27.04.2009, 11:51 Uhr

Teamgeist an zwei Standorten

Outsourcing in fremde Länder ist immer mit einem Risiko verbunden. Wie trotz räumlicher Distanz eine erfolgreiche Partnerschaft entstehen kann, zeigt das Beispiel eines schweizerisch-rumänischen Projekts.
Sebastian Presecan ist Projekt Manager bei iQuest

Ein Nearshore-Projekt hat gegenüber dem grossen Offshore-Bruder entscheidende Vorteile: wenig Zeitverschiebung, kaum kulturelle Unterschiede und oft auch eine gemeinsame Sprache. Der deutsch-rumänische IT-Dienstleister iQuest, Anbieter massgeschneiderter Applikations- und Produktentwicklungs-Software, und der Schweizer Logistik-Software-Hersteller Qnamic zeigen, worauf es ankommt.

Fehlendes Fachpersonal

Die Qnamic AG ist spezialisiert auf die Entwicklung ganzheitlicher Planungs- und Dispositionslösungen für die Transportindustrie. Die Einsatzplanung ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil und gleichzeitig ein hochkompliziertes Verfahren, das ohne Software-Unterstützung nicht zu bewältigen ist. Dabei muss die Software die unternehmensspezifischen Prozesse genau abbilden. Ausfall- und längere Wartezeiten können sich die Unternehmen nicht erlauben.
Herzstück der Produktpalette ist die Software-Suite «RailOpt». Anfang 2006 stellte die Weiterentwicklung des Programms die Schweizer Software-Schmiede allerdings vor einige Schwierigkeiten. «Ursprünglich wollten wir das selbst machen», erklärt Dirk Pfeiffer, Qnamic-Gründer und CEO. «Aber im Laufe des Projekts hat sich herausgestellt, dass der Aufwand viel grösser war als geplant.» Um den Skalierungseffekt - gemessener Aufwand bei möglichst niedrigen Produktionskosten - zu erzielen, benötigte Qnamic zusätzliche Entwickler. Doch welcher Weg war der wirtschaftlichste ohne qualitative Einbussen? Neue Mitarbeiter einstellen oder Dienstleistung einkaufen? «Gute Entwickler sind auf dem Arbeitsmarkt schwer zu finden», weiss Pfeiffer. Warum also die Dienstleistung nicht auslagern? Schnell verfügbares Fachpersonal und Kostenersparnis sprechen dafür. Die Risiken sind jedoch nicht von der Hand zu weisen.

Risiken und Nebenwirkungen

Offshoring-Projekte scheitern meist an der Distanz - trotz Globalisierung und technischer Möglichkeiten. Den immer wieder zitierten Vorteil des Offshoring, die Zeitverschiebung, sahen die Eidgenossen für ihr Projekt nicht. «Wir wollten eine enge und langfristige Zusammenarbeit. Unerlässlich ist dazu ein intensiver und persönlicher Kontakt», erklärt Pfeiffer. Es musste also ein Unternehmen mit zeitnah verfügbaren Ansprechpartnern sein. Der ferne Osten kam deshalb nicht in Frage, dort wäre auch das kulturell bedingte Missverständnispotenzial zu hoch. Daher entschied sich Qnamic für Nearshoring.

Auswahlkriterien: Qualität & Chemie

Der zukünftige Partner sollte vor allem nachvollziehbare und dauerhafte Qualitätsergebnisse nachweisen können und - natürlich - nicht zu teuer sein. Fündig wurden die Eidgenossen noch im gleichen Jahr im rumänischen Cluj (Klausenburg in Siebenbürgen), nahe der ungarischen Grenze. «Die Referenzen mit langfristigen Kundenbeziehungen sprachen für sich», begründet Pfeiffer die Entscheidung. Zudem verfügt iQuest über eine sehr niedrige Mitarbeiterfluktuation, die zwischen fünf und zehn Prozent liegt. Auch die fachliche und technische Kompetenz überzeugte den CEO. Die Schweizer legten den Rumänen eine Software-Version mit eingebauten Fehlern vor, die von den iQuest-Mitarbeitern sofort identifiziert werden konnten.

Der Entwicklungsprozess

Die Zusammenarbeit begann, als RailOpt bereits mitten in der Entwicklung war. Hier galt es, in einer bereits laufenden Projektentwicklung mitzuwirken und unter Berücksichtigung der Team- und Arbeitsstruktur von Qnamic, die geeignete Lösung zu finden. Die Schulungs- und Trainingsmassnahmen zu Beginn des Projekts erfolgten vor Ort bei Qnamic. Beide Teams hatten die Einspielphase erfolgreich abgeschlossen und konnten die Teamgrösse Schritt für Schritt erweitern. iQuest ersetzte den bis dato verwendeten Wasserfall-Entwicklungsprozess durch einen agilen Lösungsansatz. Anforderungen, Architektur und Design, Projektmanagement und Testing wurden entsprechend angepasst und der Projektplan detailliert ausgearbeitet. Die Prozessumstrukturierung (ebenso wie die Auslieferungsphase) fand dann ebenfalls kurzzeitig vor Ort bei Qnamic statt.
Nach zwei Monaten folgte die Implementierung. Bis dato wurde eine neue Version entwickelt sowie drei weitere Updates, die Arbeitsabläufe optimieren und kritische Geschäftsprozesse automatisieren. Das System verfügt nun über eine integrierte Plattform, einen formatübergreifenden Berichtsservice, ein Update zur Arbeitsregulierung sowie automatisches Testing.

Klare Verantwortlichkeiten

Für ein erfolgreiches Nearshoring ist eine klare Rollenverteilung zwingend. Die freundschaftliche, konstruktive Zusammenarbeit wird durch klar definierte und strukturierte Vorgehensweisen überhaupt erst möglich.
Neben Teamleiter Adrian Secara zählen bei iQuest durchschnittlich 15 Entwickler und sechs Tester zum Team. Qnamic ist mit dem Senior Software Engineer Dominik Kaspar, sechs weiteren Entwicklern und zwei Testern vertreten. Kommuniziert wird über Telefon, Skype und E-Mail. Dennoch ist ein persönlicher Austausch für den Teamgeist wichtig. In regelmässigen Abständen treffen sich die Mitarbeiter in Cluj oder im Solothurner Hägendorf. Team-Meetings und gemeinsame Unternehmungen ausserhalb der Tagesarbeit stehen ebenfalls auf dem Programm.
SET 5.-6. Mai 2009

Aktuelle Trends in der Software-Entwicklung sind auch Thema der diesjährigen «Software Engineering Today (SET 2009)». Computerworld begleitet die Konferenz als Medienpartner. Mehr auf Seite 36. Das detaillierte Programm und die Anmeldung finden Sie unter:
www.set-conference.com

Herausforderung: Anlaufphase

Natürlich ist in einem Nearshore-Projekt nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch hier gibt es Probleme oder Startschwierigkeiten, die aber in der Natur der Sache liegen. Beispielsweise herrscht die Tendenz, den Dienstleister als rein ausführendes Organ zu betrachten, da man davon ausgeht, dass den Mitarbeitern die Identifikation mit dem Produkt fehlt. Wie kann man hier entgegenwirken? Klare Antwort: durch fachliche, technische und soziale Kompetenz. Wenn der Dienstleister in der Anlaufphase unaufdringlich unter Beweis stellt, dass auch er Ahnung von der Materie hat, fällt diese Anfangshürde von ganz alleine. Dabei sind menschliche Qualitäten wie Einfühlungsvermögen, Geduld und Toleranz gefragt. So geschah es auch im konkreten Fall von Qnamic und iQuest. Das westeuropäische Arbeiten und Denken von iQuest überraschte Qnamic. Als die Schweizer Kollegen das Wissen und das Engagement der Rumänen erkannten und schätzen lernten, wuchsen sie zu einer Mannschaft zusammen. Aus Kunde und Dienstleister wurden Partner.

Fazit: Nearshoring funktioniert

iQuest und Qnamic haben es bewiesen: Nearshoring funktioniert. Beide Partner erledigen ihre Hausaufgaben sorgfältig, und die Verständigung läuft reibungslos. Probleme werden angepackt und klar kommuniziert. Das Team arbeitet schnell, effizient und flexibel und wird den Anforderungen des Markts gerecht. Und iQuest ist nun auch in strategische Überlegungen eingebunden.
Den Erfolg der Partnerschaft mag Qnamic-CEO Pfeiffer nicht in Zahlen ausdrücken: «Wir sehen das Projekt so, als hätten wir selbst Mitarbeiter eingestellt. iQuest ist Teil unseres Unternehmens. Was hier zählt, ist das Ergebnis.» Und das kann sich sehen lassen: RailOpt zählt bei Logistik-Software zu den Marktführern.
Nearshoring: Erfolgsfaktoren, Risiken & Chancen

Es gibt viele Argumente für Nearshoring, aber auch einige Gefahren. Folgende Punkte sollten Sie beachten:

Die Erfolgsfaktoren:
- Kompetenz
- Geographische und kulturelle Nähe
- Attraktive Preisgestaltung
- Langfristige Zusammenarbeit:
Teamgeist statt Lieferantenverhältnis
- Sprache (englisch, deutsch, französisch)
- Flexibilität und Stabilität
- Geringe Mitarbeiterfluktuation
- Verträge nach lokalem Recht
- Wahrung des geistigen Eigentums
- Einhaltung der internationalen Geheimhaltungs- und Datenschutzgesetze

Die Risiken:
- Qualitätseinbussen
- Höherer Kommunikationsaufwand
- Akzeptanzprobleme beim eigenen Entwicklerteam
-Datenschutz
-Know-how-Schutz
-Unterschätzung der Anlaufphase

Die Chancen:
- Verbesserung der Software-Entwicklungsprozesse
- Kosteneinsparung
- Beherrschung von Auslastungsspitzen
- Ausbau des Technologie-Know-hows
- Wettbewerbsvorteile
- Langfristige Partnerschaften

Sebastian Presecan



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