, das nicht nur alle deutschsprachigen, sondern auch alle internationalen Kunden betrifft.

Migrationsprojekte laufen

Diverse Schweizer Organisationen und Unternehmen haben bereits die Migration aufgegleist oder abgeschlossen. Jüngst war von Projektabschlüssen bei den Industriekonzernen Perlen Packaging und Rondo, dem Dienstleister Tertianum Gruppe sowie den Stadtwerken Winterthur zu lesen. Dazu bieten verschiedene SAP-Partner passende Migrationsdienste an, darunter Gia Informatik, Innflow und itelligence. Swisscoms «SAP S/4Hana Transformation Factory» nutzt unter anderem Ricola für den Wechsel des ERPs.
Die Anwenderunternehmen wollen alle ihre Kernsysteme nicht auf den letzten Drücker umstellen. Denn ein Projekt dauert je nach Komplexität in einer internationalen Umgebung gern mal ein bis drei Jahre, sagt Hartmann. Er war früher als CIO von Geberit selbst ein Kunde von SAP und hat vergleichbare System-Updates ausgeführt. Die ERP-Verantwortlichen – von denen notabene diverse auch Mitglieder in der IG SAP sind – handeln mit der Umstellung also verantwortungsbewusst.

Mehr Geld für mehr Kundennutzen

Die heute laufenden oder abgeschlossenen Migrationsprojekte basieren nach Meinung der IG SAP grösstenteils auf Greenfield-Projekten und dem Plan, die Software schon weit vor dem Support-Ende 2025 aktualisiert zu haben. «Einen wirklichen Business Case, bei dem die neue ERP-Version auch einen messbaren Kundennutzen mit sich bringt, haben wir bisher nicht gesehen», sagt Hartmann. «Wo kein Business Case ist, lassen die Anwender üblicherweise lieber den Status Quo stehen.»
Der Status Quo bedeutet bei vielen Unternehmen das vorläufige Festhalten an ECC 6.0. «Am Support-Ende 2025 müssen eine ganze Menge unserer Kunden migrieren», tönt es aus dem Hause Swisscom. Schon heute gäbe es einen Mangel an S/4-Hana-Know-how. Der Fachkräftemangel wird eher grösser als kleiner.

Weniger Geld für weniger Funktionen

Die Expertenknappheit ist die eine Herausforderung, die fehlende Weiterentwicklung von ECC 6.0 die andere. Denn natürlich legt SAP nicht mehr den Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung des Altsystems. Sondern auf S/4Hana. Max Götschmann, SAP-Projektleiter bei Gia Informatik, sagt: «Je länger die Kunden warten mit der Migration auf S/4Hana, desto mehr muss umgebaut werden.» Nach seiner Einschätzung sind schon heute 30 Prozent der Funktionen modernisiert. Mit jedem Release von S/4Hana werden es mehr.
Max Götschmann von Gia Informatik sieht SAPs «Simplifizierungsliste» kritisch
Quelle: computerworld.ch
Götschmann führt beispielsweise die «Simplifizierungsliste» an, die SAP bei jedem neuen Release von S/4Hana aktualisiert. Der Hersteller führt darin einerseits auf, welche Funktionen im Vergleich mit ECC 6.0 wegfallen. Andererseits listet Walldorf diejenigen Features aus SAP-Modulen, die ins S/4 verlagert werden. In der jüngeren Vergangenheit sind Funktionen aus APO (Advanced Planning and Optimization), CRM (Customer Relationship Management), EWM (Extended Warehouse Management) und SRM (Supplier Relationship Management) betroffen gewesen, sagt der Gia-Projektleiter. Zuletzt hat er ausserdem registriert, dass Branchenlösungen in den «digitalen Kern» des SAP-Systems integriert wurden.
Sowohl Swisscom als auch Gia Informatik unterstützen die Forderungen der IG SAP, den Kunden eine nutzenstiftende und wirtschaftlich sinnvolle Migration auf S/4Hana zu ermöglichen. «Bei Nutzung gleicher Funktionalität darf SAP keine zusätzlichen Lizenzen für Migration von ECC 6.0 nach S/4Hana verlangen», sagt Hartmann. Wer sich vorerst gegen eine Umstellung entscheidet, sollte dafür weniger Wartungskosten bezahlen – da er auch im ECC 6.0 immer weniger Funktionalität und Wartungsleistung geboten bekommt.



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