Asut-Konferenz 03.04.2019, 06:58 Uhr

IoT – Aufbruch oder Ernüchterung?

Das Internet der Dinge (IoT) ist zwar längst in der Praxis angekommen, steckt in vielen Bereichen aber noch in den Kinderschuhen. Viele Akteure – Gesetzgeber, Netzbetreiber, deren Lieferanten – haben sich im Berner Kursaal getroffen, um ihre Strategien vorzustellen.
Julian Dömer, Head of IoT, Swisscom.
(Quelle: Rüdiger Sellin)
Die Schweizer Politik und Wirtschaft setzen voll auf die Digitalisierung, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand der Schweiz zu sichern. Für Asut-Präsident Peter Grütter ist IoT längst Realität. Es entwickelte sich in den letzten fünf Jahren fast unbemerkt zum Alltagsfaktum.
Aber erst der neue Mobilfunkstandard 5G bringe die dringend nötigen Kapazitäten für die zunehmende Vernetzung von Infrastrukturen, Maschinen oder Geräten, sagte Grütter anlässlich der Konferenz des Schweizerischer Verbands der Telekommunikation (Asut) Anfang April im Berner Kursaal.

IoT und 5G

Gerade die Einführung von 5G scheint die Schweiz zu spalten: Eine investitionsbereite Wirtschaft stösst auf erbitterte Strahlenschutzgegner, diesbezüglich zurückhaltende National- und Ständeräte (die im Herbst ja wiedergewählt werden wollen) schweigen im Zweifelsfall lieber und ein zunehmend entkoppelt wirkender Bundesrat überlässt die Diskussionen gerne den gesetzgebenden Kantonen.
Philipp Metzger, Direktor des Bakom im Austausch mit Olaf Swantee, CEO von Sunrise.
Quelle: Rüdiger Sellin
So überraschte es nicht, dass auch der amtierende Bakom-Direktor Philipp Metzger in seinem Vortrag zwar die smarte Schweiz zelebrierte, das Thema NISV (Verordnung über nicht-ionisierende Strahlung) im Vortrag aber ebenso smart umschiffte. Darauf angesprochen, erklärte er wortreich, dass die Schweiz halt vorsichtiger agiere als andere Länder.
Metzger blendete aus, dass die 5G-Betreiber deutlich mehr Sender aufstellen müssen, um eine brauchbare Flächendeckung zu bieten, was ihnen hohe Zusatzkosten beschert und dem effektiven Strahlenschutz wohl kaum dient.
Dabei wird es IoT ohne 5G nicht oder nur stark eingeschränkt geben. Eine schnelle und flächendeckende 5G-Einführung ist dank Beibehaltung der strengen Schweizer Grenzwerte auf nur 1/10 des in der EU geltenden Niveaus jedenfalls unrealistisch.
Die 5G-Einführung läuft nun wesentlich langsamer und mit deutlichem Mehraufwand für die Anbieter ab. Aber wie sollen die Dinge miteinander kommunizieren, wenn kein leistungsfähiges Netz da ist?
In der Schweiz werden die meisten Innovationen von der Wirtschaft allein vorangetrieben, die entsprechend investiert. Doch wird dies unter den aktuellen Rahmenbedingungen so bleiben?

Die Daten stehen im Zentrum

Eine wichtige Rolle spielen im IoT-Kontext laufend gesammelte und ausgewertete Daten. Sie versprechen Wettbewerbsvorteile, insbesondere im Industrial IoT. Philipp Späti, CTO bei der IBM Schweiz bemerkte, dass 90 Prozent der in den letzten 10 Jahren erstellten Daten nie analysiert wurden. Andererseits verlieren 60 Prozent wirklich wertvoller Daten ihren Wert innert Millisekunden.
Gefordert ist also deren rasche Auswertung, was schnelle Netze bedingt. Dies zeigt sich etwa in der industriellen Produktion, wo sich zu hohe Fertigungstoleranzen oder Produktionsfehler dank IoT schneller erkennen und dokumentieren lassen als bisher, was insbesondere bei High-Tech-Produkten vom grosser Bedeutung ist.
Philipp Späti, CTO bei IBM Schweiz.
Quelle: Rüdiger Sellin
Wie es um die Datensicherheit bei IoT bestellt ist, zeigte Thomas Seiler, CEO des Chipherstellers U-Blox, einem Anbieter von Technologien zur Lokalisierung und drahtlosen Kommunikation in den Märkten Automotive, Industrie- und Konsumgütern.
Der Kommunikationssicherheit wird laut Seiler dabei eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Für den Geschäftsführer bringt IoT dann einen echten Mehrwert, wenn es verlässlich und sicher funktioniert. Im Zentrum sieht er die Bereiche Vertraulichkeit, Verfügbarkeit, Datenintegrität und Robustheit gegen absichtliche Störungen.
In der Branche kein Unbekannter, berichtete Julian Dömer, Head of IoT bei Swisscom davon, dass die grössten Hindernisse für anspruchsvolle IoT-Projekte nur selten die Technologie, sondern vielmehr die Kultur und das Denken darstellen. Dömer positioniert Swisscom nicht nur als Netzbetreiber, sondern auch als Lösungsanbieter für IoT-Anwendungen.
Allerdings sind die Geschäftsmodelle im IoT-Umfeld fragiler und entwickeln sich zudem dynamischer als bisherige Anwendungen. Dies bedingt eine intensive Zusammenarbeit und Abstimmung aller beteiligten Partner.
Julian Dömer, Head of IoT bei Swisscom.
Quelle: Rüdiger Sellin
Für Dirk Hoffmann, CEO V-ZUG, ist IoT zunächst eine schillernde Abkürzung mit unklarer Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft. Für den renommierten Schweizer Hersteller von Haushaltsgeräten bringt IoT neue Möglichkeiten bei der Ferndiagnose und Wartung, welche sich deutlich vereinfachen und dank IoT zielgerichteter abläuft.
Dass sowohl die Installateure vor Ort wie auch die Kunden profitieren, liegt auf der Hand. IoT erleichtert aus Sicht Hoffmanns unser tägliches Arbeiten und Leben wie kaum ein anderer Trend, weshalb V-ZUG auf dem Werksgelände mit voller Überzeugung einen 5G-Sender montieren lässt.

IoT-Boom voll im Gange

Der Mobilfunkausrüster Ericsson setzt sich traditionell für eine totale Vernetzung ein und untermauert diesen Trend durch den halbjährlich erscheinenden EricssonMobility Report. Darin wurde im November vergangenen Jahres die Zahl der Mobilfunk-IoT-Verbindungen für 2024 auf zirka 4,1 Milliarden geschätzt, davon 2,7 Milliarde alleine in Nordostasien.
Martin Bürki, Managing Director Switzerland, Ericsson
Quelle: Rüdiger Sellin
Service Provider setzen in ihren LTE-Netzen sowohl die Standards Cat-M1 als auch NB-IoT ein, um unterschiedliche Anwendungsfälle abzudecken. So verwundert die Einschätzung vom Schweizer Ericsson-Chef Martin Bürki nicht, dass dabei insbesondere 5G eine zentrale Rolle spielt, denn bereits vor rund 10 Jahren hiess von Seiten des Herstellers: «Alles, was von einer Verbindung profitiert, wird eine haben». IoT ist Realität geworden und betrifft uns alle, ob im privaten Umfeld oder im Business.
Zwar hat sich die Euphorie für IoT abgeschwächt, was wohl auch daran liegt, dass viele Unternehmen bei IoT längst aktiv sind. Vielerorts kommt die Umsetzung jedoch nur schleppend voran. Tobias Stähle, Sales Director SCM bei Oracle Deutschland, widerlegte anhand einer Studie zunächst, dass Europa bei IoT gegenüber Asien zurückliegt.
Industrie 4.0 ist hier an der Front angekommen, wobei andere Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate näher am Kunden agieren. Hier wie dort stehen die Daten im Zentrum – bei einem Datenbankanbieter wie Oracle keine wirkliche Überraschung.
Laut Thomas Koch, Head of IoT bei der Schweizerischen Post, geht es bei IoT weder um das Internet noch um Dinge, sondern vor allem um Daten und deren Nutzung. Während ein Sensor für Postkunden nur wenig Daten via LoRaWAN absetzt, schickt eine neuartige Überwachung der Sortieranlage für Postsendungen ihre riesigen Datenmengen via lokalem 5G-Sender in die Mobile Edge Cloud (MEC). Dank MEC hätten IoT-Anwendungen einen schnellen lokalen Zugriff auf die gerade benötigten Daten und speichern dort jeden Arbeitsschritt nachvollziehbar ab.
Für Gavan Colett, Head of Digital bei Cablex und einer der Treiber von Ibion, ist die Zukunft heute. Fahrer von E-Bikes können Ibions Powerstations genannte Ladestationen via App finden und Tauschbatterien für Elektro-Zweiräder beziehen, so dass bisherige Probleme mit limitierter Reichweite, langen Ladezeiten und hohen Anschaffungskosten der Vergangenheit angehören. Nebst Infrastruktur bietet Ibion auch den Service, Unterhalt und die Vermietung der Powerstations an.

Fazit

In der Summe schwebt über dem Thema IoT oft noch immer der Start-up Spirit. Die verwendeten Technologien sind jung und entwickeln sich schnell. Trotz dieser Fragilität setzen viele Schweizer Firmen jedoch mit Erfolg auf IoT und verbessern ihre Dienstleistungen oder haben diese bereits nachhaltig optimiert.
Sie nahmen sich dem Thema IoT allerdings selbst an und verliessen sich nicht nur auf externe Partnerfirmen. Daraus entstanden spannende Anwendungen und Use Cases.
Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.



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