Die berechneten Anfänge der Corona-Epidemie

Dunkelziffer berechnet

Die Virusgenome verändern sich laufend. Basierend auf diesen Veränderungen rekonstruierte Stadler den genetischen Stammbaum des Virus. «Mit statistischen Methoden können wir für jeden Zeitpunkt in der Vergangenheit errechnen, wie viele Personen damals angesteckt waren», erklärt Stadler. Diese Analyse ergab, dass am 23. Januar bereits zwischen 4000 und 19’000 Personen angesteckt sein mussten. Zu diesem Zeitpunkt gab es 581 bestätigte Krankheitsfälle. Das heisst: Im extremsten Fall tauchte nur 1 von 33 infizierten Personen in der offiziellen Statistik auf, im besten Fall 1 von 7 Personen.
Stadler betont, dass es noch andere Methoden als ihre gebe, um epidemiologische Kenngrössen zu ermitteln. Ihre Methode, welche die Genome analysiert, habe jedoch den grossen Vorteil, dass sie auch mit Daten von verhältnismässig wenig Patienten verlässliche Rückschlüsse erlaube. Insbesondere böte ihre Methode Vorteile in Situationen, in welchen nicht mehr klar ist, wer wen angesteckt hat. In unserem Nachbarland Italien ist das derzeit der Fall, in China schon länger.

Echtzeitanalyse wäre möglich

Schliesslich würde ihre Methode sogar die Echtzeitanalyse einer Epidemie ermöglichen. Dies würde den Behörden ermöglichen, die Wirksamkeit von Bekämpfungsmassnahmen laufend zu überprüfen und anzupassen. Voraussetzung dafür wäre, dass das Virusgenom bei neuinfizierten Personen durch regelmässige Stichproben ermittelt wird. Aus Wuhan werden allerdings derzeit kaum Sequenzdaten von Virusgenomen veröffentlicht.
Stadler und ihre Kollegen haben ihre Analyse auf dem Fachportal «Virological» anderen Wissenschaftlern zugänglich gemacht. Die ETH-​Forschenden betonen, dass ihre Arbeit jedoch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet worden ist, wie das in der Forschung grundsätzlich Standard ist. In einer aktuellen Lage wie dieser würde dies zu lange dauern. Ebenso betont die ETH-​Professorin, dass die Qualität ihrer Analyse nur so gut sein kann, wie die Qualität und Anzahl der veröffentlichten Gendaten. In dieser Studie wurden 93 RNA-​Sequenzen analysiert, von denen der Grossteil aus China stammt, 38 stammen aus anderen Ländern. Stadler wird ihre Analyse fortsetzen, um neu veröffentlichte Genomdaten zu erweitern.
Hinweis: Dieser Artikel stammt von «ETH-News» und wurde von Fabio Bergamin verfasst.



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