Datenauswertung 04.03.2020, 15:14 Uhr

Die berechneten Anfänge der Corona-Epidemie

Analysen von öffentlich zugänglichen Genomdaten liefern Hinweise auf die Anfänge der Corona-​Epidemie in China. Forschende des Departements für Biosysteme der ETH Zürich verwendeten dafür ein von ihnen in den vergangenen Jahren entwickeltes statistisches Modell.
Der Erreger der gegenwärtigen Epidemie: ein Coronavirus
(Quelle: Science Photo Library)
Seit Beginn der aktuellen Corona-​Epidemie haben Wissenschaftler und Behörden den genetischen Fingerabdruck von Virusproben aus zahlreichen betroffenen Ländern bestimmt. Über 100 dieser Erbgutsequenzen, die in Coronaviren in der Form von RNA vorliegen, sind in öffentlichen Datenbanken verfügbar. Tanja Stadler, Professorin für Computational Biology am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel und Expertin für Fragen der molekularen Epidemiologie, hat diese Daten nun ausgewertet. Sie nutzte dazu ein in ihrer Gruppe entwickeltes statistisches Modell zur genetischen Stammbaumanalyse von Krankheitserregern und gewann damit neue Erkenntnisse zu den Anfängen der Epidemie in China.
Stadlers Auswertungen legen nahe, dass die Epidemie in China in der ersten Novemberhälfte 2019 ihren Anfang nahm. Die meisten bisherigen Schätzungen gingen davon aus, dass das Virus erst in der zweiten Novemberhälfte von einem Tier auf den ersten Menschen übergegangen ist. «Die verbreitete Hypothese, wonach sich der erste Mensch im November auf einem Tiermarkt angesteckt hat, ist immer noch plausibel», sagt die ETH-​Professorin. «Unsere Daten schliessen mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit aus, dass das Virus bereits vor diesem Zeitpunkt während langer Zeit in Menschen zirkulierte.»

Schnelle Ausbreitung vor der Quarantäne

Ausserdem analysierte Stadler die Dynamik der Epidemie, bevor die Stadt Wuhan am 23. Januar 2020 unter Quarantäne gestellt wurde. Die Wissenschaftlerin errechnete aus den genetischen Daten die Basisreproduktionszahl des neuen Coronavirus. Diese Zahl besagt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. In der fraglichen Zeit liegt sie nach Stadlers Schätzungen zwischen 2 und 3,5. Damit bestätigt die Forscherin die bisherigen Schätzungen, welche auf der Anzahl der bestätigten Corona-​Fälle beruhten und von einer Zahl zwischen 2 und 4 ausgegangen sind. Das heisst, die Ansteckungen erfolgen deutlich schneller als bei der saisonalen Grippe (mit einer Basisreproduktionszahl typischerweise unter 1,5).
«Die Basisreproduktionszahl ist eine der zentralen Kenngrössen einer Epidemie», sagt Stadler. «Sie liefert wichtige Hinweise auf die Wirksamkeit von Massnahmen wie zum Beispiel einer Quarantäne. Nur wenn Bekämpfungsmassnahmen diese Zahl zu senken vermögen, sind diese auch wirksam.» Interessant wäre es daher für die Wissenschaftlerin, diese Zahl während der Quarantäne von Wuhan ermitteln zu können. Allerdings sei die Datenlage für diese Zeit in Wuhan unübersichtlich, was eine verlässliche Analyse momentan verunmögliche, sagt Stadler.



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